Erstellt am: 17. 10. 2011 - 14:08 Uhr
Miranda, Mildred, Melodrama
Die 49. Viennale ist die erste, die ich arbeitend wahrnehmen werde, Markus Keuschnigg und ich teilen uns dieses Jahr die schöne Aufgabe, das Viennale Tagebuch auf diesen Seiten zu schreiben.
Markus, der Hans Dampf in allen Festivalgassen, hat schon vieles aus dem Programm gesehen und seine Empfehlungen abgegeben, hier kommen meine Ansherzlegungen und Auszüge aus meiner Viennale-Wunschliste. Rock'n'Scroll!
Anschauen!
Eine meiner Lieblingsviennale-Erinnerungen ist ein Vormittags-Screening von Fritz Langs "Beyond a reasonable doubt", der erst kürzlich auf DVD erschienen ist. Der Saal ist schlecht gefüllt, ich sitze sehr weit vorne zwischen lose verteilten feinen Damen mit noch feineren Handschuhen und es ist grandios, einen selten aufgeführten Film auf der unendlich großen Leinwand des Gartenbaukinos zu sehen. Also, statt sich in einen Film zu quetschen, der eh sobald die schwitzige Hysterie, die an den "großen" Filmen der Viennale klebt, wieder eingemottet wurde, regulär in die Kinos kommt, empfehle ich ich auch ruhig mal den Luxus der Retrospektive in Anspruch nehmen.
Schaut euch "Mildred Pierce"(1945) an, zum Beispiel. In Michael Curtiz' Film aus dem Jahr 1945 vermischen sich Film Noir, Drama und Bestandsaufnahme der Frau in der amerikanischen Gesellschaft. Der Film verhandelt eine Welt, die auf Geld und sozialem Statusgewinn erbaut ist, der Lohn für Erfolg ist hoch und Töchter sind undankbare Monster. Joan Crawford brilliert in dem funkelnden Stück Kino, der mit dieser Frauenfigur auch eine Alternative zur Femme Fatale des Film Noir entwirft. Todd Haynes hat "Mildred Pierce" mit Kate Winslet in der Hauptrolle für eine HBO Miniserie adaptiert, auch die wird bei der Viennale zu sehen sein.
mgm
Written on the wind
Der Filmemacherin Chantal Akerman wird nicht nur eine Retrospektive gewidmet, das Filmmuseum hat ihr auch eine Carte blanche in die Hand gedrückt und sie Programmgestalterin spielen lassen. Unter den von ihr ausgesuchten Filmen ist ua Douglas Sirks "Written on the wind" (1956) und erst, wenn man Sirks Technicolorepos auf großer Leinwand gesehen hat, erschließt sich einem die Bedeutung von dem Begriff "Melodram". Stinkereiche Texaner, korrumpierte Moral, Frustration, Alkohol und Eifersucht. Natur, die künstlich ausschaut und Künstlichkeit, die echter anmutet als so manch wackelkamerige Alltagsabfilmerei. Mittendrin im hochglänzigen, flirrenden larger-than-life drama die grandiose Lauren Bacall und der suprige Rock Hudson. Auf ernsthafte Diskussionen über Rock Hudson lass ich mich sowieso erst ein, wenn meine Gegenüber zumindest "Seconds" oder eine seiner Sirk-Kollaborationen gesehen haben.
mgm
Submarine
In Oliver Tate, dem 15jährigen Teenager im Dufflecoat, finden sich Splitter von Max Fisher, Harold Chasen und Holden Caulfield. Seine Sprache ist gleichermaßen abgeklärt wie schwurbelig - I have already turned these moments into the Super-8 footage of memory -, er macht sich Sorgen um die Ehe seiner Eltern und ist verliebt in die eigenwillige Jordana, die gern mit Feuer spielt - und das ist nicht metaphorisch gemeint. Richard Ayoades Regiedebüt ist ein komisch-melancholisches Stück Film über Teenage Wasteland im Swansea der 1980er Jahre.
Red Hour Films
Kommen wir von "Das hab ich gesehen" zu "Das will ich sehen":
The Artist
Ich würd mir ohnehin jeden Film anschauen, in dem John Goodman Zigarre raucht, aber auf "The Artist" freu ich mich schon exorbitant. Der Stummfilm dreht sich um den dünnbeschnurrbarteten George Valentin, Filmstar und Schmachtwerk. Seine Karriere wird allerdings bedroht von der Einführung des Tonfilms. Jean Dujardin bekam für seine Darstellung den Darstellerpreis in Cannes. Für mich ist "The Artist" schon ein Filmwunder, ohne, dass ich gesehen hab, weil ich es großartig finde, dass sich im Jahr 2011 Produzenten für einen Schwarz/Weiss-Stummfilm gefunden haben.
viennale
The Color Wheel
Irgendwann bin ich über ein gezeichnetes Filmplakat gestolpert, auf dem eine junge Frau mit Stirnfransen zu sehen war, anstelle ihres Gesichts sieht man aber ein Stück Straße und ein Auto. "The Color Wheel" heißt der Film zum Plakat und ich hab mich sehr gefreut, im Viennale-Programm diesen Titel zu entdecken. JR bittet ihren Bruder sich mir ihr auf einen Roadtrip zu begeben, dessen Ziel ein unangenehmes ist: Ihre Habseligkeiten aus dem Haus des Professors holen, mit dem sie eine Beziehung hatte. Built on awkward laughs kann man über "The Color Wheel" lesen, der Regisseur selbst spielt den Bruder und sein Foto auf imdb.com zeigt ihn mit Katze im Arm. Natürlich will ich so einen Film sehen.
viennale
Bummer Summer
Schon wieder schwarzweiß, ich schwöre, das wusste ich bis vor ein paar Minuten noch nicht, ich mochte einfach den Titel. Sommerferien im Staate Washington, zwei Brüder, eine Frau. Konfusion, Langeweile und wohl irgendwann wahrscheinlich ein bisschen Coming-of-Age. Von Deadpan humour ist außerdem die Rede. Check.
