Erstellt am: 16. 9. 2013 - 11:49 Uhr
Blutrote Vorfreude
CHRISTIAN: Vor vier Jahren begann es als engagierte Fanveranstaltung, mittlerweile gehört es schon als furioser Fixpunkt zum Filmherbst in Wien – das /slash-Festival im charmanten Filmcasino. Ab nächster Woche herrscht dort, dank Markus Keuschnigg und seinem Team, wieder ein zehntägiger cineastischer Ausnahmezustand, in dem es vor blutigen, kontroversiellen und fantastischen Premieren nur so wimmelt.
SEBASTIAN: Von hier, vom vergleichsweise braven Deutschland aus, erscheint mir dabei Wien in diesem September gleich doppelt als Sehnsuchtsort. Neben dem vom /slash Festival wieder liebevollst ins Rot getauchten Blick auf den aktuellen Schrecken des Kinos bietet einem das Filmmuseum zudem die Möglichkeit auch noch den Horror von 1918 bis 1966 im Kino zu erleben. Schön.
Sebastian Selig lebt im Kino und schreibt darüber in Magazinen wie Splatting Image, Negativ und Hard Sensations. Vor wenigen Tagen ist das Buch "Dario Argento – Anatomie der Angst" erschienen, in welchem auch zwei Texte von ihm zu finden sind.
CHRISTIAN: Ja, da kommt tatsächlich einiges zusammen und im Fall von US-Gast Joe Dante, dem legendären Genre-Innovator aus Hollywood, kooperieren Filmcasino und Filmmuseum sogar freundschaftlich. Natürlich ein Pflichtanlass, um endlich wieder einmal vor dem virtuellen Kamin zusammenzuhocken und im Trio hier zu schwärmen.
SEBASTIAN: Ich freue mich, dich Beatrice Behn dafür furchtlos an unserer Seite zu wissen, wenn wir hier gleich einen ersten Blick ins Programm des Festivals werfen. Nicht nur hast du als viel- und weitreisende Cinephile bereits Gelegenheit gehabt, einige der in diesem Jahr anstehenden Filme zu sehen. Als Mitautorin des Buchs "Dario Argento – Anatomie der Angst" weiß ich von dir zudem, dass hier selbst ein "Dracula 3D" deinen untrüglichen Blick auf das Kino nicht dellierend zu verschleiern vermag.
Beatrice Behn ist Filmwissenschaftlerin, schreibt regelmäßig Filmkritiken und da das nicht genug mit Film ist, leitet sie auch noch das International Comedy Film Festival. Privat guckt sie aber am Liebsten Blutiges, Gruseliges und Zeug mit Zombies.
Slash Festival
Creepy Kids und Haushalts-Invasoren
CHRISTIAN: Was springt euch den im Programmheft förmlich an und schürt eure Vorfreude besonders?
BEATRICE: Erstmal vielen Dank fürs Einladen und dann noch zu so einem wunderbaren Thema! Blut, Zombies und Morde im Dutzend, was könnte man mehr wollen? Und da wäre ich auch schon beim ersten Film: „Tormented“. Das ist "Shimizu" (The Grudge) in surrealster Art. Ein riesiger weißer Hase, der Menschen stalkt. Das klingt schon komisch aber es wird noch eigenartiger und natürlich auch blutig! Den Hasen kennt man übrigens schon aus „The Shock Labyrinth 3D“. Die Teenager, die hier verfolgt werden ebenso. Und wenn wir schon mal wie okkultem Kino aus Japan sind: The Complex ist auch super. Hach, ich liebe creepy Kinder. Vor allem japanische.
CHRISTIAN: Du hast ja einige Filme vorab gesehen ...
BEATRICE: Genau. Und da springt mich "We Are What We Are" an, weil ich den für ein Glanzbeispiel für die Veramerikanisierung von guten Filmen halte, "Antiviral", weil er so ambivalent zwischen interessant und Cronenberg-Junior-hat-daddy-issues oszilliert, "Wrong Cops", weil er so grandios scheitert und "The Walking Dead", weil Zombies. Und ihr so?
CHRISTIAN: "We Are What We Are", diese Geschichte einer Hinterwäldler-Familie, die sich von Menschenfleisch ernährt, durfte ich auch vorab sehen. Warst du da wirklich so enttäuscht, Beatrice?
BEATRICE: Für mich ein Film, der okay ist, wenn man das Original "Somos lo que hay" nicht kennt, und beschissen, wenn man es doch tut. Darauf könnte ich jetzt näher eingehen aber ich befürchte, dann versaue ich es noch jemanden.
