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Pia Reiser

Filmflimmern

18. 6. 2012 - 12:20

The Head Bang Theory

Würde es eine Show geben, würde Tom Cruise sie stehlen: "Rock of Ages" ist ein glattfrisiertes Hair Metal Musical, das einen Vokuhila schon für eine gute Pointe hält.

Ich bin der Petrocelli, der Perry Mason, die Ally McBeal der Musicals, stets bereit, das allseits geschmähte Genre zu verteidigen. In diesem schwierigen Vorhaben spielt mir Hollywood in den letzten Jahren nicht unbedingt verwendbare Argumente in die Hand. Nach "Nine" und "Burlesque", dem Duo der Cheesieness, das sich nun mit "Rock of Ages" zu einem Triumvirat der Bedeutungslosigkeit formiert, weiß ich bald auch nicht mehr weiter.

Alles, was ich nun sage, kann und wird gegen mich verwendet werden. Wer bereits die Idee von "Mamma Mia", also aus Abba-Songs ein Musical zu stricken, haarsträubend fand, der wird sich freuen, dass das Jukebox-Musical-Machwerk "Rock of Ages" dahingehend konsequent ist, dass es das mit dem haarsträubend wörtlich nimmt und aus Hairmetal-Hits einen Film flicht, dessen Geschichte natürlich einen Bart hat.

Juliette Hugh in "Rock of Ages"

warner bros

Glam Metal und Tipper Gore

Diese bärtige, zur Standardausstattung des amerikanischen Films gehörende Geschichte beginnt damit, dass ein junges Mädchen auszieht, um "es" in der großen Stadt "zu schaffen". Die Stadt ist Los Angeles, und das "es" die Singerei. Die Landpomeranze in der kurzen Jeansjacke heißt Sherri (Julianne Hough), ihre i-Punkte sind Herzchen, ihr Herz hingegen ist aus Gold und ebenso das Kehlchen. Sie landet als Kellnerin im legendären Bourbon, verliebt sich in Kellnerkollegen/angehender Rockstar Drew (Diego Boneta), während Bourbon-Besitzer Dennis (Alec Baldwin) und seine rechte Hand Lonny (Russell Brand) mit den Finanzen hadern. ("Taxes are so un-rock'n'roll"). Gegenüber der Höhle für Rock und Exzesse demonstriert Catherine Zeta-Jones mit angesteckter Stars&Stripes-Brosche als Frau des Bürgermeisters gegen die satanischen Verse der Poser-Metaller und deren Einfluss auf die Kinder.

Denn 1987 erschien nicht nur "Appetite for Destruction" von Guns'n'Roses oder "Hysteria" von Def Leppard, sondern auch "Raising PG Kids in an X-rated society" von Tipper Gore, die mit dem von ihr gegründeten "Parents Music Resource Center" unter anderem dafür sorgte, dass Platten mit "anstößigen" Texten mit einem "Explicit Lyrics" Sticker versehen wurden.

Catherine Zeta jones in "rock of ages"

warner bros

Die Sache mit Tom Cruise

In der Hoffnung, dass es genügend Leute gibt, die an das Unding namens "So schlecht, dass es schon wieder gut ist" bzw. an "Das hab ich früher so gern gehört" klammern, inszeniert Adam Shankman eine einfallslose Hit-Parade, die sich stilistischen Musical-Konventionen beugt. Nie erhebt sich "Rock of Ages" zu einem dieser losgelösten, eskapistischen Momente, die das Kino erzeugen kann, wenn Menschen auf der Leinwand singen und tanzen.

Die Geheimwaffe - und auch die ist so offensichtlich, dass man sie eigentlich nicht als Geheimwaffe bezeichnen darf - ist Tom Cruise als Stacee Jaxx, der Rockstar mit den Pistolentattoos in der Lendengegend. Diesem Stacee Jaxx begegnen wir erst, nachdem wir sehr viel über ihn gehört haben und der Mythosaufbau ist eines der wenigen erzählerischen Dinge, das in "Rock of Ages" funktioniert. Wie sich Cruise aus einem Knoten aus Frauenkörpern und Goldlaken auf seinem Bett schält, in seinem Schritt eine glitzernde Teufelsfratze mit herausgestreckter Zunge, das gehört zu den besten Momenten des Films.

Cruise versammelt nicht nur die Haar/Muskel/Schweiß-Posen des Rock, sondern wird zu dem Paradebeispiel des Rockstars, der zwischen Größenwahn und Zerknirschtheit mäandert, sich vom eigenen Ruhm malträtiert fühlt und wo die Bühnenpersona längst die Kontrolle übernommen hat.

