Erstellt am: 10. 1. 2014 - 11:38 Uhr
Noch auf See
"I'm on a Boat" haben 2009 die fabelhaften The Lonely Island gemeinsam mit T-Pain in die Welt gebrüllt und liefern uns damit gleich die Ausgangslage von "All is Lost". Nur das "I", also das "Ich", ist wie gewohnt ein Anderer und in dem Fall ein ziemlich klasser Anderer: Robert Redford, der Hollywood-Sunnyboy der 1970er Jahre, der ewige Feschak und - für die weichen kalifornischen Verhältnisse - "unbequeme" Linke gibt den namenlosen Mann, der sich mit seiner kleinen Yacht namens "Virginia Jean" inmitten des indischen Ozeans befindet. Was der wohlverdiente Pensions-Ausflug eines Wohlverdienenden werden sollte, wird zum Überlebenskampf.
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Ein Loch im Rumpf
Ein im offenen Meer rumtreibender Container rammt das Schiff und reißt ein Loch in eine Seitenwand. Ein so seltsames wie faszinierendes Bild ist dieser halb unter der Wasseroberfläche befindliche Container, dessen Frachtgut - Turnschuhe - rund um ihn treibt. Wenn man gerade in Metaphernlaune ist, kann man ruhig zu einer "Pars pro Toto"-Deutung ansetzen: Irgendwann fällt auch dem gut situierten, weißen Mann die Globalisierung mit ihren billig produzierten Sneakers auf den Kopf. Für derartige Gedankenexperimente bleibt Redford aber keine Zeit, das durch das Loch im Rumpf hereinschwappende Wasser hat das Funkgerät ruiniert, Land ist weit und breit nicht in Sicht und selbst von befahrenen Seewegen ist er meilenweit entfernt. (Und im Gegensatz zu Pi im letzten Jahr hat er auch keinen Tiger zur Gesellschaft).
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Handwerk zum Überleben
Sowie "All is Lost" zum Beweis für das fantastische Handwerk des Drehbuchautors und Regisseurs JC Chandor wird, so muss auch Redfords Figur zum Handwerker werden. Handwerkliches Wissen und Können sind hier gleichbedeutend mit Überleben oder erhöhen zumindest die Chance. Das Loch im Rumpf wird zugekleistert, Wasser abgepumpt, Karten gelesen, auf den Kompass geguckt. Und der Schauspieler Redford ist - wie wahrscheinlich noch nie in seiner langen Karriere - ebenfalls zurückgeworfen auf sein schauspielerisches Handwerk. Es gibt weder Dialog, noch Voice-Over (außer kurz am Anfang) noch Rückblenden oder andere Figuren. Es bleibt nicht viel mehr übrig als Redfords Mimik und Gestik. Und so wie im Hochseethriller haben wir ihn noch nie gesehen. Seine Figuren strotzen üblicherweise vor Selbstvertrauen, das geht dem namenlosen Segler verständlicherweise zwischendrin verloren.
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Ikone und Everyman
Zweifel, Angst und Verzweiflung machen sich da breit, wo die Redford'schen Sommersprossen blühen und üblicherweise ein Lächeln strahlt. Schauspiel ist hier ein Kraftakt und ein uneitler noch dazu. Zum ersten Mal schaut Redford in einem Film tatsächlich so alt aus, wie er ist. Er wollte jemanden für diese Rolle, der gleichzeitig Ikone und Everyman ist, so JC Chandor, und auf wen trifft das eher zu als den ehemaligen Sunnyboy, der das strahlende Lächeln stets mit Bodenständigkeit kombiniert hat. Man nimmt ihm zwar auch den Dandy und Liebhaber ab, aber eben auch, dass er ohne mit der Wimper zu zucken den Abfluss reparieren kann. Nur leider ist an der Virginia Jean mehr kaputt als ein Abfluss und am Horizont zieht auch noch ein Sturm auf.
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Bestechende Reduktion
Ohne Seemannsgarn, ohne Haie, Seeungeheuer oder Piraten strickt Regisseur Chandor ein dichtes Spannungsnetz - aus Wind, Wetter und einem Mann in Sweatern und Strickpullis. Es ist ein Film wie aus einem Manufactum-Katalog - im besten Sinne. "All is Lost" ist auch ein Experiment in Sachen Reduktion. Sowie Sandra Bullock sich in "Gravity" ohne Außerirdische und fliegende Untertassen aus dem All zurück auf die Erde gekämpft hat, beginnt auch für Redford ein mühsamer Kampf, zurück in die Zivilisation zu kommen. Doch "All is Lost" ist weitaus radikaler in seiner Zurückgenommenheit und Vereinfachung. Über die Hauptfigur wissen wir so gut wie nichts, es gibt auch keinen schmähführenden George Clooney an seiner Seite für ein bisschen verbale Auflockerung, es gibt keine tragische Hintergrundgeschichte als Motivationsmotor. Redfords Figur will einfach nur überleben, die vielleicht wuchtigsten Momente des Films sind die, in denen sein Gesicht die Ahnung streift, dass sein Leben vorbei sein könnte.
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Nichteinmal das ständige Einfangen von der unendlichen Weite des Meeres braucht "All is Lost", um ein Gefühl für die Verlorenheit und Einsamkeit zu vermitteln. Noch radikaler als in seinem ersten Film "Margin Call" zelebriert Chandor die Einheit des Ortes. Irgendwann kennt man jede Schraube der kleinen Yacht, den großen Faltplan, die Konservendosen, den weißen Segelpulli. Chandor braucht keine hektischen Montagen, um Spannung zu erzeugen. Mit Geduld, die einem stellenweise an den Nervensträngen sägt, folgt man wiederholt Redford beim Waten durch die überflutete Kajüte, beobachtet ihn beim Suchen nach Werkzeug, folgt seinen hoffnungsvollen Blicken, ob denn da nicht doch irgendwo ein Schiff auftaucht.
Der Mann und das Meer
"All is Lost" startet am 10. Jänner 2014 in den österreichischen Kinos
"All is lost" ist ein eindrucksvoller Entwurf eines Mannes, der sich mit der Möglichkeit des baldigen Todes abfinden muss, eine packende Geschichte vom gar nicht so alten Mann und dem Meer. Ein schauspielerischer Triumph und ein erzählerisches, trotz seiner Reduziertheit vor Wucht strotzendes Wagnis, das einem am Ende tatsächlich auch noch die Gretchen-Frage stellt.
Ein fantastischer Film, um das Kinojahr 2014 zu beginnen und auch gute Vorbereitung für die Award-Season; bei den "Golden Globes, die am Sonntag verliehen werden, ist Redford als bester Schauspieler nominiert und eine Oscarnominierung steht wohl auch schon eher fest als in den Sternen.