CHRISTIAN: Ich kannte ja das mexikanische Original nicht und fand vor allem die stellenweise fast schon poetische Stimmung des Remakes anziehend. Streifen über Redneck-Kannibalen suhlen sich ja meistens in blutriefenden Backwoods-Horror-Stereotypen. Hier fließt die rote Suppe zwar auch, aber fasziniert haben mich eher die stillen Momente und Close-Ups der geängstigen Schwestern. Einen zwingenden Tonfall entwickelt Regisseur Jim Mickle aber leider nur selten.
SEBASTIAN: Ganz besonders freue ich mich, nach den beiden höchst mitreißenden "In Drei Tagen Bist Du Tot 1 + 2" mit "Blutgletscher" noch einmal rauf in die österreichischen Berge zu dürfen. Und sehr, sehr große Freude natürlich auch über "S-V/H/S" und "A Field in England".
Slash Festival
CHRISTIAN: Ich kann Adam Wingards neuen Hardcore-Thriller "You’re Next" nicht erwarten. Der junge Amerikaner hat ja schon vor der Volljährigkeit mit seinen Billigfilmen gehöriges Aufsehen erregt, steht mit einem Fuß in der Mumblecore-Indie-Szene und mit dem anderen knöcheltief im Blut- und Beuschel-Sumpf. Dieser speziellen Mischung verdanken Wingards Filme und die von Kollegen wie Ti West eine besonders realistische Figurenzeichung und überhaupt eine Erdung in der Realität. Und genau so einen rauen Wirklichkeitsbezug brauche ich, wenn das Horrorgenre wieder mal zu sehr in die nerdige Funecke pendelt. "You’re Next" bedient mit seiner Geschichte einer neurotischen Familie, die von maskierten Aggressoren überfallen wird, sämtliche Home-Invasion-Klischees, ist in seiner angeblichen Nähe zu Filmen wie Vinterbergs "Festen" aber wohl schwerer zu verdauen als gängiger Fließband-Splatter. Hoffentlich. Bin verdammt gespannt.
SEBASTIAN: Dann will ich euch unbedingt auch noch den knochentrockenen und gemein die Nieren malträtierenden "Penance" von Kiyoshi Kurosawa ans Herz legen. Zwar sprengen dessen insgesamt 269 Minuten, sprich: fünf fürs japanische Fernsehen produzierten Episoden, beinahe den Festivalrahmen, aber er wird deswegen ja auch in zwei Teilen zu sehen sein. Ein höchst intensives Eisfest.
BEATRICE: 269 Minuten – das ist dann Body Horror der ganz persönlichen Art. Aber so ein bisschen Masochismus gehört auch dazu, oder?
CHRISTIAN: Es gibt ja auch Menschen, die setzen sich in neunstündige Sozialstudien aus den Philippinen. Ich mag meditatives Kino, gestehe aber sehr simpel gestrickt zu sein. Ohne einen Hauch von Thrills und Kicks, Blut oder Nacktheit penne ich irgendwann weg. Bei "Cheap Thrills" wird mir das nicht passieren, denke ich. Der fiese Thriller erzählt von zwei Freunden, die von einem reichen Typen herausgefordert werden, gegen Bezahlung widerliche Gemeinheiten auszuüben. Wenn man Vorabstimmen glauben darf, dann wird aus dem billigen Kitzel des Verbotenen bald ein Spiel, das kellertief in die Abgründe der käuflichen Reality-Gegenwart führt. Eine Geschichte, die das Potential zur Verstörung hat, aber auch gründlich schiefgehen kann, mal sehen.
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Okkulte Orgien
BEATRICE: Mal was ganz anderes – ist euch auch die hohe Dichte an okkulten bzw. Geisterfilmen in letzter Zeit aufgefallen? Die spiegelt sich ja auch gut im Programm wider. Mir scheint, es gibt wieder vermehrt das Bedürfnis nach solchen Filmen, die ja filmhistorisch gern wieder aufkommen, wenn die Gesellschaft zu viele verdrängte "Leichen im Keller" hat…
Wir haben 15x2 Tickets für "The Lords of Salem" am 23.9. um 20:00 im Filmcasino verlost unter denjenigen, die folgende Frage beantworten konnten:
Welche berühmte Horror-Franchise hat Regisseur Rob Zombie wiederbelebt? Die richtige Antwort war: Halloween.
Die GewinnerInnen wurden bereits per Mail verständigt.
