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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

11. 1. 2014 - 18:47

2014 leuchtet von der Leinwand (3)

Trio Infernal: Drei Filmbessessene schwelgen nochmal in Vorfreude auf ein Jahr der cinephilen Beglückung.

Was bisher geschah: Wir richten in vertrauter Trio-Runde den Blick nach vorne, auf dieses höchst unruhige und verheißungsvolle Kinojahr 2014. Wir, das sind Sebastian Selig, Christoph Prenner und meine Wenigkeit. Drei vom Film Besessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen und dann doch wieder mit pochendem Herzschlag vereint im Dunkeln des Kinosaals sitzen werden. Im ersten und zweiten Teil freuten wir uns auf die großen Meister, schwelgten in Untergang und Zerstörung und folgten dem österreichischen Kino in dunkle Keller wie auch auf prachtvoll eisige Hochplateaus. Nun abschließend noch ein paar Worte zur Revolution, zum ausschweifend schwellenden Buben-/Mädchen-Ding in diesem 2014, zu den Geheimtipps und Lieblingsprojekten.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV oder der Splatting Image. Kürzlich hat er an einem Buch über seinen Lieblings-Regisseur Dario Argento mitgewirkt und gedenkt im kommenden Jahr der Ausschweifung nun eines über den Keyser Söze des deutschen Sexfilms, Jürgen Enz, zur Welt zu bringen.

„Dawn of the Planet of the Apes”

Fox

"Dawn of the Planet of the Apes"

Es lebe die Revolution

SEBASTIAN: Plötzlich geht es wieder überall zum Tahrir-Platz. Insbesondere das epische Teenie-Kino ruft nach dem gigantischen Erfolg der "Hunger Games" nun recht unbefangen zur Revolution auf. Wenn auch wohl mit Netz und doppeltem Boden, glaubt man dem "Divergent"-Trailer. Als Initiationsritus raus aus der Pubertät, als sich-den-Monstern stellen ("The Maze Runner") oder eben auch einfach noch einmal mit Pfeil und Bogen ("The Hunger Games: Mockingjay Part 1"). Und auch die Affen trommeln noch einmal den Umsturz herbei ("Dawn of the Planet of the Apes"). Revolutionär oder langsam nur noch eine Masche, was meint ihr?

CHRISTOPH PRENNER kann die Euphorie, die da ob der kommenden Bewegtbild-Eruptionen von den Leinwänden tropfen wird, schon schmecken. Und sie mit einiger Wahrscheinlichkeit danach in Druckwerken von Skip bis The Gap mit heißer Feder zu Papier bringen.

CHRISTOPH: Bin ja einer der wenigen, die trotz prinzipiellem Interesse an hart vom Aufstand durchgeschüttelten Coming-of-Age-Geschichten in einer so hübsch plastisch ausformulierten, dystopischen Welt und speziellem Interesse an der tollen Jennifer Lawrence, nie einen so rechten Zugang zu den Hungerspielen gefunden hat. Zu den zahlreichen anderen in dessen Windschatten verfilmten Young-Adult-Novels zugegebermaßen aber sogar noch weniger.

CHRISTIAN: Die grundsätzliche Skepsis teile ich. Mich hat trotzdem der erste Teil der Panem-Tribute unerwartet völlig weggerockt, weil ich mir diese Handkamera-Nähe, die Dringlichkeit, die rohe Energie der JennLaw und den auf den Punkt inszenierten Hass auf die Gesellschaft des Spektakels nicht erwartet habe. Fadgas-Regisseur Martin Lawrence startete mit Teil 2 dann unlängst den Abstieg in Richtung glattes, berechenbares und schmalziges Franchise-Kino. Nachdem er auch das leider gesplittete Abschlusskapitel verantwortet, freue ich mich nur höchst bedingt auf weitere Survival-Kämpfe. Umgekehrt verhält es sich mit "Dawn of the Planet of the Apes". Fand ja das erste Reboot mit James Franco war bloß verunglückter Disney-Kitsch, der Trailer zum zweiten Teil verheißt jetzt etwas mehr Verdunkelung und Zähnefletschen und nähert sich der Originalsaga, die mir schon sehr viel bedeutet.