Nun gehört Cruise zu jenen Schauspielern, die - ganz im Gegensatz zu beispielsweise Daniel Day-Lewis oder Gary Oldman - nie hinter ihren Rollen verschwinden. Den "öffentlichen" Tom Cruise denkt man als Zuseher immer mit. Und das denkt auch Tom Cruise mit. Es gehört ja ein bisschen zum guten Ton, wenn sein Name fällt zunächst mal zumindest die Nase zu rümpfen. Und für genau die Leute scheint sich Cruise spätestens seit "Magnolia" ab und an eine Rolle zu suchen, die sie verwirrt. Die von seinem Januskopf, der aus Sauber- und Strahlemann besteht, abweicht.

Im Fatsuit tanzend als Les Grossman in "Tropic Thunder" war ein Glanzpunkt eines ohnehin funkelnden Films. Cruise hat nicht genug von seinem Image, er hat nur genug von den Leuten, die von ihm genug haben. Und genau die starrten, bei seinem Tanz zu Flow Ridas "Low" gebannt auf die Leinwand und fingen an, wenn jemand anderer die Nase über Tom Cruise rümpfte, diesem Rümpfen einen mit "aber" eingeleiteten Nebensatz entgegenzustellen.

Tom Cruise in "Rock of Ages"

warner bros

Der Feuerphönix

Exaltiert gibt sich dieser Stacee Jaxx nur auf der Bühne und beim PG-13 Sex (Die Unterwäsche bleibt an!) mit der "Rolling Stone"-Reporterin am Billiardtisch zu "I wanna know what love is". Ansonsten flüstert er mit dunkler Stimme wie ein Dark Knight, bewegt sich langsam und hat einen furchteinflößend schiefen Gang. Wenn er in einem Pelzmantel steckend Alec Baldwin erklärt, er würde das Bourbon heute niederbrennen, "cause you can't trap the fire phoenix", dann ist er von der Psychopathie nur mehr ein Mötley Crue Album entfernt.

Cruise Stärke steckt auch darin, dass er nicht schon seine Mähne, seine Lederhosen, sein um den Kopf gewickeltes Tuch als für sich selbst stehenden Witz betrachtet. Er nimmt den Stacce Jaxx mit all seinen Acessoires ernst. Reine Nostalgie kann ja schon übel und dröge genug sein, das - oft nostalgieinduzierte - nicht enden wollende Lachen über die "hässlichen" Jahrzehnte, über Vokuhilas, Dauerwellen, Denim- und Nietenfabrikationen, könnte jetzt aber auch mal langsam abebben.

Alec Baldwin und Russell Brand in "Rock of Ages"

warner bros

Sehnsucht nach einer Zeit vor dem mp3

Nostalgie abseits von Mode und Hüpferei von Hitrefrain zu Hitbridge, findet sich in "Rock of Ages" vor allem in der Art und Weise, wie es die Musikwelt darstellt. Ein gut besuchter Tower Records, Platten als wichtigstes, den Besitzer mitdefinierendes Besitztum, Bandnamen, die mit unwiderstehlicher Leuchtkraft von Anzeigetafeln strahlen. Sogar der Softrock wird hier zu etwas, gegen das die repressiven Konservativen kämpfen und somit zu einer viel wichtigeren Gegenkultur geadelt, als er es wohl tatsächlich war.

Paul Giamatti als wieselig-schmieriger Manager von Stacee Jaxx mit Flinserl und aufgekrempeltem Sakko steht für eine vergangene Zeit in der Popkultur, als die Geldbrunnen im Musikbusiness ordentlich sprudelten. Völlig unsprudelig und das, obwohl er in bekannten Gewässern schwimmt (Rock, Alkohol, Exzess), ist Russell Brand, der bloß als lauer Gaglieferant agieren darf und auch aus Alec Baldwins beinah Jeff-Bridges-artiger Art, grau- und langhaarig in den Raum zu starren, hätte weitaus Bemerkenswerteres entstehen können. Shankman genügt es aber, dass Brand und Baldwin lustige Frisuren haben.

"Rock of Ages" schwingt sich weder zu dem Pathos auf, der den gesungenen Balladen anhaftet, noch nutzt es die Möglichkeiten des Musicals, um auch nur einen einzigen flirrenden Leinwand-Moment zu erzeugen. Von wegen "Rock you like a Hurricane", der Wind, den der Film entfacht, reicht noch nichtmal aus, um eine Haarmetallerfrisur durcheinanderzurbringen.