CHRISTIAN: Das stimmt, siehe auch "The Conjuring" oder demnächst "Insidious 2". Ein Schlüsselfilm dieses Subgenres, der leider nie einen regulären Kinostart, zumindest nicht in Österreich, hatte, läuft nun auch beim /slash – Rob Zombies "The Lords of Salem". So sympathisch ich den Mann als selbststilisierte Grusel-Ikone finde, so kritisch stand ich bislang seinem Schaffen als Regisseur gegenüber. Mich haben mit Exploitation-Zitaten protzende Fanfilme wie "The Devil’s Rejects" eher kalt gelassen. Aber jetzt klickte es plötzlich.
SEBASTIAN: Zombie halte ich persönlich ja für einen ganz Großen des amerikanischen Kinos der Gegenwart. Sehe ihn auch weniger als manischen Zitierer wie mehr als einen, der in all seine innige Umarmung der 70er und noch mehr 80er, auch noch was Eigenes miteinbringt. Er hat ein sehr gutes Gefühl für Atmosphäre und Räume. Der leere, mit Herbstlaub gefüllte Swimmingpool in "Halloween", die Geisterbahn des "House of 1.000 Corpses", hach. Und er ist einfach ein verdammt großer Romantiker. "The Devil’s Rejects" ist da so groß, den möchte ich einfach nur innigst gedrückt halten. Meine Vorfreude auf "The Lords of Salem", den ich bereits das Glück hatte, vor einigen Wochen im Kino zu sehen, war entsprechend groß.
CHRISTIAN: Und die wurde nicht erfüllt?
SEBASTIAN: Ich war dann doch erstmals ziemlich enttäuscht. Zwar ist "The Lords of Salem" sicherlich voller großer Momente - und ich möchte ihn deswegen auch ganz gewiss nicht missen - aber dieses unfassbar behäbige Erzählen. Überhaupt, dass hier nun einem überhaupt erst einmal soviel erzählt werden muss, statt einfach nur alles zu zeigen. Hmpf.
CHRISTIAN: Mich wiederum überraschte "Lords Of Salem" in jeder Hinsicht. Wieder klaut Herr Zombie an allen Ecken und Enden, diesmal zumindest bei Ken Russell, Kubrick, Friedkin und Argento, aber es funktioniert erstmals. Wohl weil es im Kern der knappen Geschichte um das Altern jener Generation geht, der auch der zottelige Regisseur angehört. Sheri Moon Zombie, die Regisseursgattin, wirkt als Radio-Moderatorin, deren wilde Metal-Jugend einer Midlife-Crisis auf der Couch gewichen ist, erstmals wirklich glaubwürdig.
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SEBASTIAN: Mit gerade dieser Sheri Moon, die ich sonst sehr mag, hatte ich echt ein Problem. Die wirkte hier so verkleidet. Eine einzige, ausgestellte Metal-Fassade, die so für mich leider nicht viel mehr als verdammt verbissen Spießigkeit ausgestrahlt hat. Wie sie sich anzieht, ihre schreckliche Frisur, ihre überstilisierte Wohnung... puh, ich konnte teilweise fast nicht hinsehen.
CHRISTIAN: Natürlich totale Spießigkeit, es gibt ja nichts Spannendes im Leben dieser Figur, ein einziges sexloses Dahindriften mit Junkfood. Aber genau das war für mich der Punkt, da konnte man irgendwie hinter die Fassade der ganzen Rob-Zombie-Schock-Welt blicken, so persönlich tief blicken ließ der Metalguru noch nie. Anyway, da muss sich jeder beim /slash seine eigene Meinung bilden.
SEBASTIAN: Umgekehrt passiert dann auch ganz viel Schönes in diesem Film. Ken Foree, dem seit Romeros "Dawn of the Dead" sowieso mein Herz gehört und der auch schon in Zombies "The Devil’s Rejects" einen fantastischen Kurzauftritt hatte, mochte ich beispielsweise sehr und spätestens als sich dann zu Mozarts Requiem in d-Moll alle Schleusen öffneten und auch noch der Teufel, nackt und himbeerfarben über die Kinobühne tanzte, haben "The Lords of Salem" mein Herz dann doch zum Pochen gebracht.
CHRISTIAN: Für mich ein stimmungsvoller Mix aus Slackertristesse und psychedelischem Irrsinn, der losgeht, als die Protagonistin ein gruseliges Demo-Album zugeschickt bekommt, das sozusagen die Tore zur Hölle öffnet.
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Psychedelische Hexereien
BEATRICE: Genug jetzt von Rob Zombie! Ich freue mich viel mehr auf "A Field In England" von Ben Wheatley. Seine letzten Filme waren ja wirklich grandios. Ich liebe diese Mischung aus bitterböser satirischer Beobachtung menschlicher Abgründe und dem eiskalten Exekutieren sadistischer Handlungen, die aber – und das macht am meisten Spaß – immer sehr logisch sind. Also in Wheatleys und meiner Logik zumindest. "Sightseers" hat mich jedenfalls unfassbar gut unterhalten!
