Erstellt am: 8. 10. 2013 - 12:44 Uhr
Fannis Verve
Eine Einladung zum Sundance Festival und die Auszeichnung mit einem Tiger vom Filmfestival Rotterdam sind ganz schön viel internationales Lob für ein österreichisches Debüt. Um was geht's in "Soldate Jeannette" denn?
Die Geschichte von Daniel Hoesls erstem Langspielfilm "Soldate Jeannette" erzählt sich in Bildern, angeteasert ist sie in zwei Sätzen: Fanni hat genug vom Geld und trifft auf Anna, die das Bauernhofleben satt hat. Verhandelt werden die Konzepte von Freiheit, Reichtum, Überdruss und Widerstand, je nach Interpretationslaune und Verlangen. Sich über Fannis Intention Gedanken zu machen, ist auch schön. Aber zuallererst drängt sich diese Person unwillkürlich und mit Vergnügen auf.
Von den ersten Spielminuten an setzt Fanni Aktionen, die nie schmähstad werden. Die Mittvierzigerin trägt die Haare im Alltag elegant nach hinten gesteckt und Haute Couture auf Rechnung anderer aus Boutiquen. Ums Eck entsorgt sie den Einkauf noch in der Papiertragetasche in den Altkleidercontainer. Das muss noch nicht beeindrucken, Fanni geht weiter. Der schöne Schein im pittoresken Altbau schlägt sich aufs Gemüt, Fanni wird alles lästig. Der Wunsch, das Vorgehen interpretieren und einordnen zu können, wird vom Schauvergnügen abgehängt. Die feine Fanni in gehobenen Kreisen will sich nicht länger mit unerwartetem Besuch aufhalten, der von Delogierung spricht. Sie muss zum Judo, man müsse schon entschuldigen. Realitätsverweigerung als Akt des Widerstandes oder zielgerichtete Flucht nach vorne? Judo jedenfalls ist ein Kampfsport, und Fanni eine byronic heroine.
The European Film Conspiracy 2012
Anti! Anti!
Diese Fanni ist eine Antiheldin, wie man ihr bislang nicht oft im Unterhaltungsprogramm und im österreichischen Spielfilm noch nie begegnet ist. Fanni ist ein weiblicher byronic hero: dem Anschein nach ein idealer Held, dessen dunkle Seite - Stichwort nicht gerade problemlose, aufgewühlte Vergangenheit - in kryptischen Andeutungen preisgegeben wird. Zu den Bruchstellen, die einen großen Reiz ausmachen und der Schlüssel zur Charakter-Geschichte sind, gibt es nur wenige Hinweise. Dr. House, Sherlock von der BBC und die Kollegen von Breaking Bad winken an dieser Stelle ihren Schöpfern - oder wohl eher verneinen sie in minimalen Kopfbewegungen. Carrie Mathison aus "Homeland" würde sich gut in die Runde fügen, aber als byronic hero ist man lieber allein unterwegs.
Widerstand ist mehr als Attitüde. Etwas hat auch mit dieser Fanni in "Soldate Jeannette" etwas gemacht, das sie als Einzelkämpferin losziehen lässt gegen oder für noch unbekannte Ziele. Über die Motive dieser resoluten bis deliquenten Frau schweigt die Handlung, vielleicht zu sehr. Die Frau muss sich absetzen, oder es ist pure Abenteuerlust aus tiefster Fadesse, die sie querfeldein durch einen Wald zu einer Landwirtschaft führt. Dort trifft Fanni auf die moderne Magd Anna, die der Bauer nur heimlich im Geländewagen am Waldrand fickt. Am Land, diesem gern verklärten Idyll in der Natur, herrscht dieselbe Scheinmoral wie in der Stadt. Doch am Esstisch in der Stube isst, wer anpackt.
European Film Conspiracy
Konsequent, geradewegs stur
Die Eigenwilligkeit der Hauptfigur spiegelt die Qualität des Debüts. Konsequent, ja geradewegs stur, erzählt sich die Geschichte in penibel komponierten Bildern von einem starken Charakter. Dass „Soldate Jeannette“ kein öder Spaziergang durch Bewegt-Foto-Kunst geworden ist, sondern ein spannendes Stück Kino, ist allen voran die Leistung der Schauspielerin Johanna Orsini-Rosenberg. Wenn sie sich als Fanni einen Bademantel zurechtrückt, weiß man, da geht es einer an den Kragen. Verzweiflung nimmt sie für kurze Momente ein, der Atem geht schwerer. Mit Arroganz diktiert Fanni im Zug einem Schaffner ihre Adresse und verlangt die Rechnung, weil ihr das Fahrscheinkaufen zu blöd war. An ihrer Standhaftigkeit kommen keine Zweifel auf.
Auf "unglaublich lässige, uneitle und doch stilvolle Art charismatisch, eine Kämpferin, eine Lady, eine echte Heldin", fiel sie der Jury für die Schauspielpreise der Diagonale auf. Frauen um die Vierzig bekommen im österreichischen Spielfilm ansonsten kaum eine Hauptrolle. Ab sechzig sind auserwählte wenige wieder mit im Spiel. Dazwischen klaffen Jahre der Unsichtbarkeit. Was einem da vorenthalten wurde und wird, zeigt "Soldate Jeannette".
European Film Conspiracy
"Soldate Jeannette" läuft derzeit in den österreichischen Kinos.
Laut Produzentenangaben ist „Soldate Jeannette“ ohne Drehbuch und mit 65.000 Euro Budget entstanden. „Es werden keine drei Geigen eingesetzt, wo eine genügt“, postuliert die European Film Conspiracy, dieses junge Produzentenkollektiv um Regisseur Daniel Hoesl. Auf dass bald wieder neonrosa Schrift auf Kinoschwarz knallt.