Vorschau auf das Filmjahr 2014

  • Teil 1: Die Rückkehr alter Meister, Thriller, unterschiedlichste Regie-Andersons und die aktuelle McConnaisance
  • Teil 2: Deutsche und österreichische Schätze, Indie-Horror und wahnwitzige Komödien.
  • Teil 3: Revolution, das Buben-/Mädchen-Ding, Geheimtipps und Lieblingsprojekte

CHRISTOPH: Zumindest der Besetzung - Meryl Streep, Alexander Skarsgard, Jeff Bridges - wegen werde ich mir dieses Jahr zumindest mal an "The Giver" heranwagen, wo ja auch wieder ein Heranwachsender hinter die Fassaden einer allzu idyllisch zusammengebauten Zukunftswelt zu blicken trachtet.

CHRISTIAN: Generell ist es bizarr und hochinteressant gleichzeitig, wohin sich das populäre Jugendbuch, das Hollywood immer mehr als Vorlage dient, hinentwickelt hat. Freunde mit Kindern erzählen mir immer von diesen Schmökern voller Dystopien, Schmerz und Gewalt, ausschließlich von oft alleinerziehenden Frauen geschrieben. Kindsein, Teenagersein, Muttersein hat im Hier und Jetzt jeglichen Unschuldsfaktor eingebüßt, gegen die harte Welt der Mitschüler, Medien und oft abwesenden Männer kann nur mehr metaphernhaft mit Pfeil, Bogen und Granaten angetreten werden.

The Hunger Games 2: Catching Fire

Constantin

"The Hunger Games 2: Catching Fire"

Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs

CHRISTIAN: Vom vermeintlichen Frauengenre der romantischen Revoluzzerinnen zum dreisten Bubenkino. Ich habe gesehen, dass du eine ganz lange Liste mit Filmen hast, Sebastian, gedreht von Regisseuren mit ein oder zwei veritablen Dachschäden, erzähl mal.

„The Smell Of Us“ (Larry Clark)
Mr. Clark, seit "Kids" ein beständiger Erforscher jugendlicher Subkulturen und Intimzonen, stürzt sich auf eine Gruppe selbstzerstörerischer Skater in Paris. Das bringt besonders abgeklärte "Vice"-Leser vielleicht zum Gähnen, aber wir freuen uns. Auf Räudigkeit, Realimus und Poesie. Und auf Michael Pitt, zurück vom "Boardwalk Empire" im Indie-Grind. (CF)

SEBASTIAN: Ja, worauf können wir uns von den manisch Verrückten freuen? Michael Bay bleibt nach seinem delirierenden Ausbruchversuch "Pain & Gain" weiter in der Hölle gigantischer Spielzeugroboter gefangen und hat "Transformers 4" in China gedreht. Luc Besson taumelt immer noch durch zunehmend abstrusere Fantasien von unwirklichen Frauen als Killer-Barbies ("Lucy") und wortkarge Männern im besten Alter stecken in tödlichen Jobs fest. Dieses Mal Kevin Costner offenbar auf traurige Art "witzig" in "3 Days to Kill". Schön und gut oder auch langweilig. Ungleich spannender vielleicht, sich in großer Hemmungslosigkeit zurück ins Mittelalter zu stürzen. Zurück in die Zukunft. Da höre ich sehr viel Schönes über die dreistündige, wuchtig schwarz-weiße Verfilmung von "Hard to Be a God", den letzten Film des vor kurzem verstorbenen Altmeisters des russischen Kinos Aleksei German.

CHRISTOPH: Nachdem mir die manisch Verrückten Bay und Besson mit ihren Schnarchnasen-Vehikeln "Pain & Gain" und "Malavita" letztes Jahr ja höchstens unsanften Kinoschlummer verpasst haben, hätte ich mich in der Disziplin auch eher auf eine neue Runde mit den Fast & Furious gefreut - woraus nun aus naheliegenden Gründen vorerst nichts wird. Wiewohl in ähnlich rasantem Revier angesiedelt, dürfte die Videogame-Verfilmung "Need For Speed" sein, deren Vehicular Warfare jedoch nicht weiter befördern. Man munkelt gar, dass Jesse Pinkman aka Aaron Pauls Benzinbruderausflug nun ein wenig den Spirit manch verwegener Seventies-Autoabenteuer atmen könnte.

CHRISTIAN: Stimmt, "Need For Speed" weckt auch in mir, obwohl ohne Führerschein-Besitz, die Lust, mich neben Aaron Pinkman auf den Beifahrersitz zu setzen und Benzindampf zu inhalieren.