CHRISTIAN: Ich will die Euphorie jetzt nicht dämpfen und halte Mr. Wheatley auch für den vielversprechendsten und zwingendensten Regisseur Großbritanniens. Aber sagen wir mal diplomatisch: "A Field in England" wird sehr spalten. Er hat auch mich gespalten, gebe ich zu. Dieses Freiluft-Kammerspiel hat fantastisch halluzinogene Momente drin, die tatsächlich an Alejandro Jodorowski erinnern, an Avantgarde-Experimente der 60er und zerhackte Rave-Visuals. Aber gleichzeitig wirkt das Dauergequatsche der Figuren ein bisserl wie ein armer und endloser Monty-Python-Sketch. Und statt der unfassbaren Stilsicherheit von Ben Wheatleys bisherigen Meisterwerken meint man sich manchmal in der improvisierten Inszenierung eines Filmstudentenstreifen. Aber hier soll ja Vorfreude geschürt werden. Darum gleich eine Schwärmerei zu "V/H/S 2", den ich schon sehen durfte.
/slash Filmfestival
Das Festival des fantastischen Films und des Horrors, vom 19. bis 29. September 2013 im Filmcasino Wien.
Nicht in die Popcorn-Schachtel kotzen: Das /slash Filmfestival für Angsthasen (Anna Katharina Laggner)
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SEBASTIAN: Hach, "V/H/S", der "Trash Humper" unter den Found Footage-Filmen. Ein solches abgenudeltes, an allen Ecken und Enden verkriseltes Tape lass ich mir gerne über die Blindarmnarbe in den Bauch einführen. Hat schon beim ersten Mal, im ersten Teil, mitunter richtig weh getan.
CHRISTIAN: Der zweite Teil, dessen schöner Alternativtitel "S-V/H/S" nicht unerwähnt bleiben sollte, verzichtet jedenfalls auf den das Found-Footage-Genre oft nervig machenden Zwang zum Pseudo-Realismus. Hier geht es um Splatter und Spaß, ganz Geisterbahnhaft, weniger um Wackelkamera-Fetischismus. Das Lachen vergeht einem allerdings bei der eindringlichsten und besten Episode. Gareth "The Raid" Evans schickt da eine Reportertruppe zu einer asiatischen Weltuntergangs-Sekte. Es werden keine Gefangenen genommen.
SEBASTIAN: Ja, da stolpert man leicht verwirrt in irgendein Gemeindehaus und plötzlich kippt die Stimmung ganz wundervoll paranormal weg. Es knistert im Gehörgang, wie eine dieser Tonbandaufzeichnungen aus dem Jenseits.
CHRISTIAN: Ich kenne ja Menschen, wie das aus Dr. Nachtstrom und David Pfister bestehende und beim /slash live zu sehende Industrial-Duo Black Manna, die beschäftigen sich relativ ernsthaft mit paranormalen Phänomenen und Tonbandstimmenforschung. Die fiebern wahrscheinlich "My Amityville Horror" entgegen, einer Doku, die den oft verfilmten Fall der Familie Lutz in etlichen Interviews aufrollt. Unwohlige Gänsehaut garantiert.
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CHRISTIAN: Ganz besonders vielversprechend wirkt ein mexikanischer Beitrag zum Okkult-Horror. "Here comes the Devil" erzählt vom schlimmsten Eltern-Albtraum: Bei einem Ausflug nach Tijuana verschwinden plötzlich die Kinder eines jungen Ehepaars spurlos. Die Suche führt dabei zu einer Teufelsanbetersekte. Mehr Inhaltsangabe habe ich in diversen Kritiken auch nicht gelesen, mir reichten gedroppte Referenzen wie Ken Russell, Nicolas Roeg oder Peter Weir, um meinen Puls zu beschleunigen. Und dann noch so ein höllischer Film, der vielleicht etwas zu verblödelt sein könnte, aber auch das Potential zur puren Anarchie hat – "Hellbenders" erzählt von einer Truppe katholischer Priester, die sich als Dämonenjäger verdingen. Um Kontakt mit dem Bösen aufzunehmen, müssen sie aber erstmal so extrem sündigen, dass sie selber in die Hölle fahren. Ein versoffener, verkiffter, hochgradig promiskuitiver Pfarrerhaufen, in dem auch der großartige Clancy Brown mitwütet, das muss ich schon sehen.
