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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

21. 8. 2012 - 13:01

Die Pop-Transformers aus Brooklyn

Yeasayer versuchen sich auf "Fragrant World" erneut an der Weiterentwicklung der guten alten Popmusik. Und sind unsere "Artists Of The Week".

Was bringt es eigentlich, zum Mars zu fliegen? Was hat die Menschheit davon, wenn Michael Phelps den olympischen Medaillenrekord bricht? Und warum versuchen sich einige Musikschaffende noch immer an der Weiterentwicklung der Popmusik, wo doch nicht nur schon alles gesagt und gespielt wurde, was es zu sagen und zu spielen gibt, sondern allzu forsches Forschen mittlerweile als grundverdächtig gilt?

Yeasayer

Secretly Canadian / Anna Palma

Man muss einer Band wie Yeasayer einfach dankbar sein. Mit jedem Album unternimmt die Truppe rund um Chris Keating den Versuch, der guten alten Popmusik so etwas wie einen genuinen Ausdruck "unserer" Zeit abzutrotzen und dabei vielleicht sogar auf Neuland zu stoßen.

Wir Popmenschen leben ja im postmodernen Mashup, haben uns semi-gut-gelaunt mit dem Zeichenwildwuchs der Kultur und ihrer Instantverwertungsmechanismen arrangiert, haben uns damit abgefunden, dass ehemalige Antagonismen im Retromania-Rückspiegel zu einer wohlig warmen Verklärungskultur verkommen sind, begnügen uns mit dem "guten Song", der tief empfundenen "Emotion" und der Placebo-Flucht aus dem echten Leben, spielen auch brav mit in der Welt der Megaevents und Selbstausbeutung und schauen dann ungläubig nach Russland, wenn Pop, Politik und Rebellion tatsächlich wieder in ein reales Verhältnis gebracht werden. Wir wissen wer daran Schuld ist, natürlich der Hipster!

Die Pop-Haiden aus Brooklyn

Apropos: Yeasayer setzen auch auf ihrem dritten Album die Reise ins Unbekannte fort und führen zusammen, was vordergründig nicht zusammengeht: heißer R&B und kalter New Wave der Anne-Clark-Schule. Oder subsonische Bassfrequenzen und ätherisches Folkgesäusel. Das gibt knallgelben Rauch! Wie man dieser chaotischen "Fragrant World", so der Titel des inhaltlich rabenschwarzen Albums, schöne, der Schöpfung verpflichtete Popsongs entreißen kann, bleibt dabei das Geheimnis von Yeasayer.

Die Art-Popper machten mit ihrer Stammbesetzung (Chris Keating, Vox / Ira Wolf Tuton, Bass / Arnand Wilder / Guitar) erstmals am South-By-Southwest-Festival 2007 auf sich aufmerksam. Auffallend war der New Age und Weltmusikcharakter ihres experimentellen Pop. Im Gegensatz zu anderen heißen Bands aus Brooklyn wie Animal Collective, Dirty Projectors oder Grizzly Bear war der Hang zur Popharmonie aber von Anfang an sehr ausgeprägt bei dem Quartett (Luke Fassano bediente bis 2009 das Schlagzeug).

Yeasayer - Fragrant World

Secretly Canadian

(hässliches) Cover "Fragrant World" (Secretly Canadian)

In einem frühen FM4-Inteview (2008) erklärte Keating den kreativen Boom Brooklyns mit dem gleichzeitigen Niedergang der traditionellen Musikindustrie. Wenn sich niemand mehr Hoffnungen auf einen größeren, lukrativen Plattenvertrag machen könne, so seine damalige These, würden die Kunstsinningen unter den Popmusikern viel ungehemmter und kompromissloser ans Werk gehen. Es wäre daher auch eher von einem "Brooklyn-Spirit" zu sprechen als von dem oft bemühten "Brooklyn-Sound", den es als Unikat in einer Zeit der Ablösung der Musik von ihrem Enstehungsort gar nicht mehr geben könne.