CHRISTOPH: Selbst wenn man sich dabei aber kein neues "Vanishing Point", "Two-Lane Blacktop" oder auch nur "Cannonball" erwarten sollte: Die Nase ein wenig keck in den Fahrtwind zu recken könnte demnächst dennoch unvermutet gute Laune machen.

"Incompresa" (Asia Argento)
Nun doch noch: das große Herzensprojekt von Asia Argento. Endlich wieder ein Film von ihr als Regiseurin. All das hat sogar ausgelöst, dass sie sich nach eigenem Bekunden jetzt ganz von der Schauspielerei lossagen will. Ein weibliches "Incompresa" (Luigi Comencini, 1966), eine eine um tiefliegendes Missverständnis kreisende Familientragöde. VorfreudeDeluxe. (SES)

Need For Speed

Constantin

"Need For Speed"

SEBASTIAN: Ich will noch einmal Schwarzeneggers wunderbar kantig, ledern gewordenes Gesicht von der Leinwand grummeln sehen. Nicht nur als Zombie ("Maggie") sondern viel mehr noch in "Sabotage", einer offenbar zauberhaft kruden Mischung aus der mir sehr am Herzen liegenden TV-Serie "The Shield", "The Counselor" und "Predator".

CHRISTOPH: Dessen Regisseur David Ayer gilt spätestens seit seinem beinharten Bullen-Buddy-Movie "End Of Watch" als kommender Mann für smart-hartes Adrenalinkino. In dem ebendort angesiedelten "Fury", seinem zweiten Projekt für 2014, wird er Brad Pitt dann erneut ins Deutschland des Zweiten Weltkriegs schicken. Konsequent ganz ohne Tarantinoeskes Schmunzeln, dafür im titelspendenden Panzer verschiedenst graues Grauen durchpflügend.

CHRISTIAN: Mich hat ja David Ayer bislang nicht richtig überzeugt, werde ihm weitere Chancen geben. Aber, hach, "Maggie", den haben wir ja schon erwähnt. Neben Abigail Breslin verwandelt sich übrigens auch die wunderbare Aubrey "Parks & Recreation" Plaza in ein Zombie-Girl, ich streue die hoffentlich sehr böse Indie-Komödie "Life After Beth" kurz ein und schalte zurück ins Buben-Studio.

"Frank" (Lenny Abrahamson)
Was macht Michael Fassbender eigentlich so 2014? Neben seinem Magneto-Auftritt im neuen "X-Men" und einer Western-Rolle in "Slow West" wird man ihn auch als mysteriösen Indie-Rock-Band-Leader sehen können. Oder eben nicht: Denn in der Comedy, die auf der zumindest Briten bekannten Figur Frank Sidebottom beruht, wird das Most Wanted Face des Gegenwartskinos permanent mit einem Kunstkopf rumlaufen. Muss man sich auch erst mal trauen. (CP)

SEBASTIAN: Die Beinahe-"Rambo 5"-Verfilmung "Homefront" mit James Franco wie auch die Passionsspiele in den Bergen Afghanistans "Lone Survivor" konnte ich ja zum Glück schon sehen. Müsste ich mich abseits davon nur auf drei mal Bubenkino in den kommenden zwölf Monaten beschränken, meine Wahl würde in größter Vorfreude wohl zunächst auf "Big Game" fallen. Die Air Force One des US-Präsidenten (Samuel L. Jackson) wird über dichten finnischen Wäldern abgeschossen, in denen gerade ein Teenager/kleiner Wikinger mit Pfeil und Bogen einen Initiationsritus zur Mannwerdung begeht. Fortan kämpfen sich die beiden durch schneeverwehte Berge, Heerscharen finsterer Kerle auf ihren Fersen.

CHRISTIAN: Kann ich mir fast schon bildlich vorstellen...

SEBASTIAN: Auch schön: Sean Penn gegen Javier Bardem in dem Harte-Jungs-Film "The Gunman" von "Taken/96 Hours"-Maestro Pierre Morel. Liest sich wunderbar minimalistisch und "Luther" Idris Elba spielt auch noch mit. Ebenfalls super neugierig bin ich auf Denzel Washington als "The Equalizer", also ebenfalls in so einer typischen Liam-Neeson-"Taken"-Rolle, in Szene gesetzt von Antoine Fuqua ("Olympus Has Fallen"). Washington steht hier stoisch "Hit Girl" Chloë Grace Moretz bei, die als jugendliche Prostituierte von gemeinen Kerlen bedrängt wird.