SEBASTIAN: Apropos Hell - Hideo Nakata, dem wir "Dark Water" und "The Ring" verdanken und triste Plattenbau-Architektur, in der das Böse lauert, das ist eigentlich doch ein "match made in heaven". Vielmehr, ganz wundervoll "a match made in hell". Aber leider vermittelte mir der Besuch von "The Complex" dann doch nur schale Trübnis. Beatrice, wie ging es Dir?
BEATRICE: Ich bin ja im Plattenbau groß geworden, mir macht das also nichts. Also grundsätzlich kommt der Film jetzt nicht an die grandiosen Vorgänger heran, aber ich hatte trotzdem eine Menge Spaß. Fiese Kinder sind immer gut und ich habe auch ein Faible für hysterische junge Frauen. Und hier hätten wir ein ausgeprägtes Exemplar. Ich glaube vor allem diese trist-kalte Architektur und dieses vollkommene Unwissen darüber wer seine Nachbarn eigentlich sind macht diesen Film dann auf psychologischer Ebene doch recht intensiv. Eigentlich in sich auch eine wunderbare Studie der Großstadtseele voller Einsamkeit und Anonymität.
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Monstrositäten und Mutationen
CHRISTIAN: Manchmal gibt sich das /slash aber auch beinahe unschuldig und feiert einfach die ewige Schaulust am Monströsen. Wobei sich bei postmodernem Meta-Trash wie "Sharknado" und "Big Ass Spider" natürlich diskutieren lässt, ob diese Filme würdige moderne Vertreter einer ebenso plakativen wie superbilligen Z-Movie-Tradition sind. Oder nicht bloß bewusst für den unerschöpflichen Nerd-Markt produzierte Exemplare der Kategorie "So-schlecht-dass-es-total-lustig-ist".
SEBASTIAN: Hach, bei wenig gruselt es mich tatsächlich mehr, als bei dem hier gerade zuletzt genannten.
BEATRICE: "Sharknado"! Ein Tornado! Voller Haie! Und dazu noch Ian Ziering, der in Beverly Hills 90210 schon so spröde wie ein altes Brötchen war. Und noch Tara Reid. Das ist doch ganz große Klasse, vorausgesetzt man hat keinerlei Ansprüche an diesen Film. Und wo ist der Cameo-Auftritt von David Hasselhoff? Gott, ich will diesen Film sehen! Ich gebe zu ich bin ja auch ein großer Fan von "Sharktopus". Ich sehe diese Hai-Filme ja ganz ehrlich gesagt als ironische Bearbeitung des Traumas, welches alle Menschen in meiner Generation von "Der weiße Hai" davongetragen haben, weil sie ihn heimlich im Fernsehen sahen und eigentlich noch viel zu jung dafür waren.
SEBASTIAN: Da sind wir dann ganz schnell natürlich beim Troma-Abend. "Class of Nuke ´Em High" einmal als Retro-Vergnügen sowie brandneu „Return To Nuke ´Em High Vol. 1“. Kino, wie ein Schulausflug. Als würde man nackt vom Flachdach eines Diners in den großen Müllcontainer springen, und plötzlich steckt einem dann eine benutzte Spritze zwischen den Zehen, weil besagter Container, eben von der Abtreibungsklinik nebenan gleichsam mitbenutzt wird.
BEATRICE: Ach toll, ich mag Troma – sowohl die Filme, als auch die Idee. Man muss schon sehr trash-affin sein und eine Menge guten Willens mitbringen um diese Filme durchzustehen, doch wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, ist man erstaunt, dass diese Filme - so billig sie auch produziert sind und so einfältig ihr Plot auch klingt – doch immer recht genau den Finger auf die amerikanische Gesellschaft gehalten haben. Und außerdem braucht man auch ausgelassenes Feiern von Ekelhaftem, Beklopptem und Monströsem im Kino. Quasi als Gegengift zu all den Filmen, die sich selbst so schrecklich ernst nehmen.
CHRISTIAN: Und ein Festival wie das /slash braucht sicher auch ausgelassene Abende, an denen die johlende und tobende Crowd das Filmcasino in seinen Grundfesten erschüttert. Ich habe mich letztes Jahr ja echt gegen "Piranha 3DD" gewehrt, musste irgendwann im hysterischen Saal aber gegen die Atmosphäre kapitulieren. Da ist wohl auch die spezielle Wiener Publikumsmischung schuld, denn neben abgeklärten Geeks, die nervig wissend bei jeder Referenz tuscheln, finden sich da auch ganz andere Menschen im Publikum: Euphorische Filmliebhaber, Partykids, Hipster, Studenten und wohl mehr Frauen als bei jedem vergleichbaren Splatterfest. "Sharknado" ist übrigens schon ausverkauft, hörte ich.
