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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

16. 12. 2013 - 12:28

Vorratsdatenspeicherung bleibt bis 2017

So lange werde es dauern, um die EU-Richtlinie so zu gestalten, dass sie der EU-Grundrechtecharta entspreche - Völkerrechtsprofessor Erich Schweighofer im Gespräch.

De facto werde sich an der Praxis der Vorratsdatenspeicherung bis 2016 nicht viel ändern, sagte der Wiener Völkerrechtsprofessor Schweighofer zu ORF.at. So lange brauche es mindestens, bis Kommission, Rat und Parlament die Richtlinie neu gefasst hätten und 29 nationale Parlamente dann diesbezügliche Novellen beschlossen hätten. Womöglich werde das auch erst 2017 der Fall sein.

Am Donnerstag hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) durch seinen Generalanwalt festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung die Grundrechtecharta der EU verletze. Wenn das für das Frühjahr 2014 erwartete Urteil des EuGH erwartungsgemäß der Rechtsmeinung des Generalanwalts folge, sagte Schweighofer weiter, dann sei es nunmehr völlig unwahrscheinlich, dass die Richtlinie direkt gekippt werde.

Nur Prinzipien festlegen, vernünftige Zeiträume

Vielmehr werde diese von Anbeginn umstrittene Maßnahme so lange beibehalten, bis eine neue Richtlinie beschlossen sei. Der Generalanwalt hatte empfohlen, die Richtlinie "innerhalb eines vernünftigen Zeitraums" so umzugestalten, dass sie mit der EU-Charta vereinbar sei. Der EuGH werde im Frühjahr "nur die Prinzipien dafür festlegen, nicht aber die entscheidende Wertung der Verhältnismäßigkeit vornehmen", sagte Schweighofer.

Der zugehörige Bericht von ORF.at

An der fehlenden Verhältnismäßigkeit hatte der Generalanwalt dann auch angesetzt. Die "Einschränkungen der Grundrechtsausübung" durch die Vorratsdatenspeicherung müsse "mit unabdingbaren Grundsätzen (...) zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Auswertung" einhergehen, heißt es in dem Gutachten. Gemeint ist damit, dass die explizit für die Verfolgung von Terroristen und Schwerkriminellen "auf Vorrat" gespeicherten Daten nur zu diesen Zwecken herangezogen werden dürfen.

Blick durchs Schlüsselloch

APA/dpa-Zentralbild/Hans-Jürgen Wiedl

Die europäische Praxis

Das steht in krassem Gegensatz zur derzeitigen Praxis, denn quer durch Europa wird auf die Vorratsdaten schon bei minderen Straftaten zugegriffen. Die Anti-Terror-Maßnahme wird gegen Betrug, Diebstahl und andere Delikte aufgefahren, die mit Terrorismus nichts zu tun haben.

So auch in Österreich, wo seit 2012 ab einem Strafrahmen von einem Jahr auf diese Daten zugegriffen werden kann. Zwischendurch hatte man im Justizministerium gar erwogen, auch Urheberrechtsverletzungen einzuschließen.

Im November 2012 stand die Pauschalüberwachung aller Bürger zuletzt auf der Agenda des Nationalrats. Das Justizministerium wollte die Vorratsdatenspeicherung auf Tauschbörsenbenutzer ausweiten.

"Ausweitung abzulehnen"

Wie die Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen der Grünen an Innen- und Justizministerium zeigen, sind Diebstähle dabei das weitaus häufigste abgefragte Delikt. Doch sogar da ist der Nutzwert verschwindend, ausgewiesen wurden gerade einmal 16 Fälle pro Jahr, bei deren Aufklärung die Vorratsdaten eine Rolle spielten. 2012 wurden in Österreich laut offizieller Kriminalstatistik knapp 2,4 Millionen Diebstahlsfälle registriert.