The Future
Den hat Barbara Matthews bereits gesehen und sie besitzt auch einen Button auf dem "I've seen The Future" steht. Das allein wär schon Grund genug, Miranda Julys zweiten Spielfilm anzuschauen. Ein LA-Paar nimmt eine kranke Katze auf und die Katze wird zum Anlass über den eigenen Lebensentwurf nachzudenken. Und: Die Katze spricht.
viennale
Martha Marcy May Marlene
Vorschußlorbeeren und die überraschende Tatsache, dass die Olsen-Zwillinge eine Schwester haben, die jetzt schon mit einem Film das gesamte Oevre ihrer Schwestern in den Schatten stellt. Elizabeth Olsen spielt eine junge Frau, die nach einiger Zeit in einer "sektenähnlichen Kommune" wieder in ihr Leben zurückfindet.
viennale
Ostende
Ich hab ein Faible für Filme, in denen sich im Urlaub das Grauen, das Verbrechen einschleicht. Hier gewinnt eine junge Frau einen Urlaub in Ostende, beobachtet andere Urlauber und mutmaßt über Beobachtungen. Ob sich hier ein Verbrechen anbahnt, fragt der Viennale-Katalog. Na, Katalog, wenn du so fragst, wahrscheinlich eher nicht. Macht aber auch nix.
Schlafkrankheit
Die Erinnerung an Ulrich Köhlers Filme verblassen nicht; ich hab sein Langfilmdebüt "Bungalow" vor acht Jahren gesehen und kann Details abrufen. Mit "Schlafkrankheit" macht er etwas Ungewöhnliches für einen deutschen Film und lässt Deutschland hinter sich. Ebbo, ein niederländischer Arzt und seine deutsche Frau leben seit 20 Jahren in Afrika und der Plan war, nun zurück nach Deutschland zu gehen. Doch Ebbo will bleiben. Ein deutscher Film, der nicht Vergangenheitsbewältigung oder Gegenwartsanalyse innerhalb der Landesgrenzen anstrebt, das will ich sehen.
komplizen film
Stilleben
Jaja, ich weiss. Ein Blick in die Abgünde der österreichischen Seele ist geradezu das Unoriginellste, was man über einen österreichischen Film sagen kann, weil sich das ja beinahe jede heimische Produktion auf die Fahnen schreibt. Aber ich hab in den letzten Monaten soviel Wucht, soviel Neues und Gutes im österreichischen Film gesehen, dass ich mich auch davon nicht abhalten lasse. Sebastian Meise inszeniert die Familie als Alptraum, Vater bewahrt Nacktfotos der Tochter auf und bezahlt eine Prostituierte für Dienste im Badezimmer.
Terri
John C. Reillys spielt mit! Azael Jacobs (Mommas Man) führt Regie! Ist das this years "Cyrus"?
viennale
Le Testament du Docteur Cordelier
Die Jean Renoir-Variante von "Dr Jeykill and Mr Hyde". Juche!
arthaus
The Tomb of Ligeia
Edgar Allan Poe in den Händen von Roger Corman mit Vincent Price. Schwarze Katzen und eine Frau von der man sagt, dass sie zu stark ist, um zu sterben. Wenns nach mir gehen würde hätte man Corman gleich eine eigene Retrospektive widmen können, der Schlockmaster, der als einer der schnellsten Regisseure in die Filmgeschichte eingegangen ist, ist nicht bloß ein König der Trashfilme, sondern auch der Ausgangspunkt vieler Karrieren, nicht zu unterschätzende Figur im New Hollywood und schließlich auch noch dafür verantwortlich, das europäische Filme wie die Ingmar Bergmans und Federico Fellinis überhaupt auf den amerikanischen Markt gefunden haben. Die Doku "Corman's World: Exploits of a Hollywood Rebel" ist natürlich ebenfalls auf meiner Liste.
xxx
Totem
Die Sache mit dem guten Personal: Wenn Hausmädchen Grusel/Verstörung ins Haus bringen, bin ich gerne dabei. Wenn auch der deutsche Film mal sich in solch ungewohnte Gebiete vorwagt, bin ich gleich noch viel lieber dabei. In Jessica Krummachers Film heißt das Hausmädchen Fiona und ist der Auslöser, das etwas aus den Fugen gerät. Ich kanns kaum erwarten.
viennale
Tomboy
elchaos hat den hier in den Kommentaren empfohlen und nach der Nachlese im Katalog, hab ich auch bei diesem Film meinen "kommt auf die Liste"-Krakel gemacht. Ein 10jähriges Mädchen gibt sich einen Sommer lang als Bub aus. Ma vie en bleu, vielleicht.
vienale
Et cetera
Natürlich ist es mir nicht entgangen, dass auch die Goslingiale stattfindet, "Drive" will ich ebenso sehen wie "The Ides of March", wobei ich vermute, dass ersterer die Erinnerung an alle anderen Filme auslöschen wird und zweiterer ein bissl dröge ist. Aber an George Clooney hat die Viennale einen kleinen Narren gefressen.
viennale
Außerdem: "Hesher", "Carmen Jones", "Take Shelter", "Who is Harry Nilsson and why is everybody talking about him", "Frontier", "The World, the Flesh and the Devil", "Der Prozess" und eigentlich wollt ich auch noch einen der österreichischen Stummfilme aus den 1920er Jahren sehen.
So, das ist mein verdammt ausgeschlafener Plan, jetzt will ich euren.