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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

3. 1. 2014 - 18:52

2014 leuchtet von der Leinwand

Trio Infernal: Drei Filmbessessene schwelgen in Vorfreude auf ein Jahr der cinephilen Beglückung, diesmal in drei Teilen.

SEBASTIAN: Die vergangenen zwölf Kino-Monate waren in all ihrer aufregenden Zerrissenheit, in ihrem ungestümen nach Veränderung Streben, wahrlich mehr als spannend. Genreregeln wurden beherzt gebrochen, Erwartungshaltungen unterlaufen und die großen Blockbuster-Kolosse gerieten mit einem Mal in recht stürmische Gewässer. Die schon lange nicht mehr stabilen Zuschauerblöcke, Fan-Bases wollen sich nicht mehr in die für sie vorgesehenen Schubladen zwängen lassen. Kino im Umbruch. Jetzt geht alles. Händeringende Franchise-Bemühungen hin wie her.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV oder der Splatting Image. Kürzlich hat er an einem Buch über seinen Lieblings-Regisseur Dario Argento mitgewirkt und gedenkt im kommenden Jahr der Ausschweifung nun eines über den Keyser Söze des deutschen Sexfilms, Jürgen Enz, zur Welt zu bringen.

CHRISTIAN: Zweifellos, Konsens war einmal. Beinahe alles hat sich weiter ausdifferenziert. Wie in der Musik, wo es diese Entwicklung schon lange gibt.

CHRISTOPH: Was ich für eine äußerst begrüßenswerte Entwicklung halte. Große Taten vertragen sich eben nicht mit kleinsten Nennern. Und wo man in zehn Jahren noch lebhaft über "Spring Breakers" oder "The Counselor" schwärmen und streiten wird, konnte sich an kalkulierte Konformkost wie "Hangover 3" oder "After Earth" schon zum Jahreswechsel keiner mehr erinnern. Also: Bitte noch mehr Mut zur potentiellen Publikumsspaltung.

SEBASTIAN: Ha! Ausgerechnet die zwei fand ich ja ausgesucht gewagt und eigenwillig. "After Earth" zauberhaft entrückt verschroben und dicht, sprich: nicht ganz dicht, gleichzeitig aber recht dicht inszeniert und "Hangover 3" halte ich gar für ein den Wahnsinn nun endlich doch noch mit der gebührenden Selbstverständlichkeit feierndes Meisterwerk, welches mir sogar fast Lust gemacht hat, die ersten beiden Teile, die ich beide furchtbar langweilig fand, noch einmal zu sehen. Wie gesagt: Konsens war einmal.

CHRISTOPH PRENNER kann die Euphorie, die da ob der kommenden Bewegtbild-Eruptionen von den Leinwänden tropfen wird, schon schmecken. Und sie mit einiger Wahrscheinlichkeit danach in Druckwerken von Skip bis The Gap mit heißer Feder zu Papier bringen.

CHRISTIAN: Höchste Zeit also für uns wieder einmal den Blick nach vorne zu richten, auf dieses höchst unruhige 2014. Und schon mal dem entgegenzufiebern, was da alles auf uns zurollt. Wir, das sind Sebastian Selig, Christoph Prenner und meine Wenigkeit. Drei vom Kino besessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen und dann doch wieder mit pochendem Herzschlag vereint im Dunkeln den Kinosaal sitzen werden. In Vorfreude vereint. Darauf brennend, diese mit euch zu teilen.

The-Wolf-of-Wall-Street

Universal

"The Wolf Of Wall Street"

Die großen Meister

CHRISTIAN: Zweitausendvierzehn wird das Jahr, in dem viele alte und nicht ganz so alte Regiehelden zurückkehren. Und klar machen, dass man sie nicht aus blinder Nostalgie verehrt oder wegen eines wohligen Sicherheitsgefühls. Sondern weil einige dieser Filmemacher furios und mit den Mitteln der Gegenwart auf eben diese reagieren. Allen voran ein gewisser Martin Scorsese.

