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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

24. 9. 2013 - 14:08

Die Lust am Schrecken

Horrorfilme sind Männersache, lautet eines der ältesten Klischees. Eine neue Generation von Regisseurinnen, Bloggerinnen und weiblichen Fans behauptet das Gegenteil.

Es ist eine Situation, die sich jeden Abend vor einer beliebigen Kinokassa abspielen könnte. Ein junges Paar überlegt sich spontan einen Film anzusehen. Stürmische Diskussionen folgen. Er schlägt einen Horrorstreifen vor, von dem medial schon hitzig berichtet wurde. Sie zögert, findet die Idee schließlich eher abartig, will sich das keinesfalls antun. Am Ende siegt der Kompromiss und ein Hollywood-Blockbuster, der versucht, es mit Action und Romantik allen halbwegs rechtzumachen.

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Repetiere ich hier Genderklischees? Na gut, mehr davon. Natürlich wäre es auch möglich, dass die Auseinandersetzung anders ausgeht. Dass das Mädchen nachgibt, im Dunkeln des öfteren die Augen schließt und sich an den Jungen schmiegt. Was an der grundsätzlichen Problematik wenig ändert: Wenn es einen Ort gibt, wo die Geschlechterstereotypen noch intakt scheinen, dann ist das nicht der Arbeitsplatz oder das Schlafzimmer. Sondern der Kinosaal oder auch die Fernsehcouch.

Selbst wenn man mit Frauen in alternativeren, aufgeschlossenen Milieus spricht, die Angst und der Ekel vor Horror- und Splatterfilmen sind weit verbreitet. „Ich kann mir alles anschauen“, postet eine junge Cineastin zu einem kontroversen Schocker auf Facebook, „aber da hört es bei mir auf. Es ist nicht bloß die Angst, die mich vom Horror abhält, Frauen sind in diesen Metzelfilmen doch immer nur die Opfer.“

Jamie Lee Curtis in "Halloween"

universal

"Halloween" (1978)

Körperkino und Katharsis

Dabei gibt es gerade im akademischen Bereich neben strengen Feministinnen, die Splattermovies blindwütig attackieren, auch intelligente Gegenstimmen.

Linda Williams und Carol J. Clover, zwei weit über sechzigjährige Koryphäen der US-Filmwissenschaft, betrachten das Thema differenzierter. In ihren bahnbrechenden Essays decken sie etwa Gemeinsamkeiten zwischen Horrorstreifen, Pornografie und schwülstigen Melodramen auf. Alle drei Genres eint nicht bloß die Geringschätzung von Seiten der Hochkultur. Das sogenannte Körperkino, das um Blut, Sperma oder Tränen kreist, meint Linda Williams, dient - vereinfacht gesagt - der Triebabfuhr und Affektbewältigung. Harter Horror bringt wie hochgradige Rührstücke den Körper ein wenig außer Kontrolle. Aber letztlich dreht sich alles um jene seelische Reinigung, die der gute alte Aristoteles im Prinzip der Katharis beschworen hat.

Carol J. Clover sieht bestimmte Horrorwerke sogar als Beispiele feministischer Unterwanderung. Weil in berühmten Slashermovies wie „Halloween“ oder „Freitag der 13te“ den Showdown immer nur eine junge Frau überlebt, kreierte sie den Begriff des Final Girl. Auch der männliche Zuschauer, die Hauptzielgruppe für blutige Schauermärchen, wird durch diese Figur in den weiblichen Blickwinkel gezwungen. Das Final Girl, die Heldin, die den Schrecken durchtaucht, sagt Clover, regt zu einem regelrechten Gender-Tausch an.

