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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

15. 4. 2013 - 13:26

"Vorratsdatenspeicherung mit Terrorelementen"

Der Wiener Anwalt Gerald Otto sieht gute Chancen, seine Klage vor dem EuGH gegen die Vorratsdatenspeicherung als Ganzes zu gewinnen und findet dabei deutliche Worte.

"Wir haben geklagt, weil wir zutiefst davon überzeugt sind, dass die Eingriffe in die persönliche Freiheit durch die Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig sind" sagte der Wiener Rechtsanwalt Gerald Otto zu ORF.at.

Otto hatte im Namen seines Mandanten Michael Seitlinger eine Individualklage beim EU-Gerichtshof gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eingebracht. "Wir haben uns für diese Möglichkeit entschieden, weil wir detailliert darlegen wollten, wie sich diese Maßnahme ganz konkret auf einen einzelnen, unbescholtenen Staatsbürger auswirken kann", so Otto weiter.

Gerald Otto

Gerald Otto

Gerald Otto

Mitte März hatte der EuGH nun alle klagenden Parteien (siehe unten) zur Stellungnahme aufgefordert.

Die Regelungen der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verletzten ganz offensichtlich die Grundrechte seines Mandanten, insbesondere nach Artikel 7, 8, 11, 20 der EU-Grundrechtecharta, heißt es im Antwortschreiben Ottos an den EuGH. Die EU-Grundrechts-Charta ist seit dem Jahr 2000 in Kraft, der weit älteren, inhaltlich verwandte Menschenrechtskonvention, die auch von Nicht-EU-Staaten unterzeichnet wurde, ist Österreich bereits 1956 beigetreten.

"Richtlinie mit Elementen des Terrorismus"

"Die gegenständliche Speicherpflicht bewirkt ... faktisch eine anlasslose und ständige Überwachung der Gesellschaft" heißt es in der schriftlichen Stellungnahme von Seitlinger und Otto: "Damit schränkt die Richtlinie die über die letzten Jahrhunderte erkämpfte Freiheit vor staatlicher Überwachung und Repression der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sowie die gesellschaftliche Lebensweise des Einzelnen erheblich ein."

Die Grundrechtecharta ist Rechtsbasis der Europäischen Union. Die "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" ist gut 50 Jahre älter. Verabschiedet wurde sie im Europarat, dem 47 Staaten angehören, u.a. Russland und die Türkei.

Die EU-Richtlinie unterstütze daher "weniger den Kampf gegen den Terrorismus als sie vielmehr einer Submission vor dem Terrorismus" gleichkomme. Ziel jedes politischen Terrors gegen demokratische Regierungen sei ja bekanntlich die Einschränkung von Freiheitsrechten.

"Zugleich weist die Richtlinie selbst Elemente eines Terrorregimes auf", heißt es recht unverblümt im Schreiben des Wiener Rechtsanwalts. Gemeint ist die Verunsicherung und das Gefühl, überhaupt nicht mehr unbeobachtet kommunizieren zu können.

Wie die anderen Kläger, in erster Linie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AKVorrat), dessen Begehr sich mehr als 11.000 Österreicher durch Vollmachten angeschlossen hatten - 100.000 weitere hatten eine gleichlautende Onlinepetition unterstützt - fühlt sich Kläger Michael Seitlinger in seinen Grundrechten durch die Richtlinie eingeschränkt.

EU-Grundrechtecharta, EU-Ministerrat

Den Weg zu dieser Klage vor dem EuGH im Luxemburg hatte der österreichische Verfassungsgerichtshof bereitet, der alle erwähnten Klagen an den EuGH zur Vorabklärung weitergereicht hatte. Der Europäische Gerichtshof wurde von den Österreichischen Verfassungsrichtern im Herbst 2012 ersucht, die Verträglichkeit der Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta eindeutig zu klären.

Die im März ergangenen Aufforderungen zur Stellungnahme an die klagenden Parteien - die Antwortfrist war Anfang April ausgelaufen - war natürlich auch an jenes EU-Gremium ergangen, von dem die Initiative zur Vorratsdatenspeicherung gekommen war. Der EU-Ministerrat - also die 27 nationalen Innen- und Justizminister - hatte im März ebenso beschlossen, Stellung zu nehmen. Die Rechtsvertreter des Ministerrats würden ihre Argumentation jedoch darauf beschränken, die Gültigkeit der Richtlinie zu verteidigen und sich nicht auf Interpretationsfragen einlassen, heißt es im diesbezüglichen Beschluss des Rats.

Dieser Beschluss des EU-Ministerrats war exakt so erwartet worden, wie er ergangen ist. Die Stellungnahme Seitlingers wiederum könne nicht im Volltext an die breite Öffentlichkeit getragen werden, da der Lebensalltag seines Mandanten darin eine zentrale Rolle spiele, sagt sein Anwalt. Dass gerade diese private Lebenswelt geschützt werde, sei wiederum Gegenstand der Klage gewesen. Die Stellungnahme des AK-Vorrat , die von 11.000 Mitklägern und 100.000 Unterzeichnern getragen wird, ist naturgemäß öffentlich.

Mündliche Verhandlung angestrebt

Genau solche Interpretationsfragen aber wollen Gerald Otto und Michael Seitlinger aber beantwortet wissen: "Es gibt die Möglichkeit eine mündliche Verhandlung zu beantragen und die werden wir nützen", sagt Otto, der sich auch zuversichtlich zeigte, dass dem Antrag auf so eine Verhandlung seitens des EuGH stattgegeben werde.

