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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

15. 10. 2013 - 21:00

Mit wenig geht auch was

Der deutsche Low-Budget-Hit "Dicke Mädchen".

Eines gleich vorweg: Was nun folgt, ist kein Plädoyer für das Filmemachen ohne Geld, sondern die Verneigung vor einer originellen Liebesgeschichte, die trotz wackeliger Handkamera, katastrophal schlechtem Ton und vor dem Gegenlicht im Schwarzen agierenden Darstellern seine Intention entfaltet. Und wie nebenbei die Schönheit als blasse Kategorie entlarvt. Denn, wenn alte und behäbige Körper mit gnadenloser Selbstverständlichkeit durchs Bild tanzen, merkt man: wenn das jetzt schön wäre, wäre es einfach nur fad.

sehr gute filme

Mit 517,28 € beziffert Axel Ranisch das Budget für seinen Abschlussfilm an der Filmhochschule in Potsdam. "Dicke Mädchen" war auf diversen Festivals von Chicago bis Hamburg eingeladen, hat den deutschen Kurzfilmpreis gewonnen und absurderweise beim Kinofest in Lünen 2011den Drehbuchpreis bekommen - obwohl es nie ein klassisches Drehbuch gab.

Sven ist Mitte 40 und teilt sich das Ehebett mit seiner dementen Mutter (gespielt von der Großmutter des Regisseurs, die offensichtlich für jeden Scherz zu haben ist). Am Wochenende, wenn er glaubt, dass seine Mutter ihren Mittagsschlaf hält, tanzt er nackt (mit einem Kabel im Popo) zwischen Einbaumöbeln im Wohnzimmer zu Ravels "Bolero". Seine Mutter beobachtet ihn dabei durchs Schlüsselloch. Unter der Woche arbeitet er in der Bank (seit 30 Jahren), dann kümmert sich Daniel (auch Mitte 40, auch für jeden Scherz zu haben) um die demente Frau. Bevor Sven aufbricht, beobachtet er Daniel heimlich im Badezimmer.

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Überhaupt wird in "Dicke Mädchen" sehr viel durch Schlüssellöcher geschaut und heimlich über Hecken gelugt - eine schöne Metapher für den Voyeurismus, um den es im Kino geht. Und nachdem es zu einer tastenden Annäherung zwischen Sven und Daniel gekommen ist, werden wir ganz unverhohlen ZeugInnen einer kleinen Liebesgeschichte. Sie findet ihren dramaturgischen Höhepunkt in einem abstrusen Reinigungsritual an einem See: zwei dickliche nackte Männer, matschiges Wiesenufer und ein Grashalm als Zepter - dass so eine Szene nicht peinlich wird, muss als große Kunst gefeiert werden.

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Poster für "Dicke Mädchen"

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Ähnlich wie der Österreicher Daniel Hoesl, der mit seinem Film "Soldate Jeannette" beachtliche Erfolge erzielt, hat auch Axel Ranisch mit wagen Ideen, ohne Drehbuch und wenig Geld gearbeitet. Daraus entsteht etwas, das dem Publikum irgendwie echter erscheint, denn es schöpft aus dem Vollen der Fantasie und Improvisationskunst. Es hebt sich ab vom Mainstream des Erwartbaren.

Aus dem Mangel an finanziellen Mitteln eine Tugend zu machen, wäre aber falsch. Denn der Mangel muss nicht zu künstlerischen Höhenflügen führen. Ganz im Gegenteil: trotz des Mangels kann etwas entstehen. Das international bekannteste Beispiel dafür ist "The Blair Witch Project", der zwar abseits der amerikanischen Filmindustrie entstanden ist, dann aber sehr wohl über und mit dem Geld der Industrie in die Kinos gekommen ist. Ähnlich ist es bei "Soldat Jeannette" und "Dicke Mädchen" - auch diese Filme kommen nicht ohne Geld ins Kino. Und nebenbei bemerkt, würden sie uns auch dann gefallen, wenn die Filmcrew dabei etwas verdienen würde.

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PS: Letzteres dürfte Axel Ranisch nun gelungen sein: sein neuester Film "Ich fühle mich Disco" wurde von ZDF und arte co-produziert und durch das Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert. Der Film wird auf der Viennale zu sehen sein.