Erstellt am: 1. 11. 2013 - 11:37 Uhr
Vlog: Bärte und Nacktheit
Viennale
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Weil Film ja so viel mehr ist, als nur Film, ist es - in der Mitte der Viennale angekommen - an der Zeit, den Blick von der Leinwand zu nehmen und den Filmplakaten ein wenig Platz einzuräumen. Die Viennale selbst gibt sich dieses Jahr plakattechnisch ähnlich zurückhaltend wie im letzten Jahr (wir erinnern uns an die leberkäsfarbene Wachelhand) und tatsächlich geht auch das diesjährige Motiv auf den Wachelhand-Urheber und Pionier der Fotografie William Henry Fox Talbot zurück. Ein Stückchen Stoff, unten ausgefranst auf hellgelbem Hintergrund. Dieses kleine Stück eines Stoffes oder Gewebes entfaltet eine so wunderbare, geheimnisvolle und zugleich ganz und gar nebensächliche und alltägliche Anmutung, dass dieser ausschließlich aus Licht und Schatten bestehende Abdruck wie ein Emblem für das Filmische stehen kann. Oder für das, was man darunter verstehen mag, so der Viennale-Text zum diesjährigen Sujet. Ich will jetzt ja nicht i-Tüpferlreiten, aber besteht genau genommen nicht jedes Bild aus Licht und Schatten?
Viennale
Ich schätze ja an sich die grafische Verweigerungshaltung der Viennale, die sich mit ihren Plakaten nie mit altbekannten Filmreferenzen geschmückt hat. Keine Filmstills, keine Stars, keine Hollywood'schen Nachempfindungen. Ganz im Gegensatz z.B. zu Festivals wie Cannes, die es sich im Gewohnten und bekannten bequem machen und eine kerzenausblasende Marilyn Monroe affichiert. Jeder, der hier schon mal einen Text von mir gelesen hat, weiß, wie sehr mein Herz an genau diesem Hollywood hängt, aber diese Bilder ohne Neu- oder Umdeutung zu verwenden, deutet ein bisschen auf Bequemlichkeit und Nostalgie hin.
Beides Begriffe, die man mit der Viennale eher nicht in Verbindung bringt und das zeigt sich auch an den Plakaten. Wie schon letztes Jahr steckt die Stärke des Plakats eher in seiner Theorie, im Text, der dazu verfasst wurde, aber ein Plakat sollte eigentlich ohne Beiwerk funktionieren. Wär' ich für die Plakate verantwortlich, ich würd' mir ja wünschen, dass man in der ganzen Stadt nur mehr Fitzelchen davon sieht, weil die Leute sie alle abgekratzt und abgehängt haben. Das war viennaletechnisch letztes Mal der Fall im Jahr 1999, als die Zimmerpflanze drauf zu sehen war, glaub' ich. So aber hängen sie dieses Jahr alle noch brav an ihrem Fleck und hüsteln höflich eine grünlich-gelbe Erinnerung an das Filmfestival in den öffentlichen Raum hinein.
Was ist aber mit den Plakaten der Filme, die auf der Viennale zu sehen sind? Ist etwas dabei, was man sich gern in der Wohnung aufhängen würde, gibt es Gemeinsamkeiten und gibt's eigentlich immer noch diese Indie-Krakelschrift? Ja, ja und ja.
Die ein bisschen unordentliche Krakelschrift, an der man früher Fox Searchlight Filme erkannte, hat sich emanzipiert. Zwar taucht sie auch am "Prince Avalanche"-Plakat auf, doch auch Dokumentationen machen sich über den immer ein bisschen niedlichen DIY-Indie-Look her.
viennale
Das Plakat zu "Our Nixon" zeigt statt Tricky Dicks Konterfei eine gezeichnete Kamera und ziert sich mit einem Font, der nach selbstgemacht und Filzstiften aussehen soll. Ebenfalls handschriftlich, aber alles andere als niedlich geht es am Plakat von "Sickfuckpeople" vor sich, da muss man sich zur Beruhigung gleich fünf Minuten lang das "Belleville Baby"-Poster anschauen mit dem schönen "Hilfe, mein Filzstift geht gleich aus"-Schriftzug.
Indie mit einer gigantischen Portion Selbstironie und Bewusstsein für Popkultur gibts in den verschiedenen Auswüchsen zu "Computer Chess".
So richtig indie, fast schon "Lula"-Magazin fähig und in Richtung Miranda July gehend, sind die Plakate zu Matt Porterfields "I used to be darker".
Ist es ein Fall von "man sieht nur das, was man sehen will" oder findet sich tatsächlich ein kleiner "Männer und ihre Haare"-Themenkomplex bei den Plakaten?
Hätte ich meine Filmauswahl nur aufgrund der Plakate getroffen, wäre ich wohl in beiden Filme von Shane Carruth gelandet. "Primer", weil dieses Plakat ein Geheimnis transportiert, statt eine Inhaltsangabe zu sein und "Upstream Colour", weil es die Schönheit einer Anzeige in "Fantastic Man" hat.
Shane Carruth
Gerlinde Lang hat mir vor inzwischen fast zehn Jahren mal ein (Band)T-Shirt mit der Aufschrift "The Aim of Design is to define Space" geschenkt. Viel zu oft wird der Space aber vollgeklatscht. Die freie Fläche aber kann genausoviel Wucht verursachen. Das wissen die Gestalter der Plakate von "My Dog Killer", "Bluebird", "The Dirties" (Teaserposter) und - siehe unten - "Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe".
hartmann
Gemalte Plakate gelten in Markting-Abteilungen sicher als "No Go" oder "Abturner". Das schöne Plakat zu "Shirley - Visions of Reality", in dem Gustav Deutsch Bilder von Edward Hopper zum Leben erweckt, zeigt auch am Plakat genau das: halb Fotografie, halb Malerei. Im Poster zu "The Parrot and the Swan" gesellt sich ein Mann mit Boom zu den Degas-Ballerinas und ersetzt den alten Ballettlehrer mit dem Stock. "Das merkwürdige Kätzchen" wirbt für sich mit einem Aquarell von Mara Diener und das Plakat für "L'inconnu du lac" erinnert zunächst an naive Ölkreidenmalerei. Das Plakat war aber zu viel für Versailles und Saint Cloude, dort wurden sie wieder abgehängt. Familien hätten sich über die "Obszönität" beklagt. SOS homophobie hat zu Protesten aufgerufen.
Tom de Pekin
Apropos "Skandal", Viennale, wie schaut deine "Nacktheit auf Filmplakaten"-Quote aus?
Die verwirrendste Plakat-Angelegenheit hat mit Denis Cotes Film "Vic+Flo ont vu un ours" zu tun. Zu dem finden sich gleich vier verschiedene und alle scheinen einen anderen Film zu bewerben.
Und nun?
Heute Abend geht's zu "Le Passe", morgen dann "Night Moves" und "Joe", die Vorfreude könnte größer nicht sein. Hat jemand eigentlich Karten für die Will-Ferrell-Gala ergattert und wie kommt die Jerry Lewis-Retrospektive an?