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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

11. 12. 2011 - 11:26

Marionetten des Systems

Mit "In Time" und "Margin Call" nähert sich Hollywood auf höchst unterschiedliche Weise der Finanzkrise.

Unlängst, bei der Pressevorführung zum ziemlich formidablen Actionspektakel "Mission Impossible: Ghost Protocol", musste ich schmunzeln. Ganz dem lustigen Eskapismus verpflichtet, setzt Hollywood bei der Charakterisierung seiner Superschurken immer noch auf altbewährte Stereotypen.

Diabolische Irre, die entweder die Weltherrschaft an sich reißen oder den ganzen Planeten in Schutt und Asche bomben wollen, werden wohl nie aus der Mode kommen. Erst recht nicht in Zeiten, in denen die reale Bedrohung nicht von durchgeknallten Einzelgängern ausgeht, die sich dem Bösen verschrieben haben, sondern von einer Armee farbloser, kühl kalkulierender Businesstypen, die in extrem komplexen wirtschaftlichen Strukturen agieren.

Offensiv attackiert wurden die Investment-Banker und Spekulateure, die 2008 jenen Crash verursachten, dessen Folgen immer weniger abschätzbar werden, bislang nur in Dokumentationen wie "Inside Job" oder Michael Moores "Capitalism: A Love Story". In Genreproduktionen macht sich die Finanzkrise meist bloß als unterschwelliger Subtext bemerkbar, der TV-Serien oder diverse Apokalypse-Epen durchzieht.

Regisseur und Autor Andrew Niccol, der sich mit dem Genmanipulationsthriller "Gattacca" bereits als Spezialist für vielschichtige Dystopien empfohlen hat, versucht nun deutlichere Töne im Unterhaltungskino anzuschlagen. "In Time - Deine Zeit läuft ab" heißt sein Versuch, dezitierte Kapitalismuskritik mit poppigen Science-Fiction-Elementen zu verknüpfen.

"In Time - Die Zeit läuft ab"

Centfox

Zeit ist Geld

Der Aufhänger des Films: Schöne Menschen versuchen um jeden Preis nicht zu altern. Das mag sich zwar nach einer Beschreibung von Hollywood und seinen Bewohnern anhören, tatsächlich geht es in "In Time" aber weder um Botox noch Beauty-Operationen.

Justin Timberlake, der wohl endgültig die Schauspielerlaufbahn einschlägt, spielt Will Salas, einen aufrechten Ghettobuben in einem futuristischen Amerika. Die Menschen sterben in dieser nicht näher bestimmten Zukunft pünktlich am fünfundzwanzigsten Geburtstag, können sich aber zusätzliche Lebenszeit erarbeiten, erspielen oder stehlen.

Reiche Spekulanten werden in dieser Diktatur schon mal über hundert Jahre alt, die Armen sterben wie die Fliegen. Will Salas, der durch einen lebensmüden Zeitmillionär von den finsteren Hintergründen des Systems erfährt, wagt den Ausbruch. Der Rebell aus der Gosse entführt die Tochter eines korrupten Unternehmers und will sich mit Lösegeld Zeit erkaufen. Als sich das Kidnappingopfer aber auf Wills Seite schlägt, mutieren die beiden zu einem Terroristenpärchen, das Banken ausraubt, um das Zeitkapital an die unterdrückten Schichten zu verteilen.

Ein linksradikaler Actionreißer mit knalligen Sci-Fi-Schauwerten, das möchte "In Time" gerne sein. Aber so richtig funktioniert die Mischung aus Botschaft und Brachialität nicht. Man wird den Verdacht nicht los, dass das Drehbuch nur grünes Licht bekam, um möglichst viele hübsche Stars wie Justin Timberlake, Amanda Seyfried oder Olivia Wilde in einem Film zu versammeln.

"In Time - Die Zeit läuft ab"

Centfox

Eisiges Kammerspiel

Ein ganz anderes, kaum vergleichbares Kaliber ist ein kleiner Independentfilm, der mit seiner Besetzung allerdings an die oberste Hollywood-Kategorie andockt. "Margin Call - Der große Crash" passt punktgenau zu aktuellen ökonomischen Katastrophenszenarien.

Wenn sich Oliver Stone an die Wall Street begibt, dann findet er dort neben zwanghafter Gier auch jede Menge Glamour. Tauchen glühende Aufdecker wie der eingangs erwähnte Michael Moore ins Finanzhai-Becken, dann färbt sich das Wasser schnell blutrot vom kapitalistischen Gemetzel. "Margin Call" verzichtet dagegen auf charismatische Stilisierungen wie auch eindeutige Dämonisierungen.

Jungregisseur J.C. Chandor inszeniert in seinem Debütstreifen den großen Crash mit bewusster Zurückhaltung, als eisiges Kammerspiel in funktionalen Büroräumen. In zwei Stockwerken eines New Yorker Wolkenkratzers entscheidet sich innerhalb von 24 Stunden das Schicksal der Weltwirtschaft. Jede Ähnlichkeit mit der Finanzkrise anno 2008 ist beabsichtigt.

Margin Call - Der große Crash

Filmladen

The Downward Spiral

In Chandors Version der Börsenkatastrophe beginnt alles mit einer Massenkündigung in einer Investmentfirma. Ein gefeuerter Risikomanager (der große Stanley Tucci) übergibt vor dem Rauswurf noch einen USB-Stick mit Daten an einen jungen Kollegen (Zachary Quinto). Als der smarte Bursche am Abend noch schnell einen Blick darauf wirft, bekommt er es mit der Angst zu tun.

Den Protagonisten in ihren schmucklosen Businessanzügen steht eine lange Nacht bevor. Der Reihe nach werden die Führungspersonen in dem Unternehmen alarmiert, bis hin zum obersten Konzernchef. Die Zahlenkolonnen, die auf den Bildschirmen ablaufen, verkünden nicht nur den finanziellen Untergang der Firma. Bei näherer Betrachtung durch herbeigeholte Analytiker droht ein Dominoeffekt, der das ganze Finanzsystem zu Fall bringen könnte.

Margin Call - Der große Crash

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Realer Horror

Wer spätestens jetzt eine spröde Reflexion über die Abgründe der Ökonomie befürchtet, irrt sich gewaltig. Denn auch wenn "Margin Call" glücklicherweise auf dramatische Hollywood-Wendungen verzichtet, langweilig wird einem keine Minute.

Ganz im Gegenteil. Spätestens wenn sich die Jung- und Alt-Banker in ihrem Turm aus Glas und Stahl dem Ausmaß des Desasters bewusst werden, macht sich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube des Zusehers breit. Hier geht es nicht um fiktive Schreckgespenster, sondern um einen ganz realen Horror, der uns alle mehr denn je betrifft.

Die konstante Spannung transportiert sich in "Margin Call" über ein Ensemble, das seine Virtuosität selten aufdringlich ausspielt. Neben Stanley Tucci und dem aus "Star Trek" bekannten Zachary Quinto geben Paul Bettany, Kevin Spacey, Simon Baker oder auch Demi Moore (subtil wie nie) den Bank-Hasardeuren ein nüchternes, normales Gesicht. Einzig Jeremy Irons lässt als Oberboss kurz hinter die Fassade des Raubtierkapitalismus blicken.

Ein Film ohne gestikulierenden Zeigefinger, ohne hasserfüllte Schuldzuweisungen oder gar Ansätze von Lösungen. Gerade das macht "Margin Call" aber noch beklemmender. Denn in diesen brav gehorchenden Marionetten des Systems finden wir vielleicht mehr Facetten von uns selbst als uns lieb ist.

Margin Call - Der große Crash

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