"A Most Wanted Man" (Anton Corbijn)
Nachdem er uns einst den wohl aller-schönsten George Clooney-Film ("The American") geschenkt hat, nun eine John-Le-Carré-Verfilmung über den Fall Murat Kurnaz im nasskalten Hamburg. Mit Philip Seymour Hoffman, Willem Dafoe und Niki Lauda Daniel Brühl. Schön. (SS)

CHRISTOPH: Dessen "The Wolf of Wall Street" uns schon in knapp zwei Wochen die goldbekronten Zähne entgegenblecken wird. Wobei die für Scorsese ungewohnt sex- und spaßgeladene Geldscheinwelt-Abrechnung eben nicht ein Beleg für die Nullbehauptung, dass er "wieder in Form sei" herhalten müssen soll. Schließlich war Maestro Marty nie nicht in Form. Tatsächlich schaut man ihm aber trotzdem immer dann am liebsten und leidenschaftlichsten zu, wenn er sich denn an manischen Männerfiguren abarbeitet – das von Leonardo DiCaprio hier zur Kenntlichkeit entstellte Giertier ist in dieser Hinsicht eine unumwunden besonders fesselnde – um sie hernach, so wie hier in der besten Szene des Films, auf allen Vieren auf dem Boden der Realität gebrochen Richtung des eigenen Posermobils robben zu lassen.

CHRISTIAN: Neben Scorsese gehört David Cronenberg mit Sicherheit zu den verlässlichsten Garanten für Unverlässlichkeit im besten Sinn. Anstatt es sich im Altersheim stilsicherer Gerne-Fingerübungen bequem zu machen, überraschen beide mit ungewöhnlichen, radikalen und bitterbösen Kommentaren zum Hier und Jetzt. Möglich sind diese Filme bei beiden Regisseuren aber nur durch ihre guten Kontakte zu kassenträchtigen Stars. Cronenberg setzt nach seiner gehässigen Finanzkrisen-Dystopie "Cosmopolis" jetzt noch einen weiten rabenschwarzen Millenniums-Befund nach. "Maps To The Stars" zeigt eine typische verkorkste Hollywood-Dynastie zwischen Reha-Klinik und Partyexzess. Julianne Moore, Robert Pattinson, Mia Wasikowska, John Cusack und die ehemalige Kokserkönigin Carrie "Prinzessin Leia" Fisher spielen hoffentlich am Rande des Abgrunds, wir freuen uns narrisch darauf.

CHRISTOPH: Wo wir gerade bei durchgeknallten Ensembledramen sind, soll und muss auch von einem der besten Filme der – je nach Deutung – an- oder abgelaufenen Saison die Rede sein. Die Krimikomödie "American Hustle" vom mittlerweile eindeutig in der ersten Regie-Liga angekommenen David O. Russell gilt nicht von ungefähr als einer der großen Oscar-Faves. Wenn sich hier ein Spitzenklasse-Cast (Christian Bale, Amy Adams, Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Jeremy Renner) spielfreudigst durch ein Kostüm-, Kopfhaar- und Klamaukfurioso schlägt, dann kann man gar nicht anders als ihm dabei gute zweieinhalb Stunden mit großem Grinser zuzusehen.

"RoboCop" (Jose Padilha)
Die Skepsis könnte knapp vor Start kaum größer sein. So gesehen kann der Neustart der mächtigsten Menschmaschine des 80er-Jahre-Kinos schon nur noch gewinnen. Der Trailer (Oldman! Keaton! Jackson! Kinnamans Kinn!) kommt unverhofft würdig daher – und schlimmer als der letzte Verhoeven-Reboot "Total Recall" kann's eigentlich gar nicht werden. (CP)

American-Hustle

Tobis

"American Hustle"

Thriller Killer

SEBASTIAN: Ich freue mich auch verdammt darauf am Rande der Hollywood-Dynastie dann doch noch einmal einen neuen Film des immer noch viel zu unterschätzten Altmeisters Peter Hyams auftauchen zu sehen: "Enemies Closer", ein kleiner Low-Budget-Verrückte-Jungs-bekriegen-sich-im-Wald-Film, für den sich Jean-Claude Van Damme extra eine seltsame Frisur hat wachsen lassen.

