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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

13. 3. 2013 - 12:46

Noch mehr Mut

Maria Hofstätter verschwand fast zur Gänze hinter ihrem Großen Schauspiel-Preis und Ulrich Seidls letzter Teil der Trilogie "Hoffnung" wirft Fragen auf. Die Diagonale 2013 ist eröffnet.

Diagonale

Das Festival des österreichischen Films in Graz dauert noch bis Sonntag, 17. März.

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Das ging ja so flott wie nie. Kaum plädiert die Intendantin des Festivals für den österreichischen Film vor einem Gutteil heimischer Filmschaffender für eine Wertschätzung heimischen Filmschaffens neben dem Erfolg in Zahlen, schon gibt es wieder einen Preis. Maria Hofstätter wird für ihre Schauspielkunst gewürdigt.

Als David Schalko sie für die Serie "Braunschlag" gewinnen wollte, war Hofstätters erste Reaktion die Bitte, nur in der ersten Staffel mitzuwirken oder am Ende der ersten Staffel in ihrer Rolle sterben zu dürfen. Begründung: In so einer Serie würde man zu populär.

Maria Hofstätter ist eine Große, und genau diese ihre Aussage trifft den wunden und wichtigen Punkt des österreichischen Films: Popularität. Damit tun wir uns hierzulande offenbar noch immer schwer.

Für das Unerwartete, das Befremdliche, das Irritierende

Ein Verständnis für die Bedeutung und die Möglichkeiten der Kunst abseits des subjektiven Geschmacks und Gebrauchs würden fehlen, ortet Intendantin Barbara Pichler und plädiert für Begegnungen zwischen Film und Publikum - zum Beispiel in den kommenden Tagen auf der Diagonale.

"In diesen Begegnungen und Versuchen der Annäherung muss immer auch das Unerwartete, das Befremdliche, das Irritierende seinen Platz haben können. Abseits der sogenannten großen Filme, auf die wir uns alle einigen können, abseits der großen Preise und der großen Märkte, die wichtig, aber bei weitem nicht alles sind, darf nicht vergessen werden, was es sonst noch alles gibt, was alles probiert werden muss, was es alles geben muss, um diese besonderen Momente der Überraschung zu ermöglichen", forderte Pichler gestern Abend in Graz.
Ja, bitte, nur her damit!

Wie Barbara Pichler sie angerufen hätte, um ihr zum Großen Diagonale-Schauspielpreis zu gratulieren, war Hofstätters erste Reaktion: "Wieso ich?" Worauf Pichler meinte: "Wieso nicht?" Begründungen sollten selbstverständlich auch folgen. Gewürdigt werden allen voran Maria Hofstätters Uneitelkeit und ihr Mut. Hofstätter ordne ihre Persönlichkeit dem Werk unter, sodass ihre Virtuosität beiläufig und mühelos wirke, sagte Schauspielerkollege Michael Fuith in seiner Laudatio.

Maria Hofstätter mit ihrem Großen Diagonale-Schauspielpreis, einem Bild

Diagonale / Klaus Pressberger

Die mutige Maria Hofstätter

Als Schauspielerin könne sie stets nur so mutig sein, wie die Regie. Sie arbeite mit dem Mutigsten überhaupt zusammen, sprach Hofstätter dem Regisseur Ulrich Seidl das größte Kompliment aus. Dabei verschwand die zierliche Maria Hofstätter fast zur Gänze hinter ihrem Preis, einem Bild des Künstlers Herbert Brandl. Der Anblick der mutigen Farben seiner Malerei stahl Hofstätter nur kurz die Show. Das rechteckige Bild könne man aufhängen, wie man wolle, erklärte der Überreichende in Vertretung des Künstlers. Hofstätter war höflich begeistert: "Ich kann es auch verkehrt aufhängen, es passt immer".

Maria Hofstätter wünsche ich mir endlich einmal in einer Rolle als richtige Diva. Sie würde garantiert strahlen.

Maria Hofstätter schloss eine Aufforderung an ihre Danksagung: Sie wünsche sich, dass RegisseurInnen mutiger bei der Besetzung werden. Und nicht nur auf Namen und Quote setzen. Der Zwischenapplaus stimmt ihr zu. Hofstätters Wunsch wird auf dieser Diagonale bereits in einigen Produktionen erfüllt werden, in den Spielfilmdebüts wird man in noch unbekannte Gesichter schauen.

Nicht zuletzt wird Ulrich Seidls dritter Teil seiner Trilogie "Paradies", der die Diagonale 2013 eröffnete, von der jungen Melanie Lenz getragen.

