Erstellt am: 2. 11. 2012 - 11:34 Uhr
Vlog#8 Ein verfilmter Wikipedia-Eintrag
Man kann nicht sagen, man hätte uns nicht gewarnt. Die Titelsequenz von "Driven to Stardom" winkt einem mit dem Zaunpfahl entgegen, dass man nun besser Reißaus nehmen soll. Breakdance ausübende Silhuoetten mit schimmernden Konturen sind zu sehen und in ihren Umrissen schimmert ein Porträt von Tony Curtis durch. Die Buchstaben, die nun "Driven to Stardom" quer über die Leinwand schreiben, funkeln. Von der Hässlichkeit gebannt, bleibt man aber sitzen und ein verfilmter Wikipedia-Eintrag inklusive Diashow beginnt. Und sie beginnt mit dem klassischen Fernseh-Doku-Aufbau. Montiert zunächst mal alle Interviewten in einer kleinen Sequenz, in der jeder etwas Freundlich-Nichtssagendes von sich gibt. ("Tony, oh, he was just the cutest of them all." "He really wanted to be a movie star.")
7hart
Navy, Schauspielerei, Drogen
Danach hält sich "Driven to Stardom" strikt an Curtis' Lebenslauf, erzählt vom Kind aus armen Verhältnissen, seiner Zeit bei der Navy, von der Schauspielausbildung, seinem ersten Vertrag bei Universal, seinen Ehen und Drogenproblemen. All das macht die Doku inklusive zahlreicher spekulativer Sätze mit ab und zu wertlosen Informationen aus dem Off. Der Tag, an dem Curtis' kleiner Bruder von einem LKW angefahren wird (und tags drauf an den Verletzungen stirbt), war ein warm and muggy friday. Der Erzähler, der einen durch die Doku führt, liegt in Sachen Stimmlage und Erzählweise irgendwo zwischen Troy McLure und diesen Leuten, die auf Lehrmaterial im Englischunterricht zu hören sind ("Listen to the dialogue and take notes").
Jetzt kann man sich mit einer Stimme mit Marktschreier-Attitüde arrangieren, aber zum Wie kommt ja immer auch noch das Was hinzu und die Formulierungen der Narration sind in ihrer Verknappung und Patschertheit haarsträubend. Wenn man das ganze Leben eines Menschen in 96 Minuten erzählen will, muss man natürlich verdichten, doch das tut "Driven to Stardom" an den falschen Stellen und setzt keine dramaturgischen Schwerpunkte, die im Leben und in den Filmen von Tony Curtis nicht schwer zu finden wären. So aber streift es nur den Antisemitismus, dem der als Bernhard Schwartz geborne Tony Curtis als Kind ausgesetzt ist. Wie sich in den 1950er Jahren ein neuer Typ von Filmstar auftut, wie Curtis zum Pin Up Boy und Sexsymbol wird, lange vor Marilyn Monroe.
mgm
Öde Anekdoten
Interviewt wurden für "Driven to Stardom" hauptsächlich Autoren, deren aktuelle Publikation auch stets zusätzlich zu ihrem Namen eingeblendet wird. Zwischen Anekdoten von Debbie Reynolds, Hugh Hefner und Mamie van Doren folgen wenig tiefschürfende psychologische Analysen, dass das mit dem Ruhm dann manchmal auch schwierig sein kann. Was dieser Doku fehlt, ist jemand wie Peter Bogdanovich, die Geheimwaffe vieler ähnlicher Dokus. Weil er nicht nur Anekdoten erzählt, sondern weil er glaubwürdig und kompetent Dinge in Beziehung setzen kann. In "Driven to Stardom" erzählt dann eben Schauspielerin Theresa Russell, wie sich wohl Tony Curtis gefühlt haben muss, als Marilyn Monroe bei den Dreharbeiten zu "Some like it hot" stets zu spät war. Ihre Berechtigung für das spekulative Analysieren? Sie hat später mal Filme mit Tony Curtis gedreht.
Manchmal kann man die formalen Makel und die Einfallslosigkeit solcher Dokus entschuldigen, weil Geschichten zum besten gegeben werden, die durch den Zahn der Zeit und oftmaliges Erzählen auf Hochglanz poliert und pointiert wurden. Das ist hier leider auch nicht der Fall. Theresa Russell ist wohl die einzige, die hysterisch lacht, als sie erzählt, dass sich Curtis bei "Lepke" weigerte die weiten Hosen und Sakkos zu tragen, die man in den 30er und 40er Jahren eben getragen hat.
7hart
Austern und Schnecken
Man könnte darüber hinwegsehen, dass "Driven to Stardom" seine Talking Heads gnadenlos ausleuchtet, ihnen die Benutzung von Haarbürsten verboten hat und ihnen weder die Hemden gerichtet, noch die Schuppen von der Schulter geklopft hat. Die große Auslassung aber, was Tony Curtis Bedeutung als gay icon betrifft, wird schon schwieriger zu verzeihen und zu verstehen. Zwar wird natürlich die "Austern oder Schnecken"-Szene in "Spartacus" erwähnt, doch das war's dann auch schon. Mamie van Dorens "He was definitely not gay" lässt man stehen, ohne Tony Curtis' eigene Aussage aus dem Jahr 2002 zu erwähnen. "I was 22 when I arrived in Hollywood in 1948. I had more action than Mount Vesuvius; men, women, animals! I loved it too. I participated where I wanted to and didn't where I didn't. I've always been open about it." Es geht nicht darum, das Zitat wörtlich zu nehmen, sondern es geht um eine Offenheit, die Tony Curtis schon damals an den Tag legte, was seine Rollenwahl zur Zeit des restriktiven Hays Code betraf. Und wie aus seinen zahllosen Promobildern mit nacktem Oberkörper, seiner rebellischen Haartolle, seinen cross-dressing Rollen und natürlich dem "Spartacus"-Dialog, ein Status als gay icon erschaffen wurde. Weil Film (siehe auch wieder "Room 237") ja immer mehr ist als eine Inhaltsangabe und die Intention des Regisseurs. Und weil Tony Curtis mehr ist als ein Abklappern seiner biografischen Daten.
7hart
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Samson
Dokus in der Machart von "Driven to Stardom" gibt es unzählige und solange immer ein Aspekt, eine Geschichte drinnen ist, die ich noch nicht kannte, versuche ich mich nicht über formale und erzählerische Mängel zu ärgern. In "Driven to Stardom" ist es eine Anekdote, die sich auf die Dreharbeiten von "Trapez" bezieht und die eine Variante des Samson-Mythos ist. Gina Lollobrigida verlangte, dass man Curtis die Haare kurz schnitt, weil sie wusste, wie sehr diese Haartolle ihr ansonsten die Show stehlen würde.
Bleibt die Hoffnung, dass "Method to the madness of Jerry Lewis" und vor allem "Harry Dean Stanton: Partly Fiction" die allzu gewohnten Doku-Erzählpfade verlassen.