Aus rechtstaatlicher Sicht sei diese "Ausweitung auf andere Delikte abzulehnen", sagte Schweighofer. Wie das Gutachten zeige, teile auch der Generalanwalt des EuGH diese Rechtsansicht. "Langfristig entscheidend für eine positive Bewertung der Verhältnismäßigkeit" sei aber dann die "nachgewiesene Effizienz" der Vorratsdatenspeicherung.

Effizienz, Einheitlichkeit

Quer durch die EU konnte bis dato kein einziger Mitgliedsstaat die von der EU-Kommission wiederholt eingeforderten Statistiken liefern, die den behaupteten Nutzwert der Vorratsdatenspeicherung untermauern würden - von tatsächlich mit Namen, Daten und Fakten belegten Einzelfällen von Terrorismus gänzlich abgesehen.

In den USA sind diese Metadaten, um die sich die gesamte Debatte in Europa dreht, zum Abgriff durch Geheimdienste und Privatfirmen freigegeben. Rechtsgrundlage dafür ist ein Urteil des Obersten US-Gerichtshofs aus dem Jahr 1979.

Die Richtlinie mit der die Unschuldsvermutung, ein zentrales rechtsstaatliches Prinzip, auf den Kopf gestellt wurde, datiert aus dem Jahre 2006. In einer ganzen Reihe europäischer Staaten ist sie seit mehr als fünf Jahren gültiges, nationales Recht, in Deutschland und mehreren anderen Staaten wurden die entsprechenden nationalen Gesetze von den Verfassungsgerichten wiederum außer Kraft gesetzt.

Frau telefoniert vor grüner Matrix

APA/HANS KLAUS TECHT

Vielfalt, Uneinheitlichkeit

Der europäischen Vielfalt ist damit aber noch nicht genug: Die aus der Richtlinie abgeleiteten nationalen Gesetze sehen hier Speicherpflichten von sechs Monaten vor, anderswo sind es zwei Jahre, der Rest Europas ist sozusagen einjährig.

Ebenso uneinheitlich ist, ob überhaupt und wie Telefonie- und Internetbetreiber für den Aufwand entschädigt werden. Die Richtlinie von 2006 aber war als "Harmonisierung des Binnenmarkts" gestartet, damit die Telekomprovider überall in Europa gleiche Bedingungen hätten.

Das Prozedere am EuGH wurde durch Klagen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und von anderen Beteiligten in Österreich ausgelöst. Mehr als 11.000 Bürger hatten sich der Klage vor dem Verfassungsgerichtshof angeschlossen, der in der Folge den EuGH um grundsätzliche Klärung bat.

Obstruktion und Politik

Sobald nun das Urteil des EuGH vorliegt, sind - beginnend mit der Kommission - erst einmal die EU-Institutionen am Zug. In erster Linie muss auf dieser Ebene definiert werden, was neben Terrorismus noch ein "schweres Verbrechen" ist. Weil das bei der Richtlinie 2006 nicht gelungen war, wurde sie ohne diese Definition umgesetzt. Die Folge war, dass es in Ungarn, Polen und anderen Staaten überhaupt keine Zugriffsschwellen gibt und dort auf Daten auch bei minderen Urheberrechtsverstößen zugegriffen wird.

Das waren durchaus gewollte Folgen einer Obstruktionspolitik europäischer Staaten, die vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush en gros als "New Europe" oder auch "Coalition of the Willing" bezeichnet worden waren. Man wollte damals "schwere Straftaten" gar nicht definieren, das muss jetzt nachgeholt werden.

Netzwerkkabel am Computer

small realm __CC(http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de)__

Wie es schön langsam weitergeht

Als Nächstes sei also "die europäische Gesetzgebungsmaschinerie erneut gefragt", so der Völkerrechtler und Rechtsinformatiker Schweighofer weiter. Danach kämen immerhin 29 nationale Parlamente, die ebenso viele Gesetzesnovellen verabschieden müssten. Der Status quo - europaweite Anti-Terror-Gesetze, die so weit gefasst sind, dass sie auf Urheberrechtsverletzer und Demonstranten, Handydiebe und Kleinbetrüger angewendet werden - wird Europa also bis 2017 erhalten bleiben.