Erstellt am: 14. 1. 2013 - 12:57 Uhr
Ihr Wille geschehe
"Paradies: Hoffnung", der letzte Teil der Trilogie, wird im Februar bei der Berlinale 2013 im Wettbewerb laufen.
Liebe, Glaube, Hoffnung. Ulrich Seidl hat sich für seine Trilogie "Paradies" die theologischen Tugenden vorgenommen. Sie finden sich im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther; der österreichische Regisseur teilt sie drei Frauenfiguren zu.
Für die Liebe reiste Grete Tiesel in "Paradies: Liebe" nach Kenia. Nun richtet Maria Hofstätter in "Paradies: Glaube" all ihr Tun nach ihrem Glauben. Im letzten Teil der Trilogie, "Paradies: Hoffnung" geht es dann - mit der jüngsten Frau in der Runde von Seidls Protagonistinnen - ins Abnehmlager für mollige Jugendliche.
Zurzeit aber ist Anna auf Mission in den heimischen Kinos. Bei den Filmfestspielen von Venedig bekam "Paradies: Glaube", der Trip zwischen biederem Haus in der Vorstadt und den Wohnungen Fremder, einen Spezialpreis der Jury.
Streng ist die Hochsteckfrisur von Anna, diszipliniert und disziplinierend ihr Hauskleid und die Arbeitsbekleidung. Als medizinisch-technische Radiologieassistentin erteilt Anna am Arbeitsplatz im Krankenhaus Befehle – Einatmen, Atmen halten. Sie quetscht Brüste in Mammografiegeräten zurecht, rückt Köpfe vor Metallplatten gerade. Das einzige Gespräch, das sie führt, ist ihr täglicher Monolog im lauten Gebet vor dem Kruzifix. Ihre einzigen "unprofessionellen" Berührungen richtet sie an Gegenstände: Geküsst wird Jesus, dargestellt als langhaariger Jüngling im gerahmten Bild auf ihrem Schlafzimmerkästchen. In der Küche hängt ein Bild des Papstes. Das wird aber nicht geküsst.
Nach einer Viertelstunde kennt man Anna, leider zu gut. Maria Hofstätter spielt diese Anna fantastisch, als würde sie privat den wöchentlichen Bibelkreis ausrichten und die Vertrauten im Geiste nur über den Garageneingang in ihr Haus lassen. Man ahnt es: Die Bewegungsmöglichkeiten sind begrenzt.
Ulrich Seidl Film / StadtkinoFilmverleih
Porträt einer Abgekapselten
Maria Hofstätter wird diesen März mit dem Großen Diagonale-Schauspielpreis bedacht. Im Fernsehen war Hofstätter im Vorjahr in David Schalkos "Braunschlag" zu sehen.
An der Heimorgel vor dem großen Wohnzimmerfenster mit halb geöffneten Jalousien feiert sie ihre eigenen rhythmischen Messen. Mit ihrer chicen, weil silbernen Tasche zieht Anna los und trägt eine Holzstatue der Mutter Gottes Treppen auf und ab: „Die Mutter Gottes kommt zu Ihnen auf Besuch! Kennen Sie die Mutter Gottes?“ Mehr als diese Frage braucht es nicht, schon steht Anna in einem Wohnzimmer Wildfremder und segnet die Menschen. Bevorzugt Ausländerfamilien, denn Österreich will katholisch gehalten werden.
In einem FM4 Doppelzimmer Spezial hat die gebürtige Oberösterreicherin Maria Hofstätter Elisabeth Scharang Persönliches erzählt.
Bei ihren überfallsartigen Hausbesuchen ruft Maria Hofstätter als Anna mit ihrer Wandermuttergottes mehr als ein Déjà-vu an die fantastische Sequenz in "Hundstage" hervor. Anna will die Ungläubigen und Sündigen missionieren. Anmaßend, übergriffig, schlagfertig kriegt sie dabei fast alle auf ihre Knie. "Herr Rupnik, knien Sie sich nieder!"
Allein für die Minuten, in denen Herr Rupnik, ein Messie, nur bekleidet mit Unterhose, im Schlafzimmer seiner verstorbenen Mutter vor der Marienstatue knien muss, ist den Kinobesuch wert. Herr Rupnik hält einen atemlosen Vortrag über das "Lockfleisch" der Frauen, das seine Knie weicher mache, und KinobesucherInnen glucksen vor Lachen. "Herr Rupnik, I was net, ob das das geeignete Thema vor der Mutter Gottes ist!". Mit grotesker Ernsthaftigkeit exerziert Anna in Pullunder und Rock stets über die Knie ihr eigenes Programm.
Ulrich Seidl Film / StadtkinoFilmverleih
Mit ein wenig Hobbypsychologie
Ansonsten gestaltet sich "Paradies: Glaube" überwiegend trist und verharrt in diesem beigen Einfamilienhaus, das in seiner Beigeheit an Vorhängen, Möbeln und Böden eine neue Dimension im österreichischen Spielfilm erreicht. Handlung hat der zweite Teil der Trilogie kaum aufzuweisen, als Porträt einer einsamen Frau mit Hang zum Sado-Masochistischen bleibt der Schock-Effekt aus.
Aber genau den erwartet man sich von Ulrich Seidls Filmen. Irgendwie fehlt diesmal die Herausforderung für das Publikum. Eben diese Filmsekunden, die eine Irritation hervorrufen, mit der man sich nach Verlassen des Kinos beschäftigen muss oder will. Und das fehlt ausgerechnet bei jenem Film, für den Ulrich Seidl in Italien von ultrakonservativen Katholiken der Blasphemie bezichtigt und angezeigt wurde.
Zur kleinen Enttäuschung trägt auch bei, dass man mit ein wenig Hobbypsychologie den Verlauf vorhersieht. Bis auf die einzige Überraschung. So alleinstehend, wie Anna schien, ist die gar nicht. Fad wird es dennoch nicht, weil Maria Hofstätter Plastiksackerl so pendantisch faltet, wie sie sich selbst geißelt: Als wäre sie diese fanatische Jesu-Liebende, die sich mit ihrem Gebetskreis als "rechte Gebetsspitze des Glaubens" und als Sturmtruppe versteht.
Ulrich Seidl Film / StadtkinoFilmverleih
Die Moral der Geschichte
Anna erbringt Opfer für Unkeuschheit. Auf ihren Knien robbt sie den Rosenkranz betend durch ihr Haus. "I bin so glücklich seit wir unsere Beziehung haben", vertraut Anna ihrem Jesus an. Sie hat sich ein Gebetszimmer eingerichtet, das zur Folterkammer mutiert und in das sie sich letztlich zurückzieht. Ihre Utensilien holt sie in den ersten Szenen aus den Tiefen eines Schreibtisches hervor: eine Peitsche und ein schwerer Metallgürtel zur Selbstgeißelung für die Sünden der Welt.
"Paradies: Glaube" von Ulrich Seidl läuft seit 11. Jänner in den österreichischen Kinos.
Aber Anna kennt kein Erbarmen, wenn es um ihre Nächsten geht. Ihr querschnittgelähmter Ehemann verkörpert den Schmerzensmann. Da hängen bald nicht mehr nur sämtliche Kreuze im Haushalt nicht mehr. Auch der Spielraum zur Interpretation schrumpft auf einen moralisch erhobenen Zeigefinger.