CHRISTIAN: Ein weiterer verlässlicher Genre-Innovator, der sich 2014 zurückmeldet, ist David Fincher. Vom ihm hätte ich mir mal wieder ein richtig visionäres Projekt erwartet. Aber Fincher kann bekanntlich auch schlichte Thrillerstoffe so verpacken, dass ein gewaltiger formaler Mehrwert dabei rausspringt. Wenn also "Gone Girl" einem Bestseller folgt, der vom mysteriösen Verschwinden einer Frau zu ihrem Hochzeitstag erzählt, reizt mich weniger die Story oder die Besetzung mit Rosamund Pike und Ben Affleck, sondern ich bin auf die finchereske Umsetzung gespannt.

SEBASTIAN: Hach, in Finchers Händen verwandeln sich ja selbst schwedische Fernsehkrimis in große Kinokunst, bei der man förmlich den Schnee schmecken kann. Ich bin gespannt, zumal Affleck gerade sowieso auch einen guten Lauf zu haben scheint. Nach "Argo" traue ich ihm da einiges zu.

CHRISTIAN: Zumindest punkto Besetzung klingt auch eine andere Verfilmung der gerade gefeierten "Gone Girl"-Autorin Gillian Flynn nicht unspannend. In "Dark Places", Regie führt Gilles Paquet-Brenner, verfolgt Charlize Theron, als einzige Überlebende eines Familien-Massakers, nach den Spuren einer mörderischen Sekte, Chloë Grace Moretz, Nicolas Hoult und Christina Hendricks sind mit von der düsteren Partie.

SEBASTIAN: Gut möglich ist aber auch, dass der Thriller in diesem Jahr tatsächlich vor allem sehr stark von Frankreich aus geprägt werden wird. Die große Claire Denis hat mit "Les Salauds" (Bastards) den wohl bittersten Film der kommenden Monate im Rennen. Hypnotisch von den Tindersticks unterlegtes Schmerzkino.

Les Salauds

Wild Bunch

"Bastards"

CHRISTIAN: Madame Denis, die Tindersticks und der Schmerz, eine verführerisch-grausame Kombination, der ich mich auch nicht entziehen will und kann.

CHRISTOPH: Tatsächlich ein toller Film. Auch wenn man danach mal für ein, zwei Tage den Glauben an das Gute im Menschen ad acta legen kann. Schon wieder.

SEBASTIAN: Sehr freue ich mich auch auf gleich zwei neue Filme von Fabrice Du Welz, dessen "Wenn die Gondeln Trauer tragen"-im-Dschungel-Verfilmung "Vinyan" von 2008 mir immer noch irgendwo zwischen den Nieren sitzt. 2014 hat er sich nun auch einmal mit "Colt 45" an einem dieser harten, überstilisierten, neuen französischen Polizeifilme versucht, um dann noch mit "Allelulia" die zerstörerische Kraft manischer Liebe von der Leine zu lassen. Ich bin gespannt.

"Vi är bäst! - We Are The Best" (Lukas Moodysson)
Der schwedische Regisseur hat sich in vergangenen Werken wie " Lilja 4-ever" bis zum Hals ins Fegefeuer von Kinderprostitution und Pornotristesse hineingewagt. Da darf Moodyson auch mal einen lockeren Film über Punkgirls im Stockholm 1982 dazwischenschieben. Wer die drei Hauptfiguren nicht saucool findet, ist ein schlechter Mensch. (CF)

