Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Artist Of The Week: Sinkane mit "Mars""

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

3. 12. 2012 - 13:15

Artist Of The Week: Sinkane mit "Mars"

Beim Wort "Weltmusik" muss ich jedesmal kotzen. Ob es dem im Sudan geborenen Sinkane wohl gleich geht?

Ich finde es oft billig, wenn Ethnizität und Biographie als Muster verwendet werden, um Musik zu erklären. Viel zu schnell, oft und routiniert verfallen die Kommentatoren in Gemeinplätze, die nichts anderes sind als gut gemeinter Rassismus und dem jeweiligen Werk seine Einzigartigkeit nehmen. Es wird damit nämlich zur Konsequenz einer Herkunft und einer Verkettung von biographischen Umständen.

Geschichten und Identitäten, vor allem wenn sie minoritär sind, verkaufen Popmusik blendend. Ahmed Gallab ist als Kind mit seinen Eltern aus dem Sudan und nicht aus Düsseldorf geflüchtet. Der elliptische Space Jazz von Sun Ra, der Afrobeat von Fela Kuti sind zu hören auf "Mars", aber auch 70ties Funk von Parliament und Krautrock outta Germany, sowie die Süße des kosmopolitischen Indietums, das in Brooklyn zusammengebraut wird.

"Mars" ist eine weite und sehr coole Platte, leicht zu hören und doch souverän die Register mehrerer Genres ziehend. Sinkane ist funky, aber auf eine sehr zärtliche Weise. Seine Stimme hören wir auf den acht Nummern von "Mars" oft bearbeitet, geloopt und durch die Talkbox gequetscht. Er spielt mit Raum und Distanz. Sinkane meint im Interview, dass er vor "Mars" viel Instrumentalmusik gemacht hat und in dem Moment, in dem er seine Stimme ins Werk brachte, auch die Frage von Raum relevant wurde, und in Folge die Orchestrierung minimaler: um Platz zu schaffen. "Mars" ist kein psychedelischer Sturm, sondern ein zärtliches Kitzeln am Hypothalamus.

sinkane

Das Cover von Mars ist ein Scherz, dargereicht mit großer Coolness, eine brillante Kolonialismus-Persiflage unterstelle ich Sinkane hiermit. Wir kennen, fürchten und belächeln sie doch alle: Die weißen Dudes, die, kaum landen sie an neuen Stränden oder Planeten, eine Flagge in die Erde rammen müssen, und sich in besitzergreifende Heldenpose werfen. Am Cover von "Mars" sieht man Ahmed grinsend in der Badehose am Strand stehen. Er macht das Peacezeichen und neben ihm weht auch eine Fahne, ich glaube sie bedeutet "Schwimmen erlaubt, im Wind".

"Mars" ist der von Ahmed Gallab geschaffene musikalische Raum, in dem wir alle leben können, egal wo wir herkommen, aus dem Sudan, Brooklyn oder Düsseldorf. Wir alle haben das Recht, an dem Ort in dem Kontext, den wir uns ausgesucht haben, zu leben, ohne von Gestalten in Uniformen, wie sie auch im Video zu Sikanes erster Single "Runnin" auftauchen, belästigt zu werden:

Sinkane mag rhythmusbetonte Musik, erzählt er mir, deshalb beginnt alles mit dem Schlagzeug, dann kommt der Bass. Drums und Bass sind das Skelett seiner Tracks, von denen er übrigens jeden Tag drei produziert. Früh aufstehen und jeden Tag drei musikalische Ideen in diese Welt bringen, das ist der Arbeitsethos, den er von seinen Eltern und Caribou, einem seiner musikalischen Helden, übernommen hat.

Ahmed spielt auf den acht Nummern von "Mars" die meisten Instrumente selbst. Hin und wieder schauen Freunde vorbei, in deren Bands Ahmed Drums spielt. Twin Shadow spielt Gitarre und der Kollege von Yeasayer ist am Bass zu finden.

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße, sagt man doch gemeinhin. Deshalb würde ich es nie wagen, Sinkanes cooles, freundliches und zugängliches Album "nett" zu nennen. Es ist Musik, die für mich am besten bei Tageslicht funktioniert, weil ich da eine Reflexion der in den Tiefen der Marstäler liegenden Schönheit erhaschen kann.