Erstellt am: 7. 2. 2010 - 12:03 Uhr
Meine Suppe ess' ich nicht
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"Radikal, klug, abgründig" prangt es pink auf schwarz am Buchumschlag. Stimmt durchaus: Was Helene Hegemann ihrer Leserschaft vor die Nase setzt, kennt keine Gnade. Im Fokus: Die sechzehnjährige Mifti, ihres Zeichens "wohlstandsverwahrlost" und "auf der Suche nach der ultimativen Ekstase". Mifti kann: Drogen nehmen, leiden, lustig sein. Gleichzeitig. Auf der Suche nach allem und nichts stolpert sie durch Berliner Clubs, überkandidelte Hochzeitsgesellschaften, Vollidioten. Seinen Anfang hat Miftis Wahn schon vor ewig hingelegt. Mama war unter anderem gewalttätig (jetzt tot) und Papa mit Kulturschaffen beschäftigt.
Ich bin ein Wurstbindfadenknäuel/
Niedlich ist Silber, Sadismus ist Gold/
Warum sie es nicht "einfach durchzieht", wird Mifti pausenlos gefragt - warum sie in sexuelle Perversion, unerfüllte Liebe und den Exzess an sich investiert, statt endlich die Schule hinter sich zu bringen. Die Antwort ist weit weniger interessant als Miftis altkluge Realitätsflucht selbst - oder was davon eben ins Langzeitgedächtnis gelangt. In verschiedenen Zungen lässt die Autorin ihren Schützling sprechen. Das verkorkste Großstadtmaul kann auch hochdeutsch predigen und umgekehrt. Formal ist alles up to date zerschnipselt: Emailfetzen, Songzeilen, wilde Schreiereien.
ullstein verlag
"Axolotl Roadkill" von Helene Hegemann ist im Ullstein Verlag erschienen.
Tagelang fliege ich über eine glazial geprägte Landschaft/
You can't melt it down in the rain/
Ich wichse in die Bodylotion meiner Schwester/
Du weißt aber schon, dass ich morgen wegfahre, Mifti? Nein, du komisches Faszinationsdiktaturmonstrum!/
Natürlich wird im weiteren Handlungsverlauf nur wenig besser. Die Welt geht konstant unter und im Auge des emotionalen Orkans ist's schirch und gottverlassen (betreffend Familie, Freunde, Ficken). Wer will, kann das beeindruckende Debüt der 17-jährigen Helene Hegemann als "authentisches Nullerjahre-Coming of Age Drama" lesen und sich mit Kennermiene zurücklehnen (oder gelangweilt abzischen). Da fehlt aber noch eine spannende Ingredienz: Die herumstreunende Mifti kann nämlich auch "lustig". Sie kennt sich zum Beispiel sehr gut aus mit Berliner Bobos. Und sie zerklaubt deren Wellness-Biedermeier. Der dreijährige Äneas (darf nur Holzspielzeug) trampelt ins Bild, wo alle anderen gerade Suchtgift konsumieren,
"Nein, Mann, ich will nicht ins Yoga!"
Zwischenstopp, wo die Autorin den Blick in die Kamera richtet:
"Ich persönlich würde mich wirklich freuen, wenn sie als Publikum in diesem geschilderten Abend etwas Brauchbares finden, das über das Individuell-Psychologische der Autorin hinausgeht."
PS:
Ein paar Leute sind ein bisschen neidisch auf Frau Hegemann. Oder auch schon grün vor Neid.
Update, 09. 02. 2010
- Weiterlesen: Das Elend mit Helene Hegemann: Die Plagiatsdebatte rund um den Roman "Axolotl Roadkill" von Helene Hegemann kennt viele Verlierer und so manchen Gewinner (Martin Pieper)
Auf die massiven Plagiatsvorwürfe reagierte Helene Hegemann inzwischen mit einer Erklärung, die der Ullstein Verlag aussandte; "Originalität gibt's sowieso nicht, nur Echtheit. Das, was wir machen, ist eine Summierung aus den Dingen, die wir erleben, lesen, mitkriegen und träumen." Hegemann wird vorgeworfen ganze Passagen ihres Buches aus dem im vergangenen Jahr erschienenen Roman "Strobo - Technoprosa aus dem Berghain" von Airen übernommen zu haben. "Offenkundig hat sie die Tragweite dieser Frage unterschätzt und ist auf Quellen und Zitate aus dem Netz - wie etwa den Blog von Airen - nicht eingegangen", der geschädigte Verlag ist an einer gütlichen Einigung interessiert. Airen, Autor von "Strobo", will laut Frank Maleu, Geschäftsführer des Berliner Sukulturverlags, derzeit seinen Namen nicht nennen und nicht öffentlich Stellung zu dem Fall beziehen. Airen prüfe gerade, wie viel Hegemann aus seinem Buch beziehungsweise dem vorausgegangenen Blog übernommen habe, so Maleu. "Wir hoffen, dass es diese Woche noch zu einer Klärung kommt." Der Ullstein Verlag hatte angekündigt, eine Einigung mit Sukultur zu suchen und eine Genehmigung für den Abdruck einzuholen.
Matrin Pieper spricht heute mit Klaus Nüchtern, Kulturchef des "Falter" über den Fall Hegemann, Copy&Paste und Ideenklau.