CHRISTIAN: Und da muss ich vom Thriller-Kino jetzt schnell einen Seitenschwenk zu eben dieser irrationalen Liebe machen und werfe "Her" von Spike Jonze in die Runde. Bei den ersten Bildern von sind wir wohl alle kollektiv erzittert. Der wahnwitzige Titan Joaquin Phoenix in einer ganz zärtlichen Rolle, als urbaner Loner im chicen LA der nahen Zukunft, der sich in ein Computerprogramm mit der Stimme von Scarlett Johannsen verliebt. Die Fotos dazu wirkten wie sanfte und farbenfrohe Verheißungen, dazu die Verkündung, dass Arcade Fire den Soundtrack komponieren. Der Trailer mutet dann fast schon zu süßlich an, aber die Vorfreude bleibt groß, bei euch auch?

CHRISTOPH: Klar bleibt sie das. Eine surrealistisch-sehnsüchtelnde Auseinandersetzung mit digitaler Einsamkeit, bittersüße Electric Dreams mit der schönsten Frau des Planeten: What's not to like? Noch besser als die ungezügelte Vorfreude, ScarJo beim süßen Säuseln zuhören zu dürfen ist da die Verheißung, sie in dieser Spielzeit gleich noch vier weitere Male im Kino sehen zu können (wir werden noch darauf zu reden kommen). Wer nach Ende dieses Jahres noch immer nicht in sie verschossen sein wird, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen.

SEBASTIAN: Ich denke auch die im Trailer stark betonte putzig, softe Fluffigkeit von "Her" wird letztlich schon von etwas echter Wehmut geerdet werden. Ich bin da voller Hoffnung.

Her

Annapurna Pictures

"Her"

The Magnificent Andersons

CHRISTIAN: Weil wir bei "Her" gerade von der eventuellen Gefahr der zu großen Putzigkeit gesprochen haben – ich muss sagen, ich habe diesbezüglich auch bestimmte Bedenken bezüglich des neuen Wes Anderson. Lange brauchte ich, durch laue Hype-Lüfte hindurch, um mich diesem Filmemacher zu nähern. Bis die Skepsis irgendwann, und zwar mitten auf der Reise durch Indien im "Darjeeling Limited"-Express, in stürmische Verehrung umgeschlagen ist. Habe dann auch einst verschmähte Großtaten wie "Rushmore" pochenden Herzens neu entdeckt und bin voller Wehmut aus "Moonrise Kingdom" rausgetaumelt. Nun scheint mir aber, dass unser liebster Manierist seine Pingeligkeit bei "The Grand Budapest Hotel" zu sehr auf die Spitze getrieben hat. Oder seht ihr das ganz anders?

CHRISTOPH: Geht mir ähnlich, der Trailer ist in seiner kunterbunten Drolligkeit kaum auszuhalten. Schaut her, wie überdreht das alles ist! Wie schrullig! Könnte auch vom unseligen Jeunet sein. Jeden Moment meint man, die furchtbare Amelie (oder ihre aktuelle Nerv-Entsprechung Zooey Deschanel) um die Ecke kulleräugeln zu sehen.

The Grand Budapest Hotel

CentFox

SEBASTIAN: Ja, der erste Trailer zum "The Grand Budapest Hotel" hat mich auch erschreckt. Putzigkeit aus dem Setzkasten, die für mich schon in "Moonrise Kingdom" immer mal wieder aufbrandete und nun kein Halten mehr zu kennen scheint. Jedoch der zweite Trailer bügelte hier mit großer Lakonie wieder einige Bedenken aus. Ich freue mich drauf und sei es auch nur zwei Stunden in der gelben Hotel-Lobby auszuharren.

CHRISTOPH: Dennoch sehne ich mich doch eher dem nach "The Master" erfreulich schnell finalisierten nächsten überschäumenden Zusammenwirken von Autorenkino-Weiterbringer Paul Thomas Anderson und – da ist er ja erneut – Joaquin Phoenix entgegen: "Inherent Vice" nach der gleichnamigen atmosphärischen Noir-Annäherung des großen amerikanischen Schriftsteller-Phantoms Thomas Pynchon. Hört sich schon sehr nach größtmöglichem Glücksgewinn an.

