Erstellt am: 25. 10. 2013 - 18:35 Uhr
Eröffnungsreden, Folk-Sänger und Campusleben
Viennale
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Eigentlich kann ich da ja nur abstinken. Das Viennale-Tagebuch der geschätzten Kollegin Pia Reiser hatte letztes Jahr das Filmfest so kenntnisreich, aufmerksam und charmant begleitet, dass ich mir jetzt, als temporärer Ersatz, vorkomme wie ein schlecht vorbereiteter Ersatzkicker, der unvermutet von Anfang an zum Einsatz kommt. Dafür werde ich noch vor der Halbzeit der Viennale wieder ausgewechselt, versprochen. Es ist nämlich so, dass die Kollegin bis Mittwoch krankheitsbedingt ausfällt und die anderen Herr- und Damschaften aus der Filmredaktion sowieso in den praktischerweise eh gut abgedunkelten Kinosälen übernachten müssen. Also gut, was habe ich bis heute, Freitagnachmittag, erlebt?
Das traditionelle Eröffnungszeremoniell fiel heute merkbar kürzer aus. Es begann mit Lust auf internationalen Glamour (englische Begrüßung durch die Moderatorin Tatjana Alexander, Strahlen über die aufgezählten Stargäste) und leitete mit Scherzchen über ihr Abendkleid auf den wie üblich sorgsam verlotterten Anzugstil von Direktor Hans Hurch über: „Einer von uns beiden ist heute von Vivienne Westwood eingekleidet worden.“
The Man In Black ließ vorher noch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny das obligate, mit ein oder zwei Prisen Eigenlob gewürzte Bekenntnis zur Film- und Kulturstadt Wien abliefern. Dann aber musste er, nachdem die Politik so lange über die Kunst gesprochen habe, als Kulturmensch nun endlich etwas über die Politik sagen. Heraus kam eine als Traum getarnte Mediation über die Agonie der großen Koalition, deren Partner den lähmenden Zustand ihrer zähneknirschenden Aneinanderkettung als Naturzustand verklären: geistreiches Politkabarett über die synapsenverklebende Ideologie der Alternativlosigkeit. Wann gibt Hans Hurch endlich sein Solodebüt im Rabenhof?
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Dann endlich der wunderbare Eröffnungsfilm der Coen-Brüder, „Inside Llewyn David“. Er handelt vom Schatten der Scheinwerfer, von einem Folksänger, der sich 1961 im New Yorker Greenwich Village mehr schlecht als recht durchwurstelt. Nichts klappt wirklich, die Musik hat Freunde, aber keine Fans. Geld ist ein Problem – und das Hüten von fremden Katzen auch. Die Szene gleich zu Beginn, als die Katze mit hochgezogenem Schweif vom Schlafzimmer des die Demütigungen des bohemistischen Lebens ohne Erfolg stoisch ertragenden Llewyn (mit Halbmastaugen gespielt von Oscar Issac) auf die Kamera zutrippelt, ist allein schon von großartiger, weil beiläufiger Komik.
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Später zeigen die Auftritte von Llewyn und sein Verhältnis zu in weißen Wollpullovern auftretenden Boybands, dass in der Neo-Urchristengemeinde der Folkies doch ein gewisser Handlungsbedarf besteht, der sich möglicherweise schon bald im selben verschnarchten Village-Café in Form eines Auftritts eines gewissen Bob Dylan äußern wird. Davon wird aber nicht erzählt, sondern nur von dem Klima, in dem Dylan gedieh, und von der resignativen Melancholie derer, die auch irgendwann die Gitarrensaiten eine Spur härter peitschen, weil es sein muss. Allein: Es will (noch?) niemand hören. Ein Film, so traurig wie ein Dackelblick und so lustig wie ein Katzenvideo.
Kaum war der Abspann zu sehen, habe ich mich schon aus dem Gartenbau-Kino hinausgequetscht – aber nicht in Richtung Viennale-Eröffnungsparty im Rathaus, sondern zum Konzert von Rotifer im Chelsea. Dieser Mann bzw. diese Band würde definitiv mehr Aufmerksamkeit verdienen, aber die Scheinwerfer leuchten an einem solchen Abend nur auf Kinobühnen, die vom Musikprekariat erzählen und nicht auf die Musikbühnen nebenan.
Heute Morgen ging ich es dann recht entspannt an. 244 Minuten Film, aber dafür nur einer: „At Berkeley“ von Frederick Wiseman. Der große, so behutsame wie unbeirrbare Dokumentarist nimmt seit den späten Sechzigern die Institutionen der USA unter die Lupe, später sezierte er auch Orte mit komplexer gesellschaftlicher Organisation wie die Pariser Oper. In seinem aktuellen Film gilt sein Interesse der geschichtsträchtigsten öffentlichen Universität der USA in Kalifornien, die seit zumindest 15 Jahren unter kontinuierlichen Budgetkürzungen leidet. Wiseman erkundet Schnitt für Schnitt das Innenleben des Campus. Er zeigt den teils selbstreflexiven Arbeitsalltag an den einzelnen Fakultäten oder die sich unter dem Druck von Drittmittelfinanzierungen verschärfenden Schwierigkeiten der Verwaltung genauso wie die Debatten von Studierenden, die sich etwa über unterstellte rassistische Motive der Exklusion von Afroamerikanern im Zug der Bildung von studentischen Arbeitsgruppen unterhalten. Dazwischen schneidet er beschauliche Bilder des Campusgeländes und der kulturellen und sportlichen Aktivitäten sowie durchaus metaphorische Belege für den ständigen Umbau durch Asphaltierungen.
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„Öffentliche Bildung ist der Motor der sozialen Mobilität“, heißt es einmal, und die Verschlechterung dieses demokratischen Basisangebots führt dann auch zu Protesten und der temporärer Besetzung eines Lesesaals, im Zuge dessen auch die heroische Vergangenheit Berkeleys als Keimzelle der Bürgerrechtsbewegung und der Antivietnamkriegs-Proteste beschworen wird. Doch die Bewegung zerbricht schnell an der Uneinigkeit über ihre schnell ausfransenden Ziele: Wollen wir einfach nur mehr Geld vom Staat oder müssen wir, die kommende Geldelite, etwas am Kapitalismus als Ganzes ändern? Augen zu und Schwenk nach Österreich. Kommen uns solche Plenardebatten nicht auch aus unseren Unis sehr bekannt vor?
Und wenn wir schon beim Thema Bildung sind: Wisemans Film lässt erahnen, mit welchen langfristigen und tiefgehenden Verlusten eine Politik zu rechnen hat, die sich von der Kompensation sozialer Unterprivilegiertheit verabschiedet und sich in Geiselhaft der Steuerallergiker begibt. Am Ende, nachdem wieder alles seinen akademischen Gang geht, erklingt dann Willie Nelsons Version des Folkhits „The City of New Orleans“. Die studentische Jugend setzt dazu ein minimalistisches Theaterbild in Szene: „Good morning America, how are you?“ singt Nelson dazu. Gute Frage.