Was der Wiener Anwalt dann in Luxemburg vortragen wird, ist der Fall seines Mandanten, der als Manager im Telekombereich arbeitet und deshalb mit der Problematik der Speicherung und Absicherung so sensibler und vor allem umfassender Datenmengen vertraut ist. Die vielen Möglichkeiten der Umgehung dieser umstrittenen Maßnahme, die anderen Staatsbürgern aber auch allen Kriminellen offen stehen, sind Angestellten der Telekombranche de facto verwehrt.

Die Zwickmühle in der Telekombranche

Der gängigste Weg, die Verteilung der eigenen Kommunikation auf mehrere Anbieter, ist Angestellten im Telekombereich nämlich verschlossen, wollen sie nicht in Konflikt mit ihrem Arbeitgeber geraten.

Wenn ein solcher Angestellter Verträge zur Nutzung von Wertkartenhandys oder Internettelefonie, für E-Mailservices oder gar den kompletten Internetanschluss mit Konkurrenzfirmen schließt, dann wird das seinen Vorgesetzten gar nicht gefallen, so sie Kenntnis davon erlangen. Es könnte unschwer als Misstrauensvotum gegen die eigene Firma interpretiert werden, die wiederum gesetzlich verpflichtet ist, "auf Vorrat" zu speichern und diese Daten so gut wie möglich zu sichern.

Verteilung der eigenen Daten auf mehrere Anbieter und gezielter Wechsel der Kommunikationskanäle machen die Analyse von Verkehrsdaten und damit "Profiling" schwierig bis unmöglich. Damit aber sinkt auch die Gefahr für den Betroffenen erheblich, dass seine Daten missbraucht werden, wenn sie auf mehrere Datenbanken verschiedener Anbieter, die untereinander keine Daten austauschen, verteilt werden.

Wer aller ausgenommen ist

Das Problem betrifft Mitarbeiter aller größeren Untertnehmen im IT- und Telekombereich. Kleinunternehmen, die etwa Internettelefonie, Mailservices oder Webzugang über ein Virtual Private Network anbieten, sind in Österreich aber auch in mehreren anderen EU-Staaten vom Speicherzwang befreit.

Da WWW-Daten außer der jeweiligen IP-Adresse des Benutzers nicht einbezogen werden dürfen - dies käme einer inhaltlichen Totalüberwachung gleich - wird auch der Webmailverkehr nicht erfasst. Außer natürlich, wenn eine solche Mail an einen Mailkonto geht, das wiederum unter die Vorratsdatenspeicherung fällt.

Tausende Mitarbeiter von Telekoms und Internetanbietern stehen vor dem Dilemma, dass ihnen de facto überhaupt keine Möglichkeit mehr für unbeobachtete elektronische Kommunikation über welchen Kanal auch immer bleibt.

Wie man gläsern wird

Ihre Kommunikationsaktivitäten des Arbeitslebens - vor allem E-Mails im Volltext - werden natürlich firmenintern vollständig festgehalten. Die Verkehrsdaten ihrer Freizeitkommunikation wiederum müssen von derselben Firma, in der sie arbeiten und bei der sie gleichzeitig Kunden sind, in einer dafür eingerichteten Datenbank abgelegt und dort sechs Monate vorgehalten werden. Diese Datenbank hat natürlich einen Gateway zu den Behörden, dass die Strafverfolger auf diese Daten zugreifen können.

Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte, Journalisten etc. müssen im Umgang mit Informanten und Klienten zu konspirativen Kommunikationsmethoden greifen, die Berufsverbrecher oder Agenten jetzt schon nutzen.

Die mithin einzigen breit verfügbaren Kommunikationsformen, die nicht unter Vorratsdaten fallen, sind Telefonate über Diensteanbieter wie Ѕkype, Mails von Webmailkonten zu Webmailkonten, oder Online-Chats in sozialen Netzwerken. Überall dort aber werken die Analysealgorithmen der Anbieter, deren Geschäftsgrundlage ja die Analyse der Kommunikationsdaten ihrer "Kunden" ist.

Beobachtet auf Schritt und Tritt

Die Verkehrsdaten samt den Inhalten der privaten Kommunikation dann bei Google, Facebook oder Microsoft abzugeben, ist logischerweise keine Alternative, um die Vertraulichkeit der Daten zu gewährleisten. Ganz zu schweigen davon, dass die Daten auf Server landen, die allen 14 US-Geheimdiensten laut "Foreign Intelligence Surveillance Act" offen stehen.

Angesichts der geschilderten Gegebenheiten könne im Fall eines Angestellten aus dem Telekomsektor wohl nicht mehr von "Achtung des Privat- und Familienlebens und der Kommunikation" die Rede sein, wie sie Artikel 7 der EU-Grundecharta festgehalten sind, sagt Otto.

Ebenso sei der "Schutz personenbezogener Daten" von Artikel 8 schwer beeinträchtigt und das darin verankerte Auskunftsrecht sei ebenfalls nicht gegeben, wie auch die freie Meinungsäußerung sowie Informationsfreiheit eingeschränkt würden, wenn sich Betroffene auf Schritt und Tritt beobachtet fühlten.

Optimismus zum Ausgang

Mit einer Entscheidung des EuGH ist frühestens in einem Jahr zu rechnen, die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt dort nämlich 23 Monate. Was den möglichen Ausgang des Verfahren angeht, so ist Gerald Otto optimistisch.

"Wir können uns eigentlich nicht vorstellen, dass der EuGH diese schwerwiegenden Argumente - wie den Verstoß gegen mehrere Grundrechte - nicht berücksichtigt" so der Wiener Anwalt abschließend. "Es ging uns auch nie darum, die eine oder andere Form der Umsetzung zu diskutieren. Wir wollten Anfang an nur das Große und Ganze und eine einzige Frage zur Vorratsdatenspeicherung vollständig klären: Darf das denn bitte überhaupt sein?"