CHRISTIAN: Schon der Gedanke daran verursacht wohliges Kribbeln. Kaum eine zeitgenössische Regisseurskarriere verläuft ja so spannend wie die dieses unglaublichsten aller Andersons. Alleine für seine Unberechenbarkeit und seine Ambition stets komplettes Neuland zu betreten, gehört P.T. ein kleiner Altar errichtet. Und auch für seinen Drang, das klassische amerikanische Erzählkino niemals irgendwelchen tagesaktuellen Moden zu opfern, es aber gleichzeitig künstlerisch komplett aus dem konservativen Korsett zu befreien.

"Ex Machina" (Alex Garland)
Der kongeniale Danny-Boyle-Ideengeber ("The Beach", "28 Days Later") versucht's im Alleingang – und legt seine erste Regiearbeit vor. Die hat zwar nichts mit dem gleichnamigen Comic zu tun, der Pitch vom weiblichen Roboter mit künstlicher Intelligenz klingt aber nach genau der Sorte smarter Sci-Fi, für die man Garland seit "Sunshine" so schätzt. (CP)

CHRISTOPH: Es wird sich übrigens noch ein weiterer, vielleicht nicht ganz so gut beleumundeter Anderson an einer Literaturverfilmung versuchen: Brad Anderson, nach seinem Durchbruchsfilm "The Machinist" weniger durch weitere Leinwandlichtblicke denn durch fortwährende Serienqualitätsarbeit in Erinnerung geblieben, hat Edgar Allen Poes Kurzgeschichte "Eliza Graves" adaptiert – unter anderem mit Michael Caine, Ben Kingsley sowie Kate Beckinsale in der Titelrolle. Wird die Augen vermutlich nicht nachhaltig zum Leuchten bringen, klingt aber zumindest aus Genre-Gesichtspunkten verheißungsvoll. Sebastian, dein Herz schlägt aber bei noch einem anderen Anderson höher, stimmt‘s?

SEBASTIAN: Kaum einer hat das Kino in den letzten Jahren weitergedacht wie Paul W.S. Anderson, der beinahe einzige, der 3D als ein neues künstlerisches Mittel begriffen zu haben scheint und damit neue Wege für das Erzählen findet. Ein Kino schafft, das in einzigartiger, neuer Art und Weise mit der Architektur verschmilzt. Seine Musketier-Verfilmung und insbesondere seine beiden letzten "Resident Evil"-Filme halte ich dahingehend für sprachlos machende Meisterwerke. Nun, wenn auch auf den bereits etwas überstrapazierten Sohlen des neuen Sandalen-Kinos daherkommend ein Film von ihm über die Zerstörung von Architektur: "Pompeii 3D" sowie dann gegen Ende des Jahres noch einmal reines Kunstkino in Form von "Resident Evil 6". Geil.

Pompeii

Sony

"Pompeii"

In Untergang und Zerstörung schwelgen

CHRISTIAN: Da du gerade "Pompeii 3D" angesprochen hast, bleiben wir doch bei der kunstvollen Destruktion. Und lasst mich kurz pathetisch werden. Ich nörgle ja immer wieder gerne über Menschen, die sich so knietief einzig in der popkulturellen Vergangenheit versenken, dass ich alleine bei ihren Erzählungen Depressionen kriege. Gerade deswegen bitte ich um Verzeihung für einen kurzen, hemmungslosen Nostalgieausbruch. Also: Godzilla, du Überheld meiner Kindheit, du Vernichtungsgott aus Nippon, der mich als Volksschüler schreiend über Papphochhäuser trampeln ließ, ich liebe dich. Und ich bin wirklich guter Dinge, dass du 2014 ein brachiales Comeback feiern wirst. Natürlich wird dich kein kleiner japanischer Mann im Latexanzug mehr spielen, leider. Aber deine CGI-Rückkehr via Hollywood liegt in den richtigen Händen. Wo Ketzer wie Roland Emmerich jämmerlich versagten, bemüht sich Gareth Edwards, den Mythos zu erneuern, mit angemessenem Ernst. Der Trailer ist ein Traum. Dein Look stimmt. Der Schrei auch. Ich zittere, Godzilla, bitte enttäusche mich nicht.