Homefront

Constantin

"Homefront"

Das Evangelium nach Eva

CHRISTIAN: Bevor es hier in unserem virtuellen Plauderstübchen aber wie in der Umkleidekabine eines Turnsaals zu riechen beginnt, schwenken wir mal zu Actionkino mit weiblichen Antiheldinnen. Beziehungsweise vor allem einer Frau in führenden Rollen, die ich zuletzt etwas schmerzlich vermisste, die aber 2014 das Comeback ihres Lebens feiert.

SEBASTIAN: Ja, mit Eva Green ins Paradies. In "White Bird in a Blizzard", dem neuen Film von Gregg Araki ("Mysterious Skin"/"The Doom Generation") löst sie sich erst einmal in Luft auf. Verschwindet traurig entrückt aus dem Leben ihrer Teenie-Tochter, die sich daraufhin auf die Suche nach ihr begibt. Auch der zweite Teil von "Sin City" wird dann ganz um sie kreisen und kommt entsprechend als "Sin City: A Dame to Kill For" in die Kinos.

"Edge Of Tomorrow" (Doug Liman)
Soll man, nach dem höchst zwiespältigen "Oblivion" Tom Cruise als Soldat im Kampf gegen Aliens noch eine Chance geben? Und dazu noch Doug Liman im Regiestuhl, der sich von seinen Indie-Anfängen in einen braven Blockbuster-Roboter verwandelte? Schauen wir mal, Filme, die à la "Groundhog Day" im Zeitreise-Loop festhängen, haben immer etwas Anziehendes. (CF)

CHRISTOPH: Klar, Green ist die Hoffnung dieses Kinojahres. Nicht nur in den fortgesetzten, frohgemut ausschweifenden Comic-Adaptionen von "Sin City" - hoffentlich findet Rodriguez bis dahin seine Spur wieder - und "300", sondern auch in einer neuen Showtime-TV-Serie, deren Set-up gleichfalls recht comichaft motiviert anmutet, mit einer gleichnamigen Publikation aber offenbar wenig zu tun hat. "Penny Dreadful" wird uns ab Frühjahr in psychosexuelle Horrorwelten führen, in denen einschlägige literarische Figuren wie Dr. Frankenstein mitsamt Monster oder Dorian Gray herumschleichen. Könnte all das einlösen, was "American Horror Story" mittlerweile öfters nur noch verspricht.

CHRISTIAN: "Penny Dreadful" klingt super. Ich finde es bei all der Eva-Action trotzdem ein wenig schade, dass sie nicht mehr in ernsten, strengeren Filmen ganz ohne Greenscreen-Hintergründen zu sehen ist. Große Hoffnung setze ich deswegen auf den rohen Rachewestern "The Salvation", inszeniert vom Dänen Kristian Levring. Da trifft Frau Green auf Spitzentypen wie Mads Mikkelsen und Jeffrey Dean Morgan, in einer klassischen Geschichte über einen friedlichen Farmer, der alleine gegen eine finstere Gang antreten muss, weil die Provinzbevölkerung sich duckmäuserisch zurückzieht. Europäischen Blicken auf amerikanische Geschichte verdanken wir bekanntlich oft ganz großes Kino.

Sin City 2: A Dame To Kill For

Miramax

"Sin City 2: A Dame To Kill For"

Spandexhosen und Latexmasken

CHRISTIAN: Back to Blockbusters. Nicht nur weil "Iron Man 3" der erfolgreichste Kinofilm 2013 war, wird uns das Comic-Kino noch lange begleiten. Sowohl Marvel als auch DC, die Überimperien des Superheldenbusiness, denken ja mindestens in Fünfjahresplänen, wenn nicht in viel längeren Abschnitten. Und während beide Firmen 2015 mit "The Avengers: Age Of Ultron" und "Batman vs. Superman" ihre Riesenschlachtschiffe einsetzen, kommt auch heuer einiges an auf uns zu. Marvel setzt in der sogenannten Phase zwei auf den braven Soldaten Steve Rogers, der im Trailer zu "Captain America: Winter Soldier" allerdings weniger flapsig daherkommt, sondern sich in dunklen Verschwörungsgeschichten verstrickt. Gibt es da von eurer Seite mehr als vorsichtige Hoffnung, was diesen Film anbelangt?

