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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

11. 12. 2013 - 13:58

Babyshambles mit Lausbubencharme

Gestern im Gasometer: Pete Doherty hat Spaß trotz Dienstleistungspflicht, Becherwurf und Hitler.

Babyshambles, 10. Dezember 2013, Gasometer Wien

34 ist er mittlerweile. Pete Doherty, in den Nullerjahren prägende Figur der britischen Gitarrenmusik und A-List-Skandalnudel. Vom Boulevard bereits des Öfteren für komplett tot erklärt, von der Musikpresse immer mal wieder für zumindest musikalisch tot.

Tracklist ohne Gewähr

1. Delivery (Shotter's Nation)
2. Nothing Comes To Nothing (Sequel To The Prequel)
3. Seven Shades (Sequel)
4. I Wish (The Blinding)
5. Fall From Grace (Sequel)
6. The Man Who Came To Stay (Kilimangiro B-Seite)
7. Penguins (Sequel)
8. Fireman (Sequel)
9. Kilimangiro (Down In Albion)
10. Farmer's Daughter (Sequel)
11. 8 Dead Boys (Down In Albion)

(Zugabe)

12. Maybeline (Sequel)
13. Pipedown (Down In Albion)
14. Gang Of Gin (Up The Shambles)
15. Down In Albion (Down In Albion)
16. Fuck Forever (Down In Albion)

Das Beteuern seiner langjährigen Fans, dass hinter der Fassade des Bad Boys, des Außenseiters, ein missverstandener Poet und ein unterschätzter Songschreiber steckt, haben wir in dieser Zeit oft gehört. Und im Lauf der Jahre wohl ein bisschen den Glauben daran verloren, dass Pete Doherty tatsächlich mal ohne Drama und ohne Skandale ein kreatives Künstlerleben in einigermaßen geregelten Bahnen wird führen können.

Doch dann so was wie jetzt im Gasometer: ein entspannter Pete Doherty mit Lausbubencharme auf der Bühne, der dort tatsächlich so wirkt, als würde ihm das Spaß machen. Das Entertainen, das Singen vor Publikum, das Dienstleisten an seiner Fangemeinde. Dieses lästige Pflichterfüllen in den großen Konzertsälen, das Aufgehen in der Rolle des Rockmusikers, das hatte ihn, den unangepassten und unendlich verspielten Freigeist stets gequält. Ihm war das kreative Blödeln mit Musikerkollegen bei einem spontanen Wohnzimmerkonzert immer näher als die Tour durch die Welt, die Aneinanderreihung von Auftritten in austauschbaren Arenen.

Sänger in Nahaufnahme vor Mikrofon

Niko Ostermann

Mach mal Pause

Seine aktuelle Tour ist locker gebucht. Mal drei Shows in Mitteleuropa, dann mal ein wenig Pause, eine einzelne große Show in England, ein überraschender London-Auftritt vor Mini-Publikum, dann ein paar Tage durch Westeuropa. Auch die UK-Tour im Herbst ging nie länger als eine gute Woche am Stück. Das ist weit weniger als die Jake Buggs oder Crystal Fighters dieser Welt, die Dienstleistungsprofis schaffen.

Aber offenbar ist das genau das, was Pete Doherty kann und möchte, was ihm Spaß macht. Er nimmt sich die Zeit, die er braucht. Nach knappen 50 Minuten ist das Konzert erstmal vorbei. Übermotivierte Fans schießen bei 8 Dead Boys Gegenstände auf die Bühne. Ein Plastikbecher trifft Pete Doherty im Gesicht. Den Song bringt er noch brav zu Ende, aber dann ist mal Pause angesagt. Wortlos verschwindet die Band von der Bühne. Und weil eine Viertelstunde später immer noch ein paar Fans artig klatschen und vereinzelt nach der Band schreien, geht das Konzert eben mit etwas Verspätung doch noch weiter.

Sänger vor hell erleuchteter Bühne

Niko Ostermann

Beim Livesound kommt es immer stark drauf an, wo man steht. Ich bin im vorderen Drittel, ziemlich genau vor Gitarrist Mick gestanden. Hat nach 2 Songs sehr ordentlich geklungen. Pete nuschelt halt sehr.

Babyshambles

Ganz am Anfang steht aber gestern, Stichwort Dienstleistung, Here comes a delivery. Klingt, als würdest du am Balkon stehen, und irgendwo im Nachbarhaus hätte irgendjemand sehr laut einen krachigen Radiorekorder aufgedreht. Ja, wir sind im Gasometer, und ja, der Sound hier ist sehr speziell, und ja, die ersten Songs kannst du hier immer vergessen. Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, wofür du keine Ohren brauchst, mal die Band abchecken: Von der Babyshambles-Band, die vor fünf Jahren schon mal in Österreich war, sind nur noch der strenge Gitarrist Mick und Bassist Drew übrig. Am Schlagzeug sitzt jetzt ein sonst nicht weiter auffälliger Wuschelkopf namens Jamie, der offenbar auch schon mal bei den Noisettes war. Am Keyboard werkt ein übermotivierter Kaschperl, der sich gern in den Vordergrund drängt, er heißt vermutlich Stephen.

Pete malträtiert höchstpersönlich die Gitarre, bevor er sie nach dem Schlussakkord von Nothing Comes To Nothing mit theatralischer Geste weit nach hinten in den Bühnenraum pfeffert. Jetzt hat er endlich die Hände frei um zu gestikulieren, auf Verstärker zu kraxeln, Getränkebecher zu halten, das Mikro zu schwingen. Was man halt so machen kann, wenn man nicht an sein Instrument gefesselt ist.

