Erstellt am: 8. 1. 2011 - 12:42 Uhr
All that Mess
Ach Musical, du mein Sorgenkind. Während alle anderen Genre regelmäßig - ganz oder in Teilen - neuerfunden werden, Updates, Adaptionen oder sogar interessante Remakes erleben, trittst du auf der Stelle. "Burlesque" ist leider auch kein Wundermittel, wird zu keinem Phoenix aus der erkalteten Asche, der sich aufschwingt und Restriktionen und Genre-Konventionen hinter sich lässt, sondern fasst nur all deine wunden Punkte erneut zusammen. Eine Symptom-Zusammenfassung des Patienten namens Musical, gesungen von Cher und Christina Aguilera, die besser schauspielt als angenommen, was immer noch ziemlich schlecht ist. Aguilera ist nämlich Regieanweisungs-Sichtbarmacherin, selbst wenn sie eine Straße entlang geht und nach links und rechts schaut, sieht sie nicht aus, wie jemand, der nach links und rechts schaut, sondern wie jemand, dem gesagt wurde, nach links und rechts zu schauen. Das wird auf Spielfilmlänge ziemlich peinvoll.
Zunächst aber schaut sie weder rechts noch links, sondern als platinblonde Ali mal in die eigene Zukunft. Und da sieht sie sich nicht in der schäbigen Bar in Schießmichtot, Iowa, in der sie kellnert und ohne Publikum zu Jukeboxbegleitung popröhrt. Nein, in die Stadt der Engel, der Träume, Tinseltown, Traumfabrik und Glitzerstadt Los Angeles, da zieht es sie hin.
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Das Mädchen vom Lande will nach den Sternen greifen und landet im Souterrain der "Burlesque Lounge", einem stets nur halb erleuchteten Lokal mit kleinen Tischen und Tischlampen, auf der Bühne räkeln sich Tänzerinnen, in ihrer Mitte steht Matrone Cher mit Matrosenkappe und singt.
No windows but the best view in town zweideutelt Alan Cumming in "Cabaret"-Montur am Eingang, wink wink nudge nudge und nur für den Fall, dass es wer nicht verstanden hat, gibt's die ersten von unzähligen Tänzerinnen Hintern- und Busenmontagen aufs Auge gedrückt. Striptease fragt Ali, nein Burlesque sagt Cumming mit der Verwunschenheit der blauen Raupe aus dem Wunderland. Ach Ali, sie muss noch so einiges lernen. Unter anderem, dass nicht jeder Mann, der Eyeliner, Bowlerhat, Wifebeater-Unterhemd und Gilet trägt, homosexuell ist. Wäre das geklärt, dann kann die Flirterei zwischen ihr und Kellner Jack ja losgehen.
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Ali beginnt im Burlesque-Schuppen zu kellnern, will aber natürlich auf die Bühne, und weil Fleiß ihr Gemüse ist, wird ihr das auch gelingen. Irgendwann ist auch Club-Betreiberin Tess (Cher) von Alis Qualitäten überzeugt. Ali kann nämlich nicht nur tanzen und nach einem rührenden Cher-Monolog über Make-Up, der Boris Entrup garantiert die Tränen in die Augen getrieben hat, sich schminken. Nein, Ali kann singen. Davon muss man sich dann leider auch viel zu oft überzeugen, hochpolierte Popstücke, ohne die der Film ebenso funktionieren würde, die weder Teil der Handlung noch Kommentar sind, machen aus der Kinoleinwand eine MTV-Jukebox, eine Aguilera-Lungenleistungsschau.