Godzilla

Legendary

CHRISTOPH: Apropos Zittern: Wir werden hier wohl nicht drumherum kommen, uns einem der bizarrsten Blockbuster-Trends des nächsten Jahres zu stellen. Da Hollywood-Studios bei großen Produktionen eben unkalkulierbare Risken meiden möchten wie der Teufel das Weihwasser, haben sie jetzt gleich in selbigem gebadet – und sich zusammen mit diversen Regiegrößen so mancher wahrer Geschichten der Bibelgemeinde angenommen. Es erwarten uns im Frühjahr noch Darren Aronofskys "Noah" und zum Ende des Jahres dann Ridley Scotts "Exodus". Nichts gegen alttestamentarischen Furor und/oder gepflegtes Spektakelkino: Ich beobachte das eigentümliche Treiben lieber mal aus sicherer Entfernung – und halte inzwischen Ausschau nach dem anvisierten, dann vermutlich wirklich transgressiven Jesus-Film von Saubartl Paul Verhoeven.

SEBASTIAN: Ein paar dicke Nägel durch die cineastischen Handflächen treiben, sprich: körperlich intensivste Filmerfahrungen verspricht auch die unmittelbar an den ersten Teil anschließende Fortsetzung zu "The Raid". Dann heißt es wieder Zähne zusammenbeißen bei Gareth Evans, dem Schmerzensmann des Bewegtfilms. Glaubt man den ersten Bildern ist "The Raid 2" ein theatralisch nach den Sternen greifendes Fest offener Knochenbrüche und Stichverletzungen. Kino, das dir unentwegt ins Gesicht tritt. Das dich dabei jeden Tritt spüren lässt. Auf der anderen Seite dann "300: Rise Of An Empire". Blut wieder mal als großes Gemälde. Wuchtige Körper von Pixelpinseln mit Rot besprenkelt. Dazwischen dann große, theatralische Reden vom Schlachten und der Poesie des Untergangs.

"How to Catch a Monster" (Ryan Gosling)
Ryan Gosling hat für sein Regie-Debüt, einen Familien-Horrorfilm über finstere Gruselwelten unter der Küchenspüle, den Kameramann Benoît Debie ("Spring Breakers", "Irreversible") gewinnen können und mit Saoirse Ronan, Christina Hendricks, Eva Mendes und sogar noch Barbara Steele mehr tolle Frauen als jeder andere Film in den kommenden 12 Monaten am Start. (SS)

CHRISTIAN: Wobei der erste "300" für mich ein überlanges Rammstein-Video in ödester "Matrix"-Ästhetik war und ich das diesbezügliche Historien-Action-Kino so lange verachte, bis der debile Bullettime-Effekt in der Mottenkiste gelandet ist. Aber mal sehen.

SEBASTIAN: Nach schier endlosem Auswalzen dieser Formel, inzwischen via "Spartacus" sogar schon im Fernsehen, wird der Film schon einiges auffahren müssen, um einen hier und heute noch zu packen. Wie ganz viele andere Filme in diesem 2014 - und auch das Fernsehen - setzt er dabei auf die so unnachahmlich entschlossen leuchtenden Augen von Eva Green. Sicher keine schlechte Wahl.

CHRISTOPH: Das Evangelium nach Eva werden wir, glaub ich, sowieso noch ausführlicher behandeln müssen. Bis es soweit ist erst einmal von den alten Griechen zurück in die Zukunft.

