Erstellt am: 5. 7. 2013 - 10:00 Uhr
Kino Rocker!
Er kann einem wirklich leid tun. Natürlich hat Pete Doherty nicht abgelehnt, als ihm die belgische Regisseurin Sylvie Verheyde als absolutem Schauspiel-Novizen gleich die Hauptrolle in ihrem neuen Kinofilm angeboten hat. Die Verlockung, als verstrahlter Rock’n’Roll Poet sein libertines Pendant in der Literaturverfilmung "Confession" darzustellen, war dann doch zu groß.
Und nun stakst der Brite durch die exzellent ausgestatteten Dekors des historischen Liebes- und Leidensdramas. Und memoriert brav die Sätze des legendären Autors Alfred de Musset, auf dessen Roman "La confession d'un enfant du siècle" der Film basiert. Um den Mythos und die Gravitation der Liebe geht es in dem Vorzeigewerk der Romantik, um Exzess, Agonie und die Verlorenheit einer Generation.
Die Sache ist nur: Pete Doherty mag Ähnlichkeiten zwischen sich und seiner Figur, dem verhuschten Schnösel Octave sehen, der auf der Suche nach Herzblut ständig in der Leere strandet. Übermitteln kann er die Gefühle aber keineswegs.
Thimfilm
Wie ein bis zur Apathie verträumtes Kind tappst Doherty herum, was ja noch ganz gut zum Originaltitel "Confession of a child of the century" passt. Angesichts seiner Schauspielpartner Charlotte Gainsbourg und August Diel verblasst der ohnehin totenbleiche Babyshamble aber vollends.
Dass neben dem Dilettantismus des ruinösen Rockers auch noch die Regie versagt, macht "Confession" endgültig mühsam. Viel zu vorsichtig und kultiviert geht Sylvie Verheyde an den Stoff heran, die schwelgerischen Versprechungen von Dekadenz und Dunkelheit bleiben uneingelöst.
Während man den Leinwandauftritt des Mr. Doherty wohl schnell vergessen hat, brennen sich gewisse Schauspielversuche der folgenden Damen und Herren Rocker und Popper dagegen dauerhaft in die Netzhaut ein. Voilá, fünf sehr subjektiv ausgewählte Filme, in denen Regieexzentriker mit schillernden Bühnenfiguren spannende Kollaborationen eingingen.
Thimfilm
Dekadenz und Delirium: "Performance", 1968
Ein Geldeintreiber einer Londoner East End Gang (James Fox) taucht in einem vermeintlich leerstehenden Appartment unter. Die tatsächlich dort lebende Wohngemeinschaft (zu der Mick Jagger und Anita Pallenberg gehören) kümmert sich aber aufopfernd um den Flüchtling. Sie lädt ihn zum Gruppenfummeln ein, verabreicht ihm halluzinogene Pilze, wirft sein Weltbild völlig über den Haufen. Bis an dem Punkt wo die Psychosen einsetzen.
Man kann das Gesamtwerk des britischen Ausnahmeregisseurs Nicolas Roeg gar nicht genug loben: Seine wundervoll verwirrenden Montagetechniken, sein Gespür für irrwitzige Plots und schauspielernde Outcasts.
"Performance" gilt zurecht als eines der Schlüsselwerke des britischen Sixtieskinos. Schon alleine wegen Mick Jagger, der danach in einigen Kinofilmen schauspielerisch auf die Schnauze fällt, hier aber als exaltierter und bisexueller Ex-Rockstar die Performance seiner Darstellerkarriere liefert. Mit seinem lasziven Hippiesexgott wollen Frauen und Männer gleichermaßen in die Badewanne steigen und dabei das grandiose "Memo from Turner" hören.
Warner Bros
Desillusion und Dystopie: "Privilege", 1967
In einer nahen Zukunft, man darf sie auch die 1970er Jahre nennen, arbeiten die Konservativen und die Labour Party in England eng mit der Kirche zusammen. Ihr Ziel: Die breite Masse ruhig zu stellen und dem Konformismus zu unterwerfen. Das Mittel zum Zweck: Ausgerechnet ein junger Rockstar namens Steven Shorter, der als messianische Führergestalt die rebellische Jugend auf den rechten Konsumweg bringen soll.
Wenn sich diese Inhaltsangabe wie ein primitive Version der Bedenken liest, die Theoretiker wie Theodor Adorno gegenüber den Populärkultur hegten, dann ist das im Sinne des Regisseurs. Peter Watkins erwies sich in Dokus, Spielfilmen und Mischformen aus beiden Bereichen als unermüdlicher linksradikaler Kritiker des Systems. Dabei führte sein Engagement bei aller Naivität und Simplizität teilweise zu beklemmenden Ergebnissen.