"Animal Rescue" (Michael R. Roskam)
Und was macht Tom Hardy eigentlich so 2014? Im Jahr vor "Mad Max"? Zuerst mal im letztjährigen Viennale-Abschlussfilm "Locke" auch ganz kinoregulär problemgeplagt durch die britische Nacht cruisen. Dann in "Child 44" mit Noomi Rapace noch ein wenig Kalte-Krieg-Luft schnuppern. Schließlich wieder an der Seite von Rapace nach einer Vorlage von Dennis Lehane ("Mystic River") als tierlieber Barkeeper in ein gefährliches Spiel reinschlittern, das auch James Gandolfini in seiner nun leider wirklich letzten Rolle involviert. (CP)

SEBASTIAN: Bestenfalls vorsichtige. Im Grunde langweilt mich der Marvel-Zirkus inzwischen. Fand "Iron Man 3" sogar richtig schrecklich und konnte mich danach schon nicht mehr dazu durchringen, auch noch einen weiteren "Thor"-Aufguss zu sehen. Dieser "Captain America" klingt wieder ein wenig spannender, wenn er über die amerikanische Sicherheitspolitik Sätze sagt, wie "This isn’t freedom, this is fear" und dann ist ja auch noch Robert Redford mit an Bord, aber keine Ahnung, in Vorfreude schwelge ich hier nicht wirklich.

CHRISTOPH: Geht mir da ganz ähnlich, das gewisse Comic-Kino-Sättigungsgefühl lässt sich mittlerweile einfach nicht mehr wegleugnen. Der "Captain America"-Trailer hat mich nun ganz besonders wenig elektrisiert zurückgelassen. Viel Raum für doppelte Böden scheint mir da nicht miteingebaut worden zu sein - symptomatisch fast, dass das anämisch anmutende All-American-Getöse bei uns unter einem gar wunderlichen "Synchrontitel" laufen wird: "The Return Of The First Avenger". Lieber warte ich gleich, ob Joss Whedon zu dem Thema anno 2015 dann noch mal was einfällt, das neue Wellen der Begeisterung entfachen könnte.

Captain Amerika: Winter Soldier

Marvel

"Captain Amerika: Winter Soldier"

CHRISTIAN: Parallel zum nächsten Einsatz der Avengers bereitet Marvel ja eine Franchise vor, zu der ich selber so gut wie gar keine Bezüge habe. Während ich mit Hulk, Spider-Man und den Fantastic Four aufgewachsen bin, sind mir die "Guardians Of The Galaxy" völlig fremd, habt ihr mehr Verbindung zu diesem Superheldenteam?

SEBASTIAN: Der Waschbär mit zwei Pistolen in den Pfoten und seine vorwiegend außerirdischen Gesellen war mir auch neu. Schön hier James Gunn ("Super") an der Regie zu wissen, das macht Hoffnung, aber der Plot um irgendwelche Zauberkugeln und intergalaktische Super-Bösewichte klingt wie schlechtes "Masters of the Universe". Ich fürchte, nichts für mich.

"Blue Ruin" (Jeremy Saulnier)
Hat seit seiner Premiere in Cannes auf diversen Festivals für gleichsam verstörte, wie verzauberte Hymnen gesorgt. Ein Eigenbrötler bricht in seinen Heimatort auf, um einen Menschen zu töten, der dort bald aus dem Gefängnis entlassen wird. Ein Rachefilm mit unvorhersehbar bitteren Entwicklungen. Gleichsam präzise, wie taumelnd. Hoffentlich bald auch bei uns ganz regulär im Kino. (SES)

CHRISTOPH: Kannte ich ehrlich gesagt auch kaum, kam mir anfangs auch extrem seltsam vor. Mit jedem weiteren recherchebedingten Eintauchen in diesen seltsamen Kosmos freunde ich mich aber mehr mit dem Gedanken an, dass diese mutmaßlich durchgeknallte Weltraumoper in den Händen des erstmals mit gutem Geld ausgestatteten Querdenkers Gunn sogar ein kaum vermutetes, mitunter sogar subversives Freudenfest der heurigen Blockbuster-Spielzeit darstellen könnte. Mehr als der zwangtigste Wolverine-Film kickt mich das auf jeden Fall – wiewohl ich freilich schon noch gespannt bin, was Bryan Singer bei der Rückkehr zur alten Wirkungsstätte in "X-Men: Days Of Future Past" noch aus dem Mutantenmythos rauszuschlagen versteht.