Bassist, Sänger, Gitarrist vor ihren Mikros

Niko Ostermann

Eusterreik, wie geht es Ihnen?

Mehr sprechen hört man Pete Doherty aktuell als Dandy-Poet Alfred de Musset im Film Confession, der in ausgewählten Kinos eventuell vereinzelt gezeigt wird.

Allzu viel verrät Pete nicht zwischen den Songs. Gerade mal ein "Eusterreik, wie geht es Ihnen?" unterbricht die konzentrierte Performance. Kein Smalltalk, keine Songansagen, keine Bandvorstellung. Den Namen des neuen Orglers hab ich aus dem Internet. Aber immerhin: Die Neuzugänge sind tatsächliche Musiker, die was von ihrem Instrument verstehen. Bislang hatte Pete Doherty ja eher die Angewohnheit, Zufallsbekanntschaften aus Pubs, aus dem Pentonville Gefängnis oder sonstwoher an die Instrumente zu setzen. Der neue Orgler spielt auch noch Posaune, wie er bei I Wish beweist.

Erst vor wenigen Wochen ist das neue Babyshambles-Album Sequel To The Prequel erschienen. Trotzdem ist die Show im Gasometer mehr eine Best-Of-Show als ein Konzert, das ein neues Album vorstellt. Der Titelsong fehlt überhaupt in der Setlist. Dafür sind die beiden bemerkenswertesten neuen Songs Fall From Grace und Penguins mit dabei.

Zwei Songs, die das reiche Doherty-Werk um beachtlich selbstreflexive Töne erweitern. Fall From Grace ist für Doherty das, was für Britney Piece Of Me war: eine ironische Abrechnung mit der eigenen Medien-Persona. Bloß, dass sich Pete nicht die Haare abschneiden musste. Für uns Außenstehende ist es zumindest nicht komplett auszuschließen, dass Pete Doherty privat tatsächlich ernsthaft mal so mit seiner Selbstzerstörung kokettiert haben könnte:

Can we go some place
Where they know my face
Gather round now, bare witness
To my Fall From Grace

Das alles klingt eindringlich und persönlich. Denn er trägt Fall From Grace live nicht mit der Bob Dylan-Stimme vor, die er für die Albumversion anscheinend stundenlang zu imitieren gelernt hat. Die dylaneske Instrumentierung funktioniert aber live sogar mit extra Saloon-Piano.

Noch einen Schritt frecher ist das neue Penguins, dessen Text genausogut als Pete Dohertys eigener Nachruf verstanden werden könnte. Zieht man seinen Spaß an Provokation und an dramatischer Inszenierung in Betracht, nicht ganz unschlüssig.

Sänger in rotem Poloshirt vor rotem Hintergrund auf Bühne

Niko Ostermann

Spaß

Auf Prequel To The Sequel dürfen die berüchtigten Doherty-Wortspiele nicht fehlen, selbst wenn uns Zuhörern der genaue Sinn dahinter für immer verborgen bleiben wird. Warum a new person zu a new pair, son wird, ist ja auch nicht so wichtig. Aber: Doherty hat Spaß an seinen Kalauern wie der Farmer's Daughter. Auch toll, was man mit einer Sektflöte so alles anstellen kann. Da kann man nicht nur den Fruchtsaft aus dem Tetrapack hineintun und dann von der Bühne runterprosten. Man kann das Sektglas auch an die Gitarrenseiten halten und damit lustige Effekte erzeugen. Sowas freut den großen Buben auf der Bühne!

Genauso wie es ihm unendlichen Spaß bereitet, den Gasometer-Roadie in der Umbaupause nach Down In Albion minutenlang zu necken. Der will wie vereinbart die Gitarre wegtragen: Pete zieht sie weg. Hält sie ihm wieder hin. Zieht sie wieder weg. Wieder hin, wieder weg. Haha. Ja, hier bitte, da ist die Gitarre. Nein, lieber nicht. Aber jetzt wirklich. Nein, doch nicht. Auch da lacht der Bub!

Es scheint, als würde sich Pete Doherty da rundherum eine Umgebung schaffen, in der er sich gleichzeitig wohl fühlt und als Rockmusiker "funktionieren" kann. Seine Wiener Freunde ruft er in einer seltenen Bühnenansage aus und bittet sie auf die Bühne. Damit sie nach Ende des Konzerts gleich nach backstage mitkommen können.

Sänger von unten aufgenommen, geschlossene Augen

Niko Ostermann

Mildes Publikum

Weder die lange Pause zwischendurch, noch sonst irgendwas kann das Babyshambles-Publikum im Gasometer aus der Reserve locken. Man ist wohlwollend, geduldig und neugierig. Im Takt mitgeklatscht wird nur, wenn Pete Doherty entsprechende Anweisungen gibt. Mitgesungen wird nur, wenn er das Mikro Richtung Publikum hält. Nicht gerade das, was man Bombenstimmung nennt, aber dennoch irgendwie stimmig. Fast wie bei einem spontanen Wohnzimmerkonzert, wo man gespannt den Künstlern zuschaut, aber sich doch nicht so ganz wohl fühlt mit der Nähe zum Geschehen.

Vielleicht auch mit ein Grund dafür, dass die große Empörung ausbleibt, als Pete Doherty beim finalen Fuck Forever mit mittlerweile nacktem Oberkörper im Stechschritt mit Hitlergruß auf und ab marschiert. Vielleicht ist man als Fan der Babyshambles aber auch schon an Affront gewöhnt und hat das Es geht doch nur um die Musik und nicht um die Skandale-Mantra schon allzusehr verinnerlicht.