BEATRICE: Hatte ich schon erwähnt, dass ich "Sharknado" super finde?
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Pinke Terror-Teddys und alpine Ängste
CHRISTIAN: In die selbe, bewusst zum Anschlag überdrehte Kategorie fallen auch jene japanischen Filme, die wohl die absolute Antithese zur erwähnten Subtil-Schockern wie "Penance" oder "The Complex" darstellen. Filme, in denen es vor durchgedrehten Teenagern, sexsüchtigen Monstern und pinken und potenten Teddybären nur so wimmelt. Das /slash hat diesbezüglich eine Tradition und auch heuer dürfen sich Fans auf einschlägige Werke wie "HK: Forbidden Super Hero" oder "Gothic Lolita Battle Bear" freuen. Wie geht es euch mit dieser knallbunten und sich auch gerne an Verdauungsaktivitäten erfreuenden Anime-Welt?
BEATRICE: Die gehören zu einer guten Mischung auf jeden Fall dazu. Auch wenn der europäische Zuschauer da nicht immer so folgen kann und nicht alle Insidersachen versteht, man kann sich auf jeden Fall an solchen Filmen mit laben und wenn es nur die Durchgeknalltheit ist, die einem Freude bereitet. Aber ehrlich, es gibt für mich nur wenige Filme, die oberflächlich so bekloppt aussehen und dann doch einige tiefgründige Themen auf zugegeben manchmal etwas krude Art bearbeiten. Und irgendjemand muss sich ja um die Verdauung im Kino kümmern. Immer nur brav aufs Klo gehen so wie wir "Westerners" das machen reicht manchmal eben nicht.
CHRISTIAN: Ein Film, der sein montröses Thema auch durchaus ernst nimmt, meilenweit weg vom Billigsdorfer-CGI-Meta-Trash ist und gerade dadurch einen gewissen Charme entwickelt, ist der Eröffnungsstreifen des Festivals. "Blutgletscher" vom Jungtalent Marvin Kren schreibt nach dessen Indie-Zombie-Studie "Rammbock" und Andreas Prochaskas "In drei Tagen bist du tot" Filmen die Geschichte des österreichischen Horrorkinos weiter. Auf wirklich sehenswerte Weise. Ich muss zugeben, dass selbst meine Wenigkeit, als absoluter Antipatriot, ziemlich stolz war nach der Pressevorführung, wie "Blutgletscher" souverän einen Mutationsschocker á la John Carpenters "The Thing" in die Tiroler Alpenwelt transportiert. Manchmal gibt es Schwierigkeiten mit dem Timing, aber alleine die analog und liebevoll gebastelten Kreaturen und die rabiate Regisseursmutter Brigitte Kren rocken dermaßen, dass ich bester Laune aus dem Kino spazierte.
Slash Festival
BEATRICE: Wo bleiben eigentlich die deutschen Horrorfilme mit Lokalkolorit? Eigentlich schade, dass wir so was nicht auch mehr kultivieren. Dabei würden sich Bayern und Brandenburg doch durchaus anbieten…
SEBASTIAN: Ich saß hier erst vor kurzem mit der Filmförderung Baden Württemberg an einem Tisch und auch da wurde beklagt, warum hier immer fast nur Projekte auf den Tisch kommen, bei denen der eigentliche Ort im Grunde ziemlich austauschbar ist. Ich würde hier gerne einmal einen deutschen "Wicker Man" auf der Schwäbischen Alb seltsamen allemanischen Fasnetsbräuchen nachhängen sehen oder dabei sein, wenn man im Schwarzwald vom Weg abkommt und plötzlich die Tannennadeln immer dichter und spitzer wachsen.
CHRISTIAN: Vom semi-seriösen Alpin-Grusel zurück zum absoluten Unfug, allerdings mit Stil. Als Teil eines kleinen TV-Schwerpunkts beim /slash läuft auch eine australische Billigserie, die ich wirklich verehre. "Danger Five" erzählt von einer internationalen Truppe von Superspionen, die in den Sixties gegen den immer noch lebenden Adolf Hitler kämpfen. Was sich nach einem verblödelten Nerdspaß anhört, hat echt magische Qualitäten. Man spürt in jeder Szene die unglaubliche Liebe der jungen und übrigens bildhübschen Macher für essentiellen Stoff wie "Barbarella", "Ilsa – She Wolf of the SS", "Danger: Diabolik", für Inoshiro Hondas Monsterfilme und Agenten-Action á la "Derek Flint" und "Modesty Blaise". Ein purer Retro-Wahnsinn, ganz klar, aber was für einer.