300: Rise Of An Empire

Warner

"300: Rise Of An Empire"

Science Faction

Vorschau auf das Filmjahr 2014

  • Teil 1: Die Rückkehr alter Meister, Thriller, unterschiedlichste Regie-Andersons und die aktuelle McConnaisance
  • Teil 2: Deutsche und österreichische Schätze, Indie-Horror und wahnwitzige Komödien.
  • Teil 3: Revolution, das Buben-/Mädchen-Ding, Geheimtipps und Lieblingsprojekte

CHRISTIAN: Freunde gigantomanischer Weltraum-Infantilitäten warten auf das "Star Wars"-Comeback 2015. Wer aber utopisches Kino liebt, das mit Naturwissenschaften und Philosophie kokettiert, kommt heuer auf seine Kosten. Wobei ich beim hymnisch aufgenommenen Trailer zu Wally Pfisters Regiedebüt "Transcendence" doch auch ein klein wenig reserviert bin. Der langjährige Stammkameramann von Christopher Nolan erzählt die Geschichte eines führenden Forschers im Bereich künstlicher Intelligenz, der nach einem Mordanschlag im Koma liegt und dessen Gehirn via Maschinen angezapft wird. Ich erwarte mir von dem Sci-Fi-Thriller mit Johnny Depp, Rebecca Hall und Paul Bettany ein fesselndes Update des muffig gewordenen Cyber-Genres, aber wohl keine echte Transzendenz und Kino-Revolution. Und ihr?

SEBASTIAN: Da mögen die Bilder noch so Nolan-haft immer den richtigen Ausschnitt finden und formschön im Blau schwelgen, ich bekomme da trotzdem nicht den "Rasenmähermann" aus dem Kopf, sprich: fühlt sich alles in allem dann doch nur in etwa so visionär an wie eine von "Max Headroom" moderierte Fernsehsendung über Musikvideos.

CHRISTOPH: Mir ist da tatsächlich auch als erstes der "Rasenmähermann" eingefallen, was dann nicht gerade die prickelndsten Assoziationsketten auslöst. Aber zumindest kriegt man Johnny Depp mal wieder ohne affige Kostümierung und affektiertes Overacting zu sehen.

Transcendance

Warner

"Transcendance"

CHRISTIAN: Ihr bringt es auf den Punkt. Vielleicht gibt es auch so viel Wohlwollen gegenüber Wally Pfister, weil er hier ausnahmsweise mal ohne seinen Chef arbeitet. Würde man eine Liste der erfolgreichsten, vom Feuilleton respektierten und gleichzeitig von Filmgeeks und Spezialisten am meisten gehassten Regisseure machen, hätte wohl Christopher Nolan den Spitzenplatz. Für mich bleibt er einer meiner liebsten Blockbustererneuerer und Mainstream-Visionäre und alleine die Tatsache, dass der perfektionistische Brite in "Interstellar" zu den Sternen aufbricht, auf den Spuren von Kubrick und Danny Boyle, macht mich unglaublich neugierig.

SEBASTIAN: An den ersten Bewegtbildern fällt auf, wie hier, ähnlich wie zuletzt schon bei dem von Nolan produzierten "Man of Steel", wieder so ein "Einfache Farmer vor Maisfeldern im Sonnenuntergang"-Kitsch, so ein "Die guten alten amerikanischen Werte"-Pathos heraufbeschworen wird. Aber man muss dabei gleichzeitig natürlich auch an die Pioniere in Philip Kaufmans wunderbarem "The Right Stuff – Der Stoff aus dem die Helden sind" denken und spürt dann schon, wie es einem eine Träne rausdrückt.

