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Martin Pieper

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Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

7. 9. 2013 - 11:28

Jage zwei Tiger

Helene Hegemann hat einen neuen Roman ganz ohne Plagiatsverdacht geschrieben. Taugt der was?

Apropos Zitat: die nebenstehende Songzeile mit 17/21 wird im Buch Azealia Banks zugeschrieben, tatsächlich stammen die Zeilen aus einem Song von Ladytron, den Produzent Diplo für Azealia Banks gesampelt hat.

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Helene Hegemanns zweiter Roman hat es nicht leicht. Um es mit den Worten von Azealia Banks zu sagen: "They only want you when you’re seventeen, when you’re 21 you’re no fun". Zugegeben, das war jetzt ein Zitat eines Zitats aus dem zweiten Hegemann-Roman "Jage zwei Tage". Und die Sache mit dem Zitat, dem Abschreiben ohne Quellenangabe, der Generation Copy/Paste und die darauffolgende Debatte war dann auch (fast) alles, was vom Debüt "Axolotl Roadkill" übrig geblieben ist.

Der Gegenwind, der Hegemann aus den Feuilletons und Blogs seitdem entgegenweht, hat die Autorin offenbar nicht sehr beeindruckt. Ein kurzer Anhang am Schluss verzeichnet feinsäuberlich ein paar Songzeilen, die im Text auftauchen, ein paar Zitate. Der Verlag hat da sicher gut aufgepasst, dass alle Urheber korrekt genannt werden.

Helene Hegemann

dpa/Rainer Jensen

Krass!

Das Tolle am neuen Buch ist, dass es Hegemann merkbar egal ist, wie das jemand "findet", was sie da schreibt. Rotzig hätte man diese Haltung früher genannt. Weniger toll ist es allerdings, wenn ihr auch ihre Romanfiguren mit Fortlauf der Handlung immer egaler werden. Hegemann erzählt von einer Handvoll Teenager, deren Wege sich "irgendwie" kreuzen. Alle kommen sie aus Patchworkfamilien, sie vollziehen Fluchtbewegungen, ihre Eltern sind wohlhabend, in der Kunstszene tätig, oder haben reich geheiratet. Sie pendeln zwischen Nobelinternaten, Kiffer-WGs und Kunstbiennalen, haben mit Essstörungen und Drogen Erfahrungen gemacht und nehmen die Erwachsenenwelt rund um sie herum mit einer Mischung aus Teilnahmslosigkeit und Weltekel wahr. Natürlich tragen sie Namen wie Kai, Jonas oder Cecile und alles ist "krass", "gottverdammt" oder "beknackt". Die ProtagonistInnen sind jedenfalls noch ein bisschen jünger als die Berghain-Hedonisten in Axolotl Roadkill. Es sind fast noch Kinder, die so in ihrer coolen Allwissenheit gefangen sind, dass man beim Lesen fröstelt oder sich langweilt.

Beknackt!

"Wenn du schon scheitern musst, scheitere glanzvoll. Jage zwei Tiger", ein Textzitat der Band Laibach aus ihrem Album "Kapital" steht am Anfang des Buchs, das mit dem protzigen Goldpräge-Cover und der leicht schwülstigen Schrifttype so gar nicht nach einem Schlüsselroman zum Zustand einer Jugend aussieht, den so mancher Kritiker herbeifantasiert.

Buchcover: Helene Hegemann: Jage zwei Tiger

Hanser Verlag

Helene Hegemann: Jage zwei Tiger, erschienen im Hanser Verlag Berlin, 314 Seiten

Hegemann ist in ihrem Schreiben strikt anti-authentisch. Hin und wieder schimmert die Metaebene, der doppelte Boden durch, der das Debüt interessant gemacht hat. Die Autorin ist bekanntlich mit allen Wassern der Berliner Volksbühnen-Theorie-Rhetorik gewaschen und weiß natürlich, dass das bürgerliche Format "Roman" nur noch als Zitat seiner selbst funktioniert. Mit diesem Kniff kann man trefflich argumentieren, warum die erzählten Geschichten hier so ins Leere laufen, eben keinen runden Handlungsbogen ergeben und die Textsorten vom flapsigen Gespräch zur - ein bisschen gar altklugen - Musikexegese von altem Garagenpunk zum Tagebuchhaften springen.

Hardcore, oder?

Dem Leser hilft das alles nicht unbedingt weiter um wirklich dran zu bleiben, wenn der 12-jährige Kai sich in eine Samantha verliebt, die beim Zirkus arbeitet. Es gibt immer wieder Sätze im Buch, die man sich unterstreichen möchte, so schön sind sie in ihrer Kaputtheit. Aber meistens kämpft man sich durch Satz-Ungetüme wie "Dass sie vor Kälte zitterte, fasste sie obligatorisch als kalorienverbrennende Disziplinierungsmaßnahme auf, es ging ihr gut, zur Beruhigung hörte sie redundantesten Gabbasound einer Electropunkband aus Versailles, dachte derweil an im Rahmen von Völkermorden abgeschnittene Gliedmaßen und zwölfjährige Jungs, die dazu gezwungen wurden, zuerst ihre Mutter und danach den Rest der Familie mit einer Getreidesense abzuschlachten."

Helene Hegemanns zweiter Roman hat es nicht leicht, dem Leser, der Leserin macht er es aber auch nicht leichter.