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Nicht totzukriegen: Vampire, Werwölfe, Zombies
SEBASTIAN: Und immer wieder Vampire. Besonders Xan Cassavetes "Kiss of the Damned" springt mich hier an. Auf den bin ich wirklich sehr gespannt, nicht nur wegen seinem wunderschönen Kinoplakat.
CHRISTIAN: Der verspricht einiges an schönem Schwulst, stimmt. "Big Bad Wolves" bemüht sich wiederum dem Werwolf-Thema aus israelischer Perspektive neue Facetten abzugewinnen. Gar nicht kaputtbar auch und längst schon inflationär – die lebenden Toten, die auf die Erde zurückkehren, weil in der Hölle kein Platz mehr ist. Alleine um den perfektionistisch geschminkten Teilnehmern des alljährlichen Zombie-Walks blutiges Film-Fleisch zu bieten, gibt es auch heuer wieder einschlägige Streifen dazu. Man wird sehen, ob etwa der um nur 6000 Dollar gedrehte "The Battery" oder das Crowdfunding-Blut-und-Beuschel-Epos "Zombie Hunter" dem Genre etwas Neues hinzufügen. Im Grunde hat sich die Verarbeitung des Erbes von George A. Romero ja wirklich schon aufs Fernsehen verlegt. Und auch das gibt es beim /slash, auf der großen Leinwand.
SEBASTIAN: Was wirklich schön ist an "The Walking Dead": Hier wird alles ganz auf die untot dahinschlurfende Hochspannung reduziert. Zombies, die dich erfrischend meta-frei, stets zum direkten Handeln zwingen. Darf gerne immer einfach so weitergehen
BEATRICE: Wenn die weiblichen Figuren in "The Walking Dead" jetzt noch auf Höhe mit den männlichen wären, wäre diese Serie der Knaller. Leider gibt sie für mich als Frau kaum Identifikationsfiguren, denn bei Gott, das Letzte was ich tun würde bei so einer Apokalypse ist im "Camp" bleiben und kochen und warten bis die Männer alles erledigt haben.
CHRISTIAN: Ganz im Gegenteil zu "American Horror Story" von Ryan Murphy, wo Frauen in furiosen Schlüsselrollen zu sehen sind. Beim Festival läuft innerhalb des Serienspecials der Pilotfilm, ich muss mir endlich die zweite, angeblich überragende Staffel dieses fast schon überpostmodernen Horror-Karnevals anschauen, fällt mir ein.
SEBASTIAN: Ich mag die tatsächlich sehr amerikanische "Horror Story" um diesen Psychoanalytiker, der sich mit seiner Familie in den unzähligen grausigen Vergangenheitsschlaufen eines Hollywood-Spukhauses verheddert, in ihrer geradezu hysterisch überbordenden, stets den Tabubruch suchenden Art schon ganz gerne. Ganz aufgedreht wird da an dem was in Hollywood und erst Recht im Fernsehen erlaubt sein soll, gerüttelt und weil das alles eben auf verdammt verklemmtem Boden geschieht heißt das dann immer gleich auch Sex, Sex, Sex.
BEATRICE: Aber daran sieht man auch, dass selbst in den so genannten "Männergenres" Einiges geht. Es macht einfach viel mehr Spaß weibliche Charaktere zu haben, die auch ordentlich draufhauen und mitmachen. Also "American Horror Story" will ich jetzt unbedingt sehen.
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Irrlichternde Irritationen
CHRISTIAN: Besonders schön an der Programmauswahl ist ja, dass das /slash glücklicherweise oft die zertrampelten Genrefilmpfade verlässt. Und sozusagen einen subversiven Auftrag erfüllt. Jemand der in diesem Bereich der irritierenden und schmerzhaften Filme jenseits der Schubladen schon länger agiert, ist die französische Regisserin und Autorin Marina de Van, die das Festival auch in persona beehren wird.
SEBASTIAN: In "In My Skin" hat sie mit spitzen Fingern und einer scharfen Nagelschere nicht damit aufhören können an ihre Narben zu spielen und das tat dann richtig weh. Leider war ihr Nachfolgefilm "Don’t Look Back" dann aber wieder doch nur kreuzbraves Erzählkino. Von ihrem neuen, beim /slash zu sehen sein werdenden Film "Dark Touch", höre ich jetzt wieder viel Gutes. Eine Art französischer "Carrie". Zauberhaft hysterisch und ganz in dunkle Töne getaucht.