Drei dicklichere Mädchen sitzen auf einer Turnbank

Stadtkino Filmverleih

Kinderwelten und entrückte Bilder

"Paradies: Hoffnung" führt in ein Feriencamp für Kinder, die dort abnehmen sollen. Während sich die Mama in Kenia Liebe erhofft ("Paradies: Liebe", klick) und die Tante Fremde zu missionieren ersehnt ("Paradies: Glaube", klick), verliebt sich die 13-jährige Melanie in den Arzt im Diätcamp. Mit grauem Haar bis in den Nacken, zerdrücktem Sakko und einem Cabrio wäre die Attraktivität des Mannes mittleren Alters für Gleichaltrige enden wollend. Im Untersuchungszimmer trinkt er Whiskey und raucht. Melanie wartet bald täglich auf ihre persönliche Sprechstunde. "Was machen wir heute? Abhören? In den Hals schauen?", fragt der Arzt. "Blutdruckmessen", tönt die selbstbewusste Antwort.

Stets einen Tick zu lang sind die Begegnungen des Mädchens mit dem Arzt. Die Ambivalenz spitzt sich zu. Wie ein begossener Pudel steht der Arzt nach dem Schwimmen mit einem Handtuch um die Lenden vor der sich föhnenden Melanie, folgt ihr beim Ausflug in den Wald. Die Treffen der Beiden fallen aus dem Rahmen von Mädchendialogen auf ihrem Zimmer und Disziplinierung im Turnsaal.

Dicklichere Kinder stehen in einer Reihe auf einer Wiese

Stadtkino Filmverleih

Hat der Boulevard Ulrich Seidl überholt?

Dieses Feriencamp ist der Gegenwart enthoben. Im Gänsemarsch purzelbaumen, essen, schwimmen und spazieren dickliche Kinder im Diätcamp, die Totalen für die Sprossenwand drängen sich förmlich auf. Im Gänsemarsch wird jede Unterhaltung unterbunden, auf den Zimmern vertrauen einander die Kinder ihre Welten in - teils improvisierten - wirklich niedlichen Dialogen an. Lieb ist der Umgang der Kinder untereinander, Dicksein ist da kein Thema. Es geht um erste Küsse und ersten Sex, überforderte Erziehungsberechtigte und geheime Mitternachtspartys.

Wie bereits in "Paradies: Liebe" und "Paradies: Glaube" ist der Blick auf die weibliche Hauptfigur grundsätzlich empathisch. Das werden Seidl-Fans früher Jahre - wer auch immer sie sein mögen - eventuell nicht erwarten. Zur Schau gestellt wird hier niemand. Vielmehr steigert Ulrich Seidl das Einfühlungsvermögen ins Bildliche: Nimmt hier Melanies Vorstellung überhand? Für Seidl liegt der Zugang des Arztes zum Mädchen Melanie ganz klar jenseits des Äußersten, "höchstens in surrealer Poesie", wie Petra Erdmann "Paradies: Hoffnung" und seine entrückten Szenen sieht.

Mehr dazu hoffentlich bald, wenn der Film in den heimischen Kinos läuft. Zumal sich angesichts des dritten Teils der "Hoffnung"-Trilogie eine These auftut, die diskutiert werden will: Wurden Ulrich Seidls Filme vom Reality-TV überholt? War "Models" der Vorläufer der Next Topmodels, ist "Hoffnung: Liebe" ein Gegenstück zur Serie "Geschäft mit der Liebe" über Sextourismus in osteuropäischen Ländern? Ist der Boulevard nun dort höchst erfolgreich unterwegs, wo einst vor allem und recht alleine Ulrich Seidl hingesehen hat? Wenn nicht, worin liegt der Mehrwert? Wollen wir uns diese These von Analogie näher anschauen?

Heute: Spezialsendung zur Diagonale live aus Graz

FM4-Filmjournalistin Petra Erdmann und Martin Pieper melden sich heute live ab 19.00 aus dem Foyer des Grazer Kunsthauses.

Mit Casting-Agentin Eva Roth, Regisseur Daniel Hoesl (sein "Soldate Jeanette" hat heute Premiere) und Regisseurin Katharina Mückstein ("Talea" läuft auf der Diagonale) sprechen sie über Schauspielarbeit und Castings. Markus Keuschnigg macht sich auf die Suche nach österreichischen Filmen im Netz: Wie steht es um die Verwertung der heimischen Produktionen? Diskutiert wird mit Fördergebern und Regisseur Arash T. Riahi, der mit seinem Bruder gemeinsam mit dem Projekt "Everday Rebellion"neue Medien-Wege einschlägt. Nicht zuletzt wird sich Christian Fuchs der Subkulturszene in den Achtziger und Neunzigern widmen und verraten, was es mit "Austrian Pulp" auf sich hat.