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Pia Reiser

Filmflimmern

3. 3. 2010 - 15:38

Lappalien in Italien

Rom, wie es singt und lacht: "Nine" ist trotz Starparade (Day-Lewis! Cruz!) ein uninspirierter Marsch durch die Musical-Konventionen.

Als Kind hab ich gern am Autorücksitz Lieder erfunden, in die textlich alles eingebaut wurde ("Kühe, Kühe, Kühe, Kühe, Wiiiieee-seeee"), was an Landschaft grad so vorbeirauschte. Melodietechnisch war alles möglich und weit weg von jeglicher Hit-Tauglichkeit. Meine Eltern fanden das bezaubernd, dem Rest der Menschheit hätte es wahrscheinlich das Nervenkostüm zerspragelt, aber immerhin hatte ich den Anstand, das Ganze nicht auf die Bühne zu bringen. Was man von Mario Fratti nicht behaupten kann. Der hatte die Chuzpe, "Nine", ein Musical dessen Lieder allem Anschein nach auch von Kindern am Rücksitz geschrieben wurden, auf die Bühne zu bringen: "Nine" ist die Musicalvariante von Federico Fellinis "8 1/2". Bei der Filmvariante, die Rob Marshall auf die Leinwand geklotzt hat, wünscht man sich sehnlich, es wäre ein "se7en"-Sequel und es würden schleunigst ein paar Köpfe in Schachteln verpackt werden.

Daniel Day-Lewis in "Nine"

Constantin Film

Daniel Day-Lewis ist schick

Allerdings: Noch nie hat Daniel Day-Lewis so gut ausgesehen (bei seiner Rollenbiografie allerdings auch nicht wirklich schwer, der orange Gefängnis-Einteiler schmeichelt keinem Teint ("In the name of the father"), die Marmorkuchenfrisur ist generell ein großer Irrtum ("My Beautiful Laundrette") und der Sack-und-Asche-Zweiteiler ("The Crucible") macht auch keinen schlanken Fuß). Hier umschmeichelt ihn, als Regisseur Guido Contini in der Schaffenskrise, italienischer Zwirn, fantastisch geschnitten, eine Krawatte so chic wie schmal räkelt sich am Hend entlang und sogar ein Hauch von Farbe hat Bekanntschaft mit seinem Gesicht gemacht. Man sollte diese drei-Minuten-Euphorie über den schicken Day-Lewis genießen, weil danach kommt nicht mehr viel, was Anlass zur Freude gibt. Das fängt auch gleich beim britischen Ausnahme-Schauspieler an, der hier ausnahmsweise eher mau agiert: Zu den "Nine"-Dreharbeiten hat er offensichtlich das "CSI Miami Acting Kit" mitgebracht und fährt sich wahlweise durch die Haare fährt oder setzt die Sonnenbrille auf- und ab.

Einen neuen Film soll er machen, der Guido Contini, der sich einige Flops in den letzten Jahren in den Lebenslauf hat schreiben müssen. Mit "Italia" soll er einen erneuten Triumph feiern, in der Hauptrolle sein Star Claudia Jenssen (Nicole Kidman als roboterartige Anita Ekberg-Anlehnung). Nur, es fehlt das Skript, die Inspiration. Und so bleibt Guido Contini nichts anderes übrig, als sich ständig schwer seufzend durch die Haare zu fahren.

Szenenbild aus "nine"

Constantin Film

Chance vergeben, Chance verschenkt

Das Italien der 60er Jahre ist in "Nine" ein Europa, wie es sich amerikanische Regisseure des Nachts erträumen; Italiener sprechen hier - auch untereinander - Englisch mit italienischem Akzent. Mamma Mia! Nachdem solche Mätzchen offenssichtlich kein Problem sind, frag ich mich, wieso Marshall nicht gleich ganz in den Musical-Pool gesprungen ist, anstatt nur den großen Zeh reinzuhalten: Die Musical-Sequenzen von "Nine" finden nämlich durchwegs auf einer Bühne statt, in einer Halle in der Cinecitta, teilweise nur imaginiert vom krisengebeutelten Contini. So hat der Film echte Handlung, die von Musicaleinlagen unterbrochen wird. Weit interessanter ist das Genre Musical jedoch, wenn man auf Realitätsanpassung pfeift und ein neues Universum erschafft, in dem eben manchmal gesungen wird. Den Mut hat Marshall leider nicht aufgebracht, er verweigert die Möglichkeiten, die das Medium "Film" bieten würde und beschränkt die Musical-Teile auf schnöde Broadway-Bühnenshow-Inszenierung.

