Erstellt am: 24. 7. 2013 - 14:30 Uhr
Der Wolf im Wolfspelz
Nicht nur worttechnisch scheinen Superhelden und die Spielzeuge der Supermächte gut zusammenzupassen. Bereits in „X-Men: First Class“ fanden sich Prof X., Magneto und ihre Mutanten-Adjutanten inmitten der Kuba Krise zwischen einsatzbereiten Raketen wieder. Auch Wolverine klotzt statt zu kleckern und gleich in der zweiten Minute von „The Wolverine“ erhellt ein Atompilz die Leinwand. Logan mit den Krallenhänden sitzt während des Abwurfs der Atombombe auf Nagasaki im Jahr 1945 als Kriegsgefangener in einem tiefen Brunnen und rettet einem japanischen Soldaten einen Wimpernschlag vor Harakiri das Leben. "The Wolverine" beantwortet gleich zu Beginn die Frage, die man sich wohl nicht nur im Science Fiction und Fantasy Forum gestellt hat, nämlich ob Wolverines Selbstheilungskräfte auch mit einer Atombombe umgehen können, mit ja. Den Mann mit dem Adamantium-Skelett bläst es kurz auf "Thing"-Größe auf, dann setzt der blitzartige Wundverschluss ein. Tetanus, my ass.
20th century fox
Neustart
Aber kann „The Wolverine“ auch unsere Wunden heilen? Schließlich ist einigen von uns immer noch schlecht von dem unausgegorenen Topfen, der 2009 unter dem sperrigen Titel „X-Men Origins: Wolverine“ zähflüssig und ungenießbar über die Leinwände tropfte. Nach dem Film hat man sich so gefühlt, wie Hugh Jackman am Plakat für den diese Woche startenden "The Wolverine" dreinschaut.
Wolverine der Waldschrat
Lange Zeit war für den Neustart, der wohl auch ein Strg+Z sein sollte (selbst Hugh Jackman gab zerknirscht zu "We could have done better") Darren Aronofsky als Regisseur im Gespräch. Schlussendlich saß dann James Mangold am Regiesessel und macht zunächst in „The Wolverine“ das, was bis jetzt jedem Superheldenfilm gut getan hat. Er inszeniert den Protagonisten in der Krise. Wie ein besser genährter Jean Valjean mit Vollbart und Zauselhaaren lungert Logan, der nicht mehr Wolverine sein will, in einer Höhle in den Wäldern seiner Heimat Kanadas. Hört sowas wie das kanadische Ö1 aus einem schicken Retro-Radio, trinkt Whiskey und wird wahlweise von Schlaflosigkeit und Alpträumen gequält.
Einziger Lichtblick in seinem Dasein sind Träume, in denen seine geliebte Jean (Famke Janssen, faltenlos dank Bildbearbeitung) sich in fescher Nachtwäsche neben ihm im Bett räkelt und aus dem Jenseits Sehnsucht nach ihm bekundet. Wie ein verwundetes Tier durchstreift er die Wälder, das hätte man auch verstanden, wenn Mangold sich nicht dazu entschlossen hätte, noch eine symbolträchtige Szene mit einem tatsächlich verwundeten Tier einzubauen. Understatement interessiert „The Wolverine“ nicht, aber das hat Fat Man gleich zu Beginn ohnehin klar gemacht.
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Keine Stars&Stripes weit und breit
Fast schon außergewöhnlich, wenn man bedenkt, dass die meisten Superheldenfilme in amerikanischen Großstädten spielen, ist es, dass „The Wolverine“ zum Großteil in Japan angesiedelt ist. Kein Vorbeischwingen an wehenden Stars&Stripes, keine Freiheitsstatue im Hintergrund. Und statt big in Japan ist der laute, mürrische Wolverine zunächst zwischen all den Höflichkeiten und Verbeugungen so auffällig wie einst der hünenhafte Spiller im Video zu "Groovejet".