"Privilege" fasziniert gerade durch einen widersprüchlichen Mix aus Glamour und Satire, Musikindustrie-Bashing und Modculture-Verehrung. Vor allem vergisst man den kindlichen, verzweifelten Blick des Hauptdarstellers Paul Jones (dem Sänger von Manfred Manns Earth Band) ebensowenig wie Swinging Sixties Model Jean Shrimpton und den irren Song "Set Me Free", unsterblich in der Version von Patti Smith geworden.
BFI
Orgien und Opulenz: "Lisztomania", 1975
Das Leben und Wirken des österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Liszt, seine Beziehung zu Richard Wagner als biografisch und historisch maximal unkorrekte Rockoper: So etwas konnte in den 1970er Jahren nur dem berüchtigten Briten Ken Russell einfallen. Mit seinem unverkennbaren Regiestil, der punkto Opulenz und Orgiastik das spätere Musikvideozeitalter vorweggenommen hat, näherte sich der Filmemacher auch Figuren wie Tschaikowsky und Mahler.
Ihr Franzosen von Phoenix habt jetzt kurz Pause: "Lisztomania", betitelt nach einem von Heinrich Heine geprägten Begriff für die kultische Verehrung der Titelfigur zu seiner Zeit, gehört zu den durchgeknalltesten Werken des niemals subtilen Ken Russell.
Roger Daltrey, Frontmann von The Who, der ein Jahr zuvor mit dem Regisseur und der Rockoper "Tommy" Erfolge feierte, schlüpft in die Titelrolle. Ringo Starr, der mit surrealen Komödien wie "Candy" und "Magic Christian" selbst Filmgeschichte schrieb, spielt den Papst, Progrocker Rick Wakeman hat auch einen Auftritt. Nur die Musik von Franz Liszt kommt in dem extrem unterhaltsamen Stück Wahnsinn kaum vor.
Warner Bros
Martyrium und Melodien: "Dancer In The Dark", 2000
Es ist ein modernes Märchen, noch grausamer als die ohnehin schonungslosen Geschichten eines Hans Christian Andersen: Die blinde Fabriksarbeiterin Selma wird unschuldig in einen Abgrund aus Mord und Betrug getrieben. Ihrem kleinen Sohn zu Liebe begibt sie sich freiwillig in die Todeszelle – und singt dabei. Denn "Dancer In The Dark" ist ein Musical. Aber eines von der Sorte, dass Andrew Lloyd Webber schlaflose Nächte bescheren würde.
Ein Film wie ein einziger Tränensturz: Lars von Trier folgt anno 2000 dem elektrisierenden Melodram "Breaking The Waves" mit einem weiteren Streifen, der an die Eingeweide geht und erneut von einer herzensguten Heiligen erzählt. Björk Gudmundsdottir schlüpft in ihrer einzigen Filmrolle mitreißend in die Figur der naiven Selma und singt auch die von ihr komponierten Electroschlager.
Einen fiesen Manipulator nennen die planlosen Kritiker damals den Regisseur, der sich mit der Hauptdarstellerin heftige Auseinandersetzungen liefert. Was aber zählt, ist das Ergebnis, eines der großen erschütternden Werke der Filmgeschichte, in dem gesungen, getanzt und gestorben wird. "I don’t think I really acted", sagt Björk damals einem Magazin, "I became her for two years."
constantin film
Aliens und Alkoholismus: "The Men Who Fell To Earth", 1976
Ein Außerirdischer (bruch-) landet auf unserem Planeten, um Hilfe zu holen für seine sterbende Welt. Thomas Jerome Newton, so nennt sich der Mann, der vom Himmel fiel, tritt nicht als Invasor auf, wie so oft im Science-Fiction-Kino. Sondern als Konzernchef, der mit Hilfe seines Milliardenunternehmens ein Rückkehr-Raumschiff bauen will. Aber die Art und Weise wie sich die menschliche Wesen verhalten, stürzt den Besucher aus dem All in einer tiefe Krise, inklusive Alkoholismus und Drogenmissbrauch.
Noch einmal der große Nicolas Roeg, der hier in einem genialen Castingcoup auf einen anderen Giganten trifft: David Bowie, Mitte der 70er auf dem Gipfel seines künstlerischen Schaffens und exzesstechnisch auf dem Tiefpunkt, braucht als Alien kaum Verkleidungen. Völlig entfremdet wirkt der Artrock-Gott damals auch in Fernsehinterviews und auf der Bühne, der Schritt zum melancholischen Thomas Newton ist da nicht weit.
Eine Reflexion über die Rücksichtslosigkeit, Oberflächlichkeit und Brutalität der kapitalistischen Gegenwart, verpackt in ein hypnotisches Kinowerk, das in quälender Zeitlupe dahinkriecht. Ganz ohne falsche Nostalgie muss man sagen: They don’t make movies like this anymore.
British Lions Film
Ach ja, Frage: Was sind eure Lieblings-Filmauftritte diverser Musiker? Gibt es diverse guilty pleasures von Madonna bis Mariah Carey oder Britney Spears? Welche Meisterwerke fehlen noch unbedingt in dieser kleinen Aufzählung?