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Weil sich so schnell nicht wieder die Gelegenheit dafür bietet, meine liebsten Filme mit Cher, ungereiht:
"Mermaids"
"Silkwood"
"Suspect"
"Moonstruck"
Regisseur Steve Antin (der in "The Goonies" den unguten Troy Perkins spielte) weiß leider auch nicht die Tanzeinlagen und Kostüme zu nutzen, er lässt den Nummern keinen Raum, in dem sie sich entfalten können, sondern häckselt sie in Bauch/Bein/Po-Happen in Musikclip-Ästhetik. Und das, obwohl der Film in allen anderen Musical- und Ausstattungsbelangen dem großen Bob Fosse nachhechelt. Fosse hatte mit "Cabaret" und "All that Jazz" Musical-Meilensteine gedreht, seine Choreografien, Tanzstil, Kostüme werden immer noch imitiert. Nur waren Fosses Filme - genau wie Fosse selbst - alles andere als handsam und glattgebügelt. "Cabaret" spielt in Weimar in den 1930er Jahren und schafft es in einer einzigen Nummer, wenn ein blonder Hitlerjunge in einem Gastgarten zu "Tomorrow belongs to me" anstimmt, mehr über nationalsozialistische Propaganda und Verführung der Massen zu vermitteln, als einige noch so bemühte Dramen. Das Musical - und auch nur einzelne musicalartige Nummern - zieht seine Kraft oft aus der Abstraktion und der Überhöhung, es könnte für eine Industrie, die sich immerhin noch immer Traumfabrik nennt eine Möglichkeit für inszenatorische Narrenfreiheit sein. Es wird vielleicht immer eine Art Nostalgie mit sich bringen, ein sich Sehnen nach etwas Vergangenem, eine Verbeugung in die eigene Genre-Geschichte, doch dabei müssten nie Ecken und Kanten scheuen. Genau das tun aber Filmemacher im Post-Fosse-Zeitalter. Außer Baz Luhrman, Woody Allen und Lars van Trier (danke für den Hinweis, madameclaudine!) hat nie jemand wirklich versucht, mit dem Genre zu experimentieren, es loszueisen von den ewigen Kaffestuhlsitz-Choreografien, hektischem Backstage-Getümmel und gleißendem Bühnenlicht.
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"Burlesque" ist in dieser Hinsicht noch feiger als das letztjährige "Nine", weil die musikalischen Einlagen so gar nicht verwebt sind mit der Geschichte (außer vielleicht Aguileras Power-Ballade, gegengeschnitten mit einer weichgezeichneten Kuschelsex-Szene, die "Bilitis" alle Ehre macht). Während der musikalische Teil von "Burlesque" MTV-Meterware ist, der nicht mal den Mut hat, die Leinwand mit Pomp, Saus und Braus und Übertreibung zu füllen, ist der Handlungsteil ein dialogtechnisches Armutszeugnis mit Kuschelbedürfnis. Keusch, aseptisch und auf Harmonie bedacht sind beide Welten und machen "Burlesque" zu einem weichspülenden Gehirnwaschgang, der umso tragischer ist, weil Cher eine gute Schauspielerin ist, die hier an ihrem kargen Wortanteil (und dessen Substanz) knabbert und verhungert. Auf Stanley Tucci ist wie immer Verlass, der so tut als wären die Dreharbeiten zu "The Devil wears Prada" nie zu Ende gegangen und vermittelt als elefantenhäutiger, drahtseilbenervter Schwuler zwischen altem Hase (Streep, jetzt Cher) und Neuling (Hathaway, jetzt: Aguilera).
Kristen Bell ist ziemlich grandios als Ensemble-Zicke mit fantastischer 30er Jahre-Starlet-Friseur, die am Ende aber auch gar nicht mehr zickig, sondern eh lieb ist. Als zahnloser Immobilien-Hai scharwenzelt Eric Dane (of McSexy/Grey's Anatomy-Fame) durch den Film und Peter Gallagher öffnet sich zwei Hemdknöpfe und setzt die Sandy Cohen Leidensmiene als Tess' Ex-Mann auf, dem die schlechte finanzielle Situation des Clubs zusetzt.
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"Burlesque" kann sich noch nicht mal dazu aufraffen, camp zu sein, es bleibt ein kuschelweiches Beweisstück feiger und fader Dramaturgie, es singt die Evergreens filmischer Geschichtenschreibung von "You can get it if you really want" und "There's no business like show business" in einem unenthusiastischen Kanon der inszenatorischen Einfallslosigkeit, erzählerischer Bisslosigkeit und der Verweigerung der großen Geste.
Wer Geld sparen will, kann sich auch das Video zu "Lady Marmelade" ganz oft hintereinander anschauen und dann noch einen Blick in die Pimkie-Unterwäscheabteilung werfen. That should do it.