Der Soldat, dem Wolverine damals in Nagasaki das Leben gerettet hat, liegt im Sterben und will seinen Retter nochmal sehen. Und ihm ein Angebot machen, das der nicht abschlagen kann, glaubt er. Dank ausgefuchster Technologie wäre es möglich, Wolverines Selbstheilungskräfte auf jemand anderen zu übertragen und der gequälte Wolverine könne endlich sterblich werden.
Den größten Reiz zieht Mangolds Film aus der ungewohnten Umgebung. Wolverine, der mit dem Kimono-Gürtel nicht zurechtkommt und der misstrauisch alte Bräuche beäugt. Mangold bräuchte gar nicht gleich wieder zum Offensichtlichen und zu Superlativen zu greifen und gleich die Yakuza und Ninjas und auszupacken und sie rudelweise auf den einsamen Wolf loszulassen.
Yakuza und Ninjas
Große Themen streift „The Wolverine“ nur. Die Frage, was mit Superhelden passiert, wenn sie ihre Superkräfte verlieren oder die höchst philosophische Angelegenheit, ob Unsterblichkeit nun Fluch oder Segen ist, verkümmern in der grobklotzigen Geschichte. Während eine Kampfszene auf einem Hochgeschwindigkeitszug fantastisch choreographiert ist und eine spätere Szene, in der Wolverine auf unzählige Ninjas im Schnee trifft, fast lyrisch anmutet, gibt es auch zahlreiche weniger erfreuliche Elemente. Stilistische und dramaturgische Patzer für die man dem Film auch Selbstheilungskräfte wünscht. Eine Onkologin, die wohl heimlich Fetzen aus Lady Gagas Kleiderschrank mopst, zum Beispiel. Oder einen korrupten Politiker in roten Unterhosen. Oder die Tatsache, dass der vielleicht geschliffenste Dialog eine Variation einer James-Bond-Schlagfertigkeit aus „Diamonds are Forever“ ist.
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Aber apropos Bond: Wenn Wolverines Kräfte schwinden, wenn der Mann mit den Krallenhänden plötzlich blutet und Pflaster braucht, dann erinnert das daran, wie James Bond in der Daniel Craig-Inkarnation erstmals in „Casino Royale“ verletzt wurde. Innerlich und äußerlich.
So wie der fantastische „Casino Royale“, der ein tatsächlicher Neustart für ein beinah totgelaufenes Franchise war, hätte auch „The Wolverine“ ein noch vielversprechenderes Reboot der Geschichte des grantelnden, doch sympathischen Mutanten sein können. Das zeigen die Szenen, in denen Jackman ein bisschen Platz gelassen wird, um seinem Brotberuf nachzugehen, dem spielen. Der Waldschrat in der Höhle, der suchende, zweifelnde Wolverine ohne Ziel, der Superheld, der sich plötzlich mit schwindenden Kräften fragen muss, was ihn eigentlich ausmacht, das sind die Stärken von Mangolds Film.
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Jackman liebt den X-Man
Jackman sieht man an, wieviel ihm an dieser Figur, die er inzwischen zum sechsten Mal spielt, liegt. Dem Drehbuch liegt leider nicht soviel an Wolverine. Während man aufgrund der Patzer und Lieblosigkeiten (oder Synchonisations-Verbrechen wie "du verdrehte Mutanten-Bitch") manchmal die Geduld verliert, verliert man beim hingehudelten Showdown ein kleines Stück des Verstands.
"The Wolverine" startet am 25. Juli 2013 in den österreichischen Kinos
Doch dann schmiert der Film gleich wieder Salbe auf unsere Wunden und zeigt im Abspann einen Hauch davon, was uns nächstes Jahr bei "X-Men: Days of Future Past“ erwarten wird. Auch wenn Wolverine natürlich der einsame Wolf ist, so sind die X-Men doch am herrlichsten als Ensemble. Im Retrogewandel der 1970er Jahre natürlich noch schöner anzuschauen. Und die Teaserposter, die vor zwei Tagen veröffentlicht wurden, und die die filmische X-Men-Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen lassen. (Stewavoy! Kellenbender!), zeigen bereits wieder die Liebe zum Detail und zu den X-Men selbst. Von der ist in „The Wolverine“ viel zu wenig zu sehen.