Erstellt am: 28. 11. 2012 - 16:07 Uhr
Justizministerium: Vorratsdaten gegen Filesharer
Im Justizausschuss des Nationalrats hat am Mittwoch Vormittag ein Expertenhearing zum Thema Vorratsdatenspeicherung (VDS) stattgefunden. Die Anhörung ist eine Folge der parlamentarischen Bürgerinitiative, die von der Organisation Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) auf den Weg gebracht wurde. Die Medien waren nicht zu dem Hearing zugelassen. Der AK Vorrat hat auch, mit Unterstützung des Grünen Justizsprechers Albert Steinhauser, eine Beschwerde gegen die VDS am Verfassungsgerichtshof vorgebracht.
Begehrlichkeiten der Medienindustrie
"Insider-Berichterstattung" aus dem Ausschuss:
106.067 Unterschriften hat der AK Vorrat gegen die Vorratsdatenspeicherung gesammelt. Die Empörung über die VDS ist deshalb so groß, weil sie tief in das Kommunikationsgeheimnis aller Bürger eingreift. Im Rahmen dieser Maßnahme, die auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 zurückgeht, werden die Provider dazu verpflichtet für sechs Monate lang alle Internet- und Mailverbindungs-, sowie Handystandortdaten verdachtsunabhängig zu speichern und zu Fahndungszwecken bereitzustellen. Die Inhalte der Kommunikation werden dabei nicht erfasst, aber speziell die Handydaten lassen sehr konkrete Rückschlüsse auf das Kontaktnetz und das Bewegungsverhalten von Personen zu.
Dieser Datenschatz weckt Begehrlichkeiten. Obwohl die Vorratsdatenspeicherung unter dem Label der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten und Schwerstkriminalität eingeführt wurde - was praktischerweise in der EU-Richtlinie selbst nicht ausreichend deutlich verankert wurde -, will die Medienindustrielobby die Daten dazu nutzen, Filesharer aufzuspüren - im kommenden Frühjahr will das Justizministerium seinen Entwurf für das überarbeitete Urheberrecht vorstellen.
Innenministerium: "Wichtiges Instrument"
"Nach geltender Rechtslage ist das nicht möglich", so Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums gegenüber ORF.at, "Für die Klärung von schweren Verbrechen ist die Vorratsdatenspeicherung ein wichtiges Instrument. Die Daten haben Bedeutung bei der Aufklärung krimineller Netzwerke und Kinderpornographie im Internet. Der Rechtsschutz ist detailliert und angemessen." Grundböck unterstreicht, dass es mit der VDS nun klare Regeln für den Zugriff auf die von den Providern gespeicherten Daten gebe. Vor Inkrafttreten der VDS am 1. April dieses Jahres mussten die Provider nach Ablauf der Zeitspanne, die sie für die Abrechnung brauchten die Verbindungsdaten löschen.
APA / Georg Hochmuth
Unter Bezug auf einen Sprecher des Justizministeriums twitterte Albert Steinhauser aus dem geschlossenen Ausschuss, dass es bisher 168 Fälle von Auskunftsbegehren von Vorratsdaten gegeben habe, laut Innenministerium habe man vier Mal IP-Zuordnungen und fünf Mal von der Möglichkeit der Standortermittlung Gebrauch gemacht. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Behörden bei "Gefahr in Verzug" auch über das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) auf IP-Adressen und Standortdaten zugreifen können - ohne richterlichen Beschluss, lediglich unter Aufsicht des Rechtsschutzbeauftragten im Innenministerium, aber dafür unter etwas strengeren Auflagen, so dürfen die Daten nicht älter als drei Monate sein.
Die Parlamentskorrespondenz, die aus dem Hearing berichten durfte, zitiert Gottfried Strasser, den Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums, mit der Aufschlüsselung der Fälle, bei denen mit Hilfe von Vorratsdaten ermittelt worden sei. Es seien ihm bis 27. November 188 Abfragefälle vorgelegt worden. Ende Oktober seien es 168 gewesen, wobei in einem Fall ein Widerruf erfolgt sei. In drei Fällen dieser 168 Fälle sei es es um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und in 10 um Vergewaltigungen gegangen. In 19 Fällen sei bisher eine Aufklärung erfolgt, darunter in sieben Stalkingfällen. Man habe einen Mord mit Hilfe der Vorratsdaten klären können, weil dabei auch ein Mobiltelefon gestohlen worden sei, so Strasser.