SEBASTIAN: Als ich vernahm, dass hier ausgerechnet Bryan Singer und leider nicht noch einmal Matthew Vaughn die Regie übernimmt, war die Vorfreude bei mir ja eher wieder verpufft. Hätte sehr viel lieber noch einmal was von Vaughn gesehen, als zum alten TV-Serien-Erzählmuster der Singer-Filme zurückzukehren.

X-Men: Days Of Future Past

Fox

"X-Men: Days Of Future Past"

CHRISTIAN: Ja, die Kletterpartie auf die Bohnenstange von Herrn Singer habe ich schon wieder verdrängt. Weil ich aber längst wegen der Schauspieler noch eher ins Kino gehe als wegen bestimmter Regisseure, wird die Ansammlung sauguter Typen in "Days Of Future Past" schon ein Fest für mich. Tja, und dann gibt es natürlich noch extrem populäre Figuren, die Marvel ganz am Anfang des Comic-Kino-Booms an andere Firmen lizensiert hat. Allen voran den vielleicht zentralsten Antihelden im Kostüm, den netzschwingenden Peter Parker. Ich hätte ja nach Sam Raimis Trilogie nicht so schnell ein Reboot gebraucht, aber den Einspielergebnissen nach sehnt sich eine jüngere, riesige Zielgruppe nach "The Amazing Spider-Man 2". Der erste Teil hatte vor allem punkto Besetzung seine Momente, aber irgendwie sind Regisseur Marc Webb die charmanten Charakterstudien angesichts der aalglatten und bombastischen CGI-Spielereien entglitten, finde ich. Jetzt kommt dasselbe Team zum zweiten Mal zu Zug, prestigetechnisch um Jamie Foxx, Paul Giamatti und Chris Cooper im Bereich der Bösewichte ergänzt.

SEBASTIAN: Ich fand den neuen Spiderman von Marc Webb ja visuell schon sehr beeindruckend. Ein Traum in Rot und Blau. Hat mich um Längen mehr begeistert als die vergleichsweise langweiligen drei Spinnen-Abenteuer von Sam Raimi.

CHRISTIAN: Wirklich? Ich, als einer der im von der Tante geschneiderten Spinnen-Kostüm kindlich über Provinzdächer kletterte, fand, dass Raimi den Spirit so gut getroffen hat. Umgekehrt gestehe ich, ein wenig weggeschlummert zu sein bei Herrn Webbs Reboot, weil es mich ja so schnell langweilt, wenn unter schimmernden Oberflächen kein Herzblut fließt.

SEBASTIAN: Mich hat das gepackt. Das Blau, das Rot. Da hat viel gepocht. Der zweite Teil wirkt nun allerdings bereits im Trailer ziemlich überladen und bei dem eisblauen Electro kommen natürlich bittere Erinnerungen an Arnold Schwarzeneggers eher zum Fremdschämen einladender Auftritt im Batman-Franchise auf.

The Amazing Spider-Man 2

Sony

"The Amazing Spider-Man 2"

Das Jahr der Ausschweifung

SEBASTIAN: Genug der Männer in Strumpfhosen, lasst uns abschließend endlich auf das zu sprechen kommen, worüber ihr beide embargo-bedingt leider kein Wort verlieren dürft, obwohl es uns alle wie nichts zweites bewegt: Lars von Triers "Nymphomaniac". Ich bin für diesen Film ja extra am Neujahrsmorgen nach Frankreich gepilgert, wo der erste Teil, die erste Hälfte bereits ganz regulär im Kino läuft und erlaube mir daher ungehemmt von seinem bislang reichsten und aller-beglückendsten Film zu schwärmen. Was für ein großes, entspanntes Meisterwerk. Mehr Kino, intensiveres cinephiles Abgehen ist kaum mehr denkbar. Ein Fest.

CHRISTIAN: Ja, leider dürfen Christoph und ich uns noch nicht dazu äußern, die Dämme werden erst beim Kinostart des ersten Teils brechen. Ganz grundsätzlich und abseits dieses Falls ist die Embargopolitik der Verleiher, da sind wir uns in der FM4-Filmredaktion einig, natürlich eine völlige Sackgasse. Der Meinungsflow, unter anderem in den sozialen Netzwerken, ist nicht zu stoppen oder zu kontrollieren. Und er wird bald eine Wichtigkeit einnehmen, gegen die gehypte Premierenvorstellungen verblassen. Denn die viel weniger Menschen, die sich in naher Zukunft noch intensiv für Kino interessieren und andere mit ihrer Faszination anzustecken vermögen, trennen sich derzeit wie die Spreu vom Weizen jener, die Filme, auch im Vorführsaal, als visuelle Hintergrundberieselung wahrnehmen.

