Erstellt am: 24. 11. 2013 - 12:21 Uhr
Blümchensex
Tale of Tales
Gleich zwei Todsünden im Spielenamen, wenn das mal gut geht: "Luxuria Superbia" heißt das neue Spiel der berühmt-berüchtigten belgischen Art-Games-Pioniere Tale of Tales, doch wer hier streng katholisch nur "Wollust" und "Hochmut" übersetzt, hat sich schon das erste Mal in die Irre führen lassen. "Luxuria", das ist nicht nur die sexuelle Wollust und Genusssucht, sondern allgemein auch die Üppigkeit, der Überfluss; und "Superbia" ist nicht nur der tödliche Stolz, sondern auch der Übermut.
Man könnte sagen, dass Tale of Tales ("The Path", "Bientôt l'été") schon im Namen ihres neuen Spiels damit beginnen, ihre Spielerschaft absichtlich auf falsche Fährten zu führen, doch wirklich sicher kann man sich niemals sein: Wie die oben genannten unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten des Titels bleiben auch die Interpretationen des Spiels selbst letztlich dem Spieler überlassen - auch wenn einem auf den ersten Blick wenig Spielraum gelassen wird.
Sex, unverblümt
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Denn irgendwie, so erschließt sich scheinbar recht schnell, geht es in "Luxuria Superbia" ganz unverblümt um Sex. "You are entering a flower", teilt uns ein Text mit, und beim langsamen Eindringen in diese bunten floralen Tunnel ist es Aufgabe des Spielers, dieser Pflanze durch Berührungen, Streicheln und Anfassen diverser Knospen und Triebe Freude zu bereiten - allerdings mit der nötigen Behutsamkeit, denn übertreibt man es rabiat mit brachialer systematischer Befriedigung, ist man flugs wieder in der Lobby des Spiels gelandet: "Ooops - that was fast", bekommt man zu hören und muss sich erneut daran versuchen, die jeweilige Blume durch spielerisches Berühren und Liebkosen möglichst lange und möglichst intensiv zu, tja, befriedigen.
Optisch und akustisch vermeidet "Luxuria Superbia" dabei alles Anstößige: Die bunten Blumenwelten sind pop-art-bunte Tunnelröhren, in denen in letztlich klassischer Rail-Shooter-Manier niedliche Knospen, Tiere und Symbole aufblitzen. Auch im akustischen Feedback wird jede Anzüglichkeit vermieden: Die Glöckchen, das sanfte Gelächter und die elektronischen Rhythmen an sich sind weit von jeder Eindeutigkeit entfernt, stellen aber dafür höchst abstrakt und zugleich handfest gemeinsam mit unzweideutigen Textaufforderungen - "Touch me!", "Do it to me!" - ein charakteristisches Crescendo her. Die gesamte Dramaturgie jedes etwa - Durchschnittssexdauer - fünf Minuten dauernden Levels macht recht eindeutig die Spieler zu diskreten, peinlich berührten oder gar ein bisschen aufgeregten Blumenstreichlern. Wer sich halbwegs geschickt verhält, wird mit längerer Spieldauer und Punkten belohnt und darf zur nächsten "Blume" weiterwandern. "Luxuria Superbia" ist im Kern ein simples Geschicklichkeitsspiel mit einfachen Regeln und ein wenig Variation, optisch und akustisch überaus gelungen - und durch seinen Subtext erotisch, humorvoll und durchaus anzüglich.
Tale of Tales
Fetisch und Leistungsgesellschaft
Das mag man befremdlich finden oder charmant, genial-witzig oder völlig daneben - vor allzu voreiligen Interpretationen sei aber gewarnt: "Luxuria Superbia" ist bei genauerem Hinsehen kein "Sex-Simulator" mit abstrakter Bebilderung, sondern verführt seine Spieler augenzwinkernd zu diversen, letztendlich recht persönlichen Fehlschlüssen. Wer etwa kritisiert, dass hier ein mechanistisches Bild "weiblicher Sexualität" gezeichnet werde, ist schon einer weiteren Überinterpretation aufgesessen. Dass die Blume etwa traditionell als Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan interpretiert wird, übersieht die simple Tatsache, dass die meisten Blumen Hermaphroditen sind, also sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane haben; kein Wunder, dass im Gegenzug Spielerinnen den Blümchensexpartner im Spiel als eindeutig männlich indentifiziert haben wollen: Zu schnell gekommen! Try again?
Ich würde meinen: Beide Interpretationen greifen zu kurz, und das ist durchaus im Sinne der Entwickler Tale of Tales. Denn letztlich - auch das eine Ebene der Auslegung - spitzt sich in "Luxuria Superbia" ja auch unser Verhältnis zu unseren technischen Gadgets bildhaft zu. Vor allem in den Versionen für Geräte mit Touchscreen schimmert schon auch so etwas wie ein witziger Kommentar auf unseren Gadget-Fetischismus durch. Mal ehrlich: Streicheln wir nicht fast alle unsere diversen Touchscreens, Smartphones und Tablets längst länger, liebevoller und regelmäßiger als andere Menschen? "Luxuria Superbia" gibt dieser Liebe zum Gerät sozusagen ein Gesicht - dass man sich beim "Befriedigen" seines iPads dann auch mal komisch vorkommt, spricht da durchaus nicht gegen das Spiel.
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War ich gut?
"Luxuria Superbia" ist für iOS, Ouya, Android, Mac, Windows und Linux erschienen.
In diesem Zusammenhang sollte wohl auch erwähnt werden, dass "Luxuria Superbia" selbst wenig Anreiz dafür bietet, den erreichten High Score zu übertreffen bzw. sich, ganz Leistungsgesellschaft, durch dauerndes Üben zu optimieren. Im Gegenteil: Auch nur geringen "Erfolg" vorausgesetzt, wird einem der Weg zur jeweils nächsten Blume eröffnet, in der dann subtil unterschiedliche Strategien zum "Erfolg" führen - wie auch immer man selbst diesen definieren mag. Der Zwang, immer besser zu werden, Punkte zu sammeln - auch diese Kritik muss sich dann wohl eher der jeweilige Spieler gefallen lassen als das Spiel selbst.
Warum sollte man dieses seltsame Experiment nun spielen? Freunde von Tale of Tales wissen, dass bislang jedes Spiel der Belgier auf diese Frage eine andere, spannende Antwort geben konnte. "It's all about the experience", zucken die Belgier vielsagend in der Spielbeschreibung mit den Achseln - und genau so ist es dann auch. Auch "Luxuria Superbia", dieses wohl einzige völlig abstrakte Sexspielzeug der Welt, macht etwas, was kein anderes Spiel zuvor auch nur versucht hat: Es flirtet mit uns, lockt uns in die Irre und verstrickt uns in erotische Missverständnisse. Welches andere Spiel kann das von sich behaupten?