Scharfe Kritik an Rechtsschutzbeauftragten
Die Rechtsschutzbeauftragten hätten sich bei dem geschlossenen Hearing als Vertreter ihrer Ministerien geriert, so Andreas Krisch, Vorsitzender des AK Vorrat. "Angesichts der Tatsache, dass die Rechtsschutzbeauftragten der seidene Faden sind, an dem die rechtsstaatliche Argumentation der Regierung hängt, ist das enttäuschend", so Krisch. Der Rechtsschutzbeauftragte des Justizministeriums habe lediglich die Zahlen referiert, die ihm das Ministerium vorgelegt habe und auf Nachfrage nach Details geantwortet, dass er sich dann den Akt zu dem angefragten Fall hätte kommen lassen müssen. Eigentlich, so Krisch, sollten die Rechtsschutzbeauftragten die Tätigkeit der Ministerien auf ihre Grundrechtskonformität hin prüfen.
Einigkeit in der Regierung
Laut Krisch habe Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium, vor dem Ausschuss zu Protokoll gegeben, dass man tatsächlich im Rahmen der Urheberrechtsreform daran denke, die Vorratsdaten zu verwenden, um an Namen und Adressen von Filesharern heranzukommen, die unautorisiert geschützte Mediendateien tauschen. Auch Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) habe sich die Zeit genommen, das Hearing von Anfang bis Ende mitzuverfolgen, sie habe sich aber nicht dazu geäußert. Krisch kritisierte die Überlegungen des Justizministeriums scharf: "Schon nach wenigen Monaten soll die Vorratsdatenspeicherung ausgeweitet werden. Mit Terrorbekämpfung hat das nichts mehr zu tun."
ORF.at, Günther Hack
Hart ins Gericht ging Krisch auch mit der SPÖ: "Wir wollten den Sozialdemokraten, die sich in der Öffentlichkeit oft gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben, eine Steilvorlage liefern, das Problem anzupacken und die Regierung dazu zu bringen, auf EU-Ebene Verbündete gegen den Grundrechtseingriff zu suchen." Noch während der laufenden Pressekonferenz ging Albert Steinhauser auf seinem Blog mit der Meldung an die Öffentlichkeit, dass SPÖ und ÖVP der Regierung keinen Auftrag für Gespräche zur Reform der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene geben wollen. Krisch: "Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts hat dies vorgeschlagen, konnte sich aber nicht gegen die ÖVP-geführten Ministerien des Inneren und der Justiz durchsetzen." Auch die vom AK-Vorrat geforderte Überprüfung der Terrorgesetzgebung sei demnach abgeschmettert worden.
Fall liegt vor dem EuGH
Über die AK Vorrat beim Justizausschuss berichtet auch Julia Gindl in der FM4 Homebase (19-22h)
Den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung bleibt noch eine große Hoffnung. Im Sommer hat der irische High Court eine Beschwerde der Bürgerrechtsorganisation Digital Rights Ireland zum Vorabentscheidungsverfahren an den Europäischen Gerichtshof übermittelt. Im Rahmen dieses Verfahrens soll erstmals geklärt werden, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist, der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum Primärrecht der Union zählt. Der AK Vorrat hat mit Christof Tschohl als Hauptbeschwerdeführer auch eine Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof eingebracht, die dieser in der laufenden Session (bis 14. Dezember) weiter beraten will.
Auf Anfrage von ORF.at sagte eine Sprecherin des EuGH, dass die Stellungnahme des Generalanwalts zu diesem Fall im Frühjahr 2013 erwartet werde, ein Termin dafür stehe noch nicht fest. Das Verfahren könne insgesamt bis zu 18 Monate dauern. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat angekündigt, die umstrittene Richtlinie ändern zu wollen, vorgelegt hat sie aber auch Monate nach der Ankündigung noch nichts. In der Zwischenzeit wird die Vorratsdatenspeicherung Teil der europäischen Normalität.