CHRISTOPH: Gerade im Falle von "Nymphomaniac", der ohnehin schon quer über den Planeten besprochen wird, ist diese Politik nun ganz besonders absurd. Dabei gäbe es so so viel über diesen mit Themen und Seitenaspekten properst gefüllten Film zu erzählen, dass man gleich noch ein viertes Vorschaukapitel anreißen könnte. Darf man hier jetzt generell und überhaupt sagen, dass er gut ist? Dass man ihn sich ansehen soll? Kontraproduktiver gehts echt kaum noch.

Nymphomaniac

Filmladen

"Nymphomaniac"

CHRISTIAN: Schuld sind in den allerseltensten Fällen die lokalen Verleiher in Österreich, die hängen ja in einer Verwertungskette drinnen und müssen sich den Ansagen der größeren Brüder und Schwestern im Ausland fügen. Anyway, vielleicht würde eine ganz sicher obsessive und ausgedehnte Plauderei über "Nymphomaniac" auch den Rahmen unserer ohnehin ausgedehnten Vorschaufestspiele sprengen. Deshalb Sebastian, nur ganz kurz noch nur von deiner Seite ein paar Worte zum ersten Teil?

SEBASTIAN: Besonders beglückt hat mich, dass sich Lars von Trier mit großer Lässigkeit billige Provokation verkneift. Wie klug und dennoch mit herzlichem Schmier er hier die wundersamsten Einfälle aus dem Ärmel schüttelt. Die ganze "Little Organ School" des Kinos, wie das wohl schönste Kapitel des ersten Teils dann passenderweise heißt. Zig Ebenen drin und es lebt und spürt sich trotzdem, bleibt nicht im Kopf stecken. Toll.

CHRISTOPH: Bach, Fibonacci, Fischfang: Mit von Trier mit vollem Elan und leichter Wäsche rein in den dritten Bildungsweg Kino.

The Strange Colour Of Your Body's Tears

Bac Films

"The Strange Colour Of Your Body's Tears"

SEBASTIAN: Ich muss noch mehr schwärmen: auf nichts freue ich mich in diesem Jahr so sehr wie auf "The Strange Color of Your Body’s Tears", den neuen Film des Regie-Duos hinter "Amer". Will mich da ganz in diesem belgischen Jugendstil, dem Rot, zwischen all den spitzen Gegenständen und kunstvollen Arrangements verlieren. Neo-Giallo, ich komme. Laut.

CHRISTIAN: Und dann, der Film der Filme, den wir uns bis zum Ende aufgespart haben. Möglicherweise this year‘s "Lost Highway" meets "Mulholland Drive" unter Berücksichtigung von David Cronenbergs Körperkino. Und dennoch als ganz eigene Vision. Ihr wisst natürlich, worauf ich anspiele.

SEBASTIAN: Ja , maßlose Vorfreude natürlich auf "Under the Skin" in welchem Scarlett Johansson durch winterlich trübe, schottische Küstenorte streift, Männer aufgabelt, um sie einer großen kannibalischen Macht zuzuführen. Endlich ein neuer Film von Jonathan Glazer ("Birth", "Sexy Beast"). Ich rechne mit nicht viel weniger als noch im Kino in Flammen zu geraten.

CHRISTOPH: Seit gut zwei Jahren glüht uns diese Verheißung nun schon entgegen, nun werden wir sie - ob auch im regulären Kinobetrieb, ist noch fraglich - endlich in all ihren unbändigen Begehrensbildern entgegennehmen dürfen. Seit den hymnischen Festival-Lobpreisungen aus Venedig und Toronto rechne ich damit, meinen Scarlett-Altar künftig noch ein weiteres Mal kräftigst aufstocken zu müssen. Womöglich muss dafür auch gleich eine neue Wohnung her. Ein Haus gar.

CHRISTIAN: Lasst uns Häuser bauen, meine Lieben. Ich danke euch für diesen wunderbaren Preview-Marathon zu dritt. Und jetzt ab ins Kino.

Under The Skin

Film Four

"Under The Skin"