"Labor Day" (Jason Reitman)
Keine herzigen Coming-Of-Age-Storys mehr, keine poppigen Schnitte, keine bissigen RomCom-Anklänge. Jason Reitman ist erwachsen geworden und erzählt, mit Kate Winslet und Josh Brolin als (Alb-)Traumpaar, von einer alleinerziehenden und depressiven Mutter, die einem entflohenem Sträfling Schutz gewährt. Könnte eines der großen US-Dramen des Jahres werden. (CF)

CHRISTOPH: Ich glaube und befürchte allerdings fast, dass sich der strebsame Herr Nolan da ein wenig überhoben haben könnte bei seinem Versuch, einen jener Filme zu machen, die einem Gott und die Welt erklären wollen. So wie Aronofsky damals mit seinem "The Fountain". Lasse mich aber gern vom Gegenteil überzogen, während ich drauf warte, dass der Meister in dieser selten bespielten Liga, man spricht ihn mit Terry Malick an, einen seiner zirka drei frei durch die Luft schwirrenden halbfertigen Filme einzufangen imstande ist. Nolans interstellarer Mitstreiter Matthew McConaughey ist anscheinend einer der geschätzt vier Hollywood-Stars, die darin nicht vorkommen. Dafür aber ist er im kommenden Jahr fast überall sonst mit dabei.

Interstellar

Legendary

"Interstellar"

McConnaisance

SEBASTIAN: Große Vorfreude natürlich auf McConaughey, dessen beinahe beispielslose Energie schon in 2013 ein paar tiefe Brandspuren zurückließ und nun auch in den kommenden Monaten kein Halten zu kennen scheint. Neben interstellaren Höhenflügen hier sehen wir ihn noch als Aids-kranken Cowboy in "Dallas Buyers Club"nach dem Oscar greifen und der von euch, glaube ich, bereit sehr geliebte "Mud", kommt nun verdientermaßen endlich auch noch ganz regulär in die Kinos. Für HBO stand McConaughey dann sogar noch neben Woody Harrelson als "True Detective" in einer neuen Fernsehserie vor der Kamera.

CHRISTOPH: Bei mir klebt der kraftstrotzende und freudespendende "Mud" hoffentlich noch eine ganze Weile an den Stiefeln. Und dass das Serienjahr gleich mit so einem Feuerwerk losgehen wird, ist überhaupt ein momentan noch kaum einordenbarer Glücksfall. Überhaupt ist der zweite Frühling von McConaughey wie auch Harrelson ein Thema, dem man gar nicht genug Vor- und Momentanfreude widmen kann.

"The Lobster" (Yorgos Lanthimos)
Love is a strange animal – und manchmal muss man sich dann doch in ein solches verwandeln, um die ganz große zu finden. In eines mit Scherenhänden, mit Hundezähnen, in den Alpen. Can't wait. (SS)

CHRISTIAN: Ja, raus aus der RomCom-Hölle und rein in den Himmel der Southern Gothic Tales, dieser Schritt von Matthew "Killer Joe" McConaughey gehört zu den lässigsten Karriereschwenks. Woody Harrelson, der mit ihm verwandt sein könnte, pendelt ja schon immer zwischen mainstreamigeren Rollen und grimmig-schönem Deep Shit. In "Out Of The Furnace" von "Crazy Heart"-Macher Scott Cooper gibt er einen der fiesesten Bösewichte seiner diesbezüglich nicht armen Laufbahn, an der Grenze zur Karikatur. Der angemessene Ernst kommt von Christian Bale und Casey Affleck, die darin ein vom Leben extrem gepeinigtes Brüderpaar spielen, zwischen Stahlarbeiterjob, Irakkrieg und Gefängnis. Eine Working-Class-Geschichte, die fast schon zu heftig die Schicksalskeule schwingt, um tief zu berühren, leider auch mit Pearl Jam statt Springsteen als Soundtrack. Trotzdem sehenswert, der schmerzerstarrten Gesichter wegen.

Out Of The Furnace

Tobis

Demnächst in diesem Theater – der zweite Teil unserer Vorschau-Festspiele. Featuring deutsche und österreichische Schätze, Indie-Horror und wahnwitzige Komödien. Stay tuned!