New Age und R&B

Auf das esoterische Debüt "All Hour Cymbals" (2007) folgte Anfang 2010 mit Album No. 2 sogleich die Bestätigung der These vom Experiment als treibende Kraft. Reduziert auf ein Trio (Luke Fassano war nicht mehr mit an Bord) verabschiedete man sich auf "Odd Blodd" von der Sitar Indiens und den Schellen Südamerikas und wandte sich dem Popsong im Kleid der 80er Jahre zu (als Vorbild dienten u.a. die frühe Madonna und Cindy Lauper). Die Stilvorlagen wurden ästhetisch zerlegt, mit aktuellen Sounds wie etwa Dubstep und Chillwave angereichert und wieder zusammengeschraubt. Am Ende stand ein Album, bei dem scheinbar nichts passte und doch alles stimmte.

Yeasayer waren ab nun eine der Vorzeigebands Brooklyns. Die Truppe integrierte zwei neue Musiker ins Live-Line-Up (Jason Tramell und Ahmed Gallab) und betourte die Welt samt ihrer großen Sommerfestivals. 2011 erklärte der einflussreiche Online-Tastemaker "Hypemachine" Yeasayer zur "most blogged about band in 2010". Natürlich war man spätestens ab diesem Zeitpunkt in der Wahrnehmung vieler Kritiker und Blogger eine "blöde Hipsterband" mit einem Selbstbeweihräucherungssound, wie er nur aus dem durchgentrifizierten Viertel jenseits des East River kommen kann. Chris Keatings exaltierte, bengalische Ausdrucksfuchtelein auf der Bühne, sowie der oft in Eso-Jazz-Pop treibende Live-Sound der Band taten ihr übriges, um den Pophaiden das zweifelhafte H-Gütesiegel einzubringen. Dementsprechend der launige Unterton in vielen der Reviews zum neuen Album "Fragrant World".

Reagans Skelett und die Apokalypse

Am neuen Album geht es gewohnt pessimistisch und auch kritisch zur Sache. Während "One Hour Cymbals" über seinen Weltmusik-Charakter eine subversive Antwort auf den damaligen Isolationskurs der USA unter George W. Bush gab, geht Keating auf "Fragrant World" in Songs wie "Fingers Never Bleed" plakativ hart ins Gericht mit der Wall-Street-Gang oder tanzt auf "Reagan’s Skeleton" einen Todestango mit den Republikanern und ihrer Heldenverehrung für den Ex-B-Movie-Schauspieler, konservativen Erneuerer und späteren US-Präsidenten.

Auch musikalisch zeigen Yeasayer einmal mehr keine Ehrfurcht und nehmen so ziemlich alles auseinander, was man morphen und woanders wieder gegen die Gebrauchsanweisung zusammenlöten kann. Das wirkt bisweilen bemüht, aber das soll es wohl auch. R&B meets New Age meets New Wave meets everything in between. Am Ende steht ein Pop-Transformer und wir rätseln: Autobot oder Decepticon? So kann sich die internationale Kritik nicht darauf einigen, ob "Fragrant World" nun das beste oder schlechteste, das eingängiste oder sperrigste Werk der bisherigen Bandgeschichte ist. Es ist eine Herausforderung an Geschmack, Herz, Hirn und Beuschel. Hier erschließt sich vieles erst nach mehrmaligem Hören, manchmal auch gar nicht und bisweilen verschwinden die zuckersüßen Melodien und Hooks wieder, die man dachte, eben erst ausgemacht zu haben. Täuschung und Illusion, Kritik und Narrentreiben, Torch Songs und Zynismus drängeln sich hier oft innerhalb weniger Takte.

Yeasayer, Retromania

Christian Lehner

Chris Keatin, Brooklyn 2010

Es gibt Tracks, Tunes und Songs, Fragmentarisches und Episches. Mit "Henrietta", der ersten Single, ist Yeasayer sogar wieder ein Kunststudentenhit gelungen. Im Spottstück "Folk Hero Shtick" sollte wohl mit dem New Weired America und seinen, für den Lauf der Dinge völlig unerheblichen, Introspektionsornamenten abgerechnet werden.

"Fragrant" bedeutet eigentlich "wohlduftend", doch die Texte von Chris Keating sind morbide und steuern über persönliche Katastrophen und allgemeines Unwohlsein in Richtung Apokalypse. Die Songtitel sind entsprechend: "Demon Road", "Damaged Goods" oder "Devil And The Deed". Doch der Sound weiß es – wie immer im Pop – besser und demonstriert, dass sich Yeasayer - und wohl auch wir - nicht vor der Zukunft fürchten müssen. "Ein bisserl was geht immer (noch)", um den Ewigen Stenz zu zitieren.