CHRISTIAN: Verstörend auf eine milde und schrullige Weise sind die Werke des filmenden Electromusikers Quentin Dupieux. Dessen Schaffen verfolgt Kurator Markus Keuschnigg schon von Anfang an. Heuer läuft sein "Wrong Cops" und man kann davon ausgehen, dass konventionelles Erzählen in dieser futuristischen Polizistensatire konsequent umgangen wird.
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BEATRICE: Also ich gestehe, ich mag Quentin Dupieux sehr. Und ich LIEBE surrealistische Filme. "Rubber" war genial, "Wrong" war super und "Wrong Cops" – an dem ist leider alles falsch. Man merkt von vorne bis hinten, dass sich der Regisseur hier dachte: Ach guck mal, der Cop aus "Wrong" der ist so lustig. Und ich hab hier noch so ein bisschen Material über, da mach ich gleich noch einen Film draus. Aber man merkt immer, wenn es ein Regisseur nicht ernst meint mit seinem Stoff und das hier ist wirklich Reste essen.
CHRISTIAN: Ich finde den regieführenden Mr. Oizo ja auch toll, vor allem "Rubber" war echt ein surreales Juwel. Du schraubst jetzt meine Erwartungshaltung etwas herunter, aber Marilyn Manson als Teenager und endlich wieder mal ein Auftritt des "Twin Peaks" Duos Ray Wise und Grace Zabriskie kann ich mir nicht entgehen lassen. Was auch für "Hail" gilt, ein australisches Dokudrama, dessen Protagonist, Hauptdarsteller und Inspirationsquelle ein gewissser Daniel P. Jones ist. Ein Kleinkrimineller, der durch eine kaputte Existenz wirbelt und dem manchmal sämtliche Sicherungen durchbrennen. Klingt spannend. Vorab gesehen habe ich ja schon den Body-Horror-Streifen "Antiviral", der von einer nahen Zukunft erzählt, in der die kollektive Celebritysucht so weit geht, dass sich Fans die Krankheiten ihrer Stars injizieren lassen.
Slash Festival
BEATRICE: "Antiviral" wäre ein halbwegs interessanter Film, wäre er nicht von Brandon Cronenberg. Leider kann man eben den Nachnamen nicht ignorieren und wer das Oeuvre vom Papa kennt, wird in diesem Film sitzen und sich denken "Öh, Moment mal…das kenn ich doch irgendwoher." Und dann bekommt das Werk so einen unangenehmen Geschmack von Peinlichkeit.
CHRISTIAN: Mich hätte dieser Aspekt gar nicht gestört, weil ich ja ein Fan von Familienclans bin, ich verehre die Coppolas, die Gainsbourgs und die Argentos mit ihren künstlerischen durchgehenden Linien. Aber unter die Haut ging mir "Antiviral" auch wenig, die Fernsehspielästhetik und das übertrieben expressive Spiel von Hauptdarsteller Caleb Jones nervten mich irgendwann sehr. Schön aber, dass das /slash solche Filme bringt, die in aller Munde sind und man sich seine eigene Meinung bilden kann. Der größte Kritikpunkt meinerseits an der Viennale ist ja die die rigide Programmpolitik, die genau solche Entdeckungsmöglichkeiten ausschließt.
BEATRICE: Oh ja, da hast du Recht. Ich hoffe sogar, dass das /slash da noch mehr in die Richtung des Fantasy Festivals in Sitges, Spanien geht. Die haben es vor ein paar Jahren sogar geschafft "Turin Horse" bei sich unterzubringen und die Horroraspekte dieses Filmes herauszuarbeiten. Das fand ich große Klasse. Ich bin eine große Verfechterin des Auflösens von virtuellen Genreschranken und diesem alten Denken, dass Horror, Fantasy, Sci-Fi etc. nur was für Jungs sind, die auch sonst jeden Tag nur schwarze T-Shirts tragen. Und genau das macht das /slash ja zu einem sehr spannenden Festival, hier wird nicht nur das Übliche heruntergespielt. Am Liebsten würde ich jetzt gleich nach Österreich fahren und mitmachen!
Slash Festival
Gewinnspiel
Wir haben 15x2 Tickets für "The Lords of Salem" am 23.9. um 20:00 im Filmcasino verlost unter denjenigen, die folgende Frage beantworten konnten: Welche berühmte Horror-Franchise hat Regisseur Rob Zombie wiederbelebt? Die richtige Antwort war: Halloween.
Die GewinnerInnen wurden bereits per Mail verständigt.