Szenenbild aus dem Film "Nine"

Constantin Film

Guido und die Frauen

"Nine" inszeniert den schlingernden Regisseur als Sonne, der von den Frauen seines Lebens umtanzt und umsungen wird, eine wahre Oscarpreisträgerinnen-Armada (Dench, Kidman, Cruz, Cotillard, Loren), eine Golden Globe-Gekrönte (Hudson) und eine Grammy-Inhaberin (Fergie von den Black Eyed Peas) hauchen, trällern und schmettern - unterstützt von mehreren Fernsehballetten - Guido ihre Liebe und Lektionen entgegen. Kate Hudson wünscht sich als smokeyeye-geschmückte Mode-Journalistin in ihrem Song, in dem gefühlt tagelang "GuidoGuidoGuidoGuidoGuido" refrainiert wird, seine Sichtweise, Szenen aus seinem Blickwinkel zu sehen "Those scenes i love to see/From Guidos POV". Nun, Kate, be careful what you wish for. Guidos point-of-view ist nicht gerade der schiefe Turm von Pisa, die Aussicht ist mäßig und schwankt zwischen den Eckpfeilern "Caspita! Was bin ich ein armes Hascherl" und "Mio dio, ist diese Penelope Cruz ein heißer Feger".

Szenenbild aus dem Film "nine"

Constantin Film

Sex und Sühne

An die Wand gespielt wird - die für ihre Rolle als Guidos Geliebte für einen Oscar nominierte - Penelope Cruz von Marion Cotillard. Die bringt als Guidos Frau Luisa eine Tiefe in ihr Spiel, sodass man nach Luft schnappt, wenn man schließlich - völlig Tiefgang unvorbereitet - wieder an der Oberfläche von "Nine" auftaucht. Auftauchen müssen bei dem Italiener Guido natürlich auch Schuldgefühle, weil er seine Frau betrügt, das katholische Gewissen schläft nie. Und für Klein-Guido, der mit Freunden am Strand zu Fergie läuft, die gegen ein Taschengeld den Bengeln ein bisschen Dekolleté zeigt und eine Art Liebhaber-Ratgeber anstimmt, gabs danach Klapse vom Priester und Standpauke von Mamma (Sophia Loren). Sex und Schuldgefühl, treulich vereint von der Kirche.

Sophia Loren in dem Film "Nine"

Constantin Film

Die Mamma aller Mammas: Sophia Loren in einem Videodreh-Set für eine Metal-Ballade

"Nine" läuft seit 26. Februar in den österreichischen Kinos

Roarrr

Fergie scheint es sich mit der Make-Up und Styling-Abteilung ordentlich verscherzt zu haben, ihre Saraghina sieht aus, als könne sie problemlos auch als Scar in einer "König der Löwen"-Bühnenshow mitmachen. Ihr Song "Be Italian" ist ebenso Musicalsongmeterware, den man noch vergisst, während man ihn hört. Warum die Autoren nicht auf die Idee gekommen sind, einigen der Songs ein paar Sixties-Beats oder italienische Spurenelemente einzupflanzen, bleibt rätselhaft. "Nine" ist ein weiterer Film auf dem Argumentations-Fahrwasser der Musical-Gegner, dabei wär das ein Genre, in dem ganz phantastische, große Dinge möglich wären. Ich schmeiss jetzt nur mal die Idee eines Musicals in den Raum, das Todd Haynes inszeniert, in dem Catherine Keener und Robert Downey Jr. mitspielen und die Musik von LCD Soundsystem und Hercules and Love Affair stammt. Es muss sie doch geben, die Vorzeichen, unter denen die Idee, dass Menschen in Gesang ausbrechen, kein Grund ist, das Gesicht zu verziehen.

Szenenbild aus dem Film "nine"

Constantin Film

Bei "Nine" kann ich jegliche ablehnende Mimik-Akrobatik verstehen. Soll man sich diesen Film ansehen? Die Antwort gibt der Film selbst, wenn man den Titel laut ausspricht.