"Zombie Hunter"

slashfilm

"Zombie Hunter"

Angstbewältigung via Albtraumkino

Wer sich derzeit in die charmanten Räumlichkeiten des Wiener Filmcasinos begibt, kann dort die Töchter von Linda Williams und Carol Clover treffen. Beim alljährlichen /slashfestival sitzen nicht nur Horden von schwarzgekleideten Fanbuben im Saal. Die zweiwöchige Filmschau im Zeichen des Fantastischen, Übersinnlichen und Ekligen zieht auch etliche Frauen an, von Hipstergirls bis zu reiferen Connaisseurinnen des Grauens.

Lena V., 28, gehört zu den Stammbesucherinnen des /slashfestivals. „Ich würde in Frage stellen, ob Frauen wirklich so eine Abneigung gegen Horror an sich haben. Ich denke, dass sich jeder gern mal gruselt, wenn auch die Art und Weise, wie dieser Grusel zustande kommen kann, sehr unterschiedlich ist. Für einige tut's der Krimi, die nächsten wollen das Blut in Strömen fließen sehen und die dritten brauchen unbedingt Geister.“

Die Studentin der Soziologie und Pädagogik findet durchaus, „dass sehr viel, was offiziell Horror ist, auf klischeehafte Männerinteressen zugeschnitten ist“, will sich davon aber nicht abschrecken lassen. „Im Horrorgenre dreht sich sehr viel um die aktive und oft aggressive Bewältigung von Angst. Gesellschaftlich wird Frauen generell weniger zugestanden, dass sie überhaupt aggressive Reaktionen haben. Zeigt eine Frau doch Aggressivität, wird sie sofort mit sozialer Missachtung gestraft. Es wird auch nicht unbedingt für notwendig erachtet, dass Frauen mit Ängsten tatsächlich umgehen. Wenn es zum Fürchten kommt, dann kann sich frau ja hinter einem Mann verstecken, er wird sie schon beschützen.“

slashfilm

"The Lords of Salem"

Gemeinsame Gänsehautnächte

Beim /slashfestival, dass eng mit der Queerkultur, der Wiener Indieszene und einem gewissen Punkspirit verhaftet ist, sieht man dagegen Frauen, die selbstbewusst den Horror entgegentreten. Die das Genre analysierend ernstnehmen. Oder auch therapeutisch. „Man muss sich als Frau erst über eine gewisse Hemmschwelle drüber trauen, damit man sich überhaupt mit diesen Dingen beschäftigt“, meint Lena V. nachdenklich. „Allerdings wird es doch für Frauen im Publikum sehr viel leichter, gerade bei Festivals wie dem /slash, wo noch ein gewisser Gemeinschaftsgeist dazu kommt.“

Sabine P., eine 33-jährige Angestellte, die ebenfalls bei den Angstnächten im Filmcasino mitfiebert, hadert ebenfalls mit den traditionellen Rollenbildern: „Die Werbung tut mit ihrem stark Geschlechter spezifischen Denken ihr übriges, um Frauen weiterhin im Schema ‚Weibchen’ zu belassen. Sobald eine Frau aber auf den Geschmack von Grusel, Horror und Blut gekommen ist, wird diese schnell Feuer und Flamme dafür.“

Nicht nur in den Kinoreihen ist sie anzutreffen, die neue Generation von weiblichen Gänsehautfans. Auch vermehrt hinter der Kamera. Regisseurinnen wie Karyn Kusama („Jennifers Body“), die Soska Zwillinge („American Mary“) oder Jennifer Chambers Lynch („Chained“) setzen statt auf vorsichtigen Grusel, sondern auf blutigen Hardcore-Horror. Das gilt auch für Kimberly Pierce, die mit Filmen wie „Boy’s Don’t Cry“ aus dem Oscar-gekrönten Arthouse-Kontext kommt. Für ihr kommendes Remake des paranormalen Stephen-King-Thrillers „Carrie“ konnte sie mit Chloë Moretz und Julianne Moore zwei furchtlose Schauspielerinnen unterschiedlichster Generationen gewinnen.

Was all diese Filmemacherinnen eint, ist ein Hang zu bissigen sozialen Satire, die mit dem Schock im Doppelpack kommt. Schlitzerfilme, in denen gesichtslose weibliche Opfer am Fließband sterben, sind glücklicherweise keine Frauensache, bitterböse Kommentare zu Geschlechterstereotypen schon eher.

Chloe Moretz in "Carrie"

MGM

"Carrie" mit Chloe Moretz

Ich hab dich zum Fressen gern

Natürlich begünstigt das Internet den Trend zum femininen Angstlust. In Webforen und Blogs sammeln sich weltweit die Anhängerinnen von einschlägigen Filmen, Comics oder auch Büchern. La Comtesse Noire nennt sich eine Grazer Bloggerin, die auf der heimischen Fansite blutundbeuschel ihre Rezensionen veröffentlicht. Im bürgerlichen Beruf ist die 29-Jährige, die die Anonymität im Netz genießt, als Sekretärin tätig, in ihren Literaturkritiken spritzt der rote Körpersaft in Fontänen.

„Bücher wie ‚Twilight’ und ‚Fifty Shades Of Grey’ werden quasi von der Gesellschaft akzeptiert. Das liest doch fast jeder, darum kann es doch gar nicht schlecht oder unnormal sein, richtig? Romantische Phantasien sind in einem Horrorroman aber schlicht und einfach fehl am Platz, wenn du mich fragst. Bei richtigem Horror geht es doch meiner Meinung nach viel mehr um knallharte Gewalt und wohl auch darum an seine Grenzen zu stoßen. Wenn ich an bestimmte Bücher denke, die ich gerade lese, bin ich mir sicher, dass mindestens achtzig Prozent der ‚Fifty Shades Of Grey’-Leserinnen damit nicht klarkommen würden. Mal im Ernst, ein Typ, der nur sexuelle Erfüllung findet, wenn er während des Sexualaktes sein Gegenüber auffrisst? Das ist doch krank! Oder?“

Wer angesichts der morbiden Rezensionen der schwarzen Gräfin ein fragwürdiges Frauenbild herandämmern sieht oder gar nach dem Psychologen ruft, wird von den neuen Horrorliebhaberinnen scharf eingebremst. Zurecht. Denn längst hat der Horror die Feuilletons erreicht, die avancierten Festivals und auch den Kunststatus. Das Österreichische Filmmuseum zeigt bis zum Oktober eine riesige Retrospektive des Grauens, die Viennale hat alljährlich Horrorthriller im Programm.

SZenenbild aus "I Walked with a zombie"

filmladen

"I walked with a zombie" am 27.09 im Wiener Filmmuseum

Alles nur Stoff für männliche Schockvoyeure? Keineswegs, meint La Comtesse Noire. „Ich lerne durch mein Hobby so viele verschiedene Frauen kennen, die die Horror-Liebe teilen. Ich spreche hier von Ehefrauen mit Kindern wie auch von alleinstehenden Frauen von 30 bis 50.“ Lena V. ergänzt: „Horror ermöglicht uns allen wertvolle Erfahrungen, die wir sonst nicht machen könnten. Und Fiktion ist generell die wichtigste Lehrerin, die wir haben. Sie ermöglicht uns, die Welt durch andere Augen zu sehen, unsere Werte und Einstellungen zu testen.“

Die Grenze zur Realität übersieht dabei keine der Horrorliebhaberinnen. „Auch wenn das Gruselgenre mit Urängsten spielt und mich als Zuschauer fordert, sich damit auseinanderzusetzen“, bringt es Sabine P. auf den Punkt, „können Filme keine Vorbereitung sein, um mit einer realen Gefahr umzugehen.“ Das Kino, ist sie sich mit den wichtigsten Theorikern einig, bedient vielmehr eine Schaulust mit befreienden Folgen. „Schlussendlich ist man beim Nachspann glücklich darüber, das man/frau nicht in der misslichen Lage des Protagonisten war. Dann beruhigt heimzugehen ist ein gutes Gefühl.“