Erstellt am: 26. 7. 2011 - 17:18 Uhr
Oslo: Tragen rechte Parteien Mitschuld?
von Inka Pieh
Norwegen-Attentate
Does populism foster extremism?
The relationship between extreme people and extreme groups, and what the expected US debt default really means.
Journal 2011. Eintrag 142.
Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.
Secure vs. open society
Norway's free and open society has been rocked by the terror attacks - but would tighter security have made any difference?
Journal 2011. Eintrag 141.
Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind.
Kann man rechtspopulistischen Parteien eine gewisse Mitschuld an den Doppelanschlägen in Norwegen zusprechen? Diese Frage beschäftigt derzeit Politik und Medien. Immer lauter werden die Stimmen, die meinen, dass ausländerfeindliche Politik einen Nährboden für Menschen wie den mutmaßlichen norwegischen Attentäter schaffen. In vielen Ländern Europas gibt es Parteien, denen eine ausländerfeindliche - verstärkt islamophobe - Politik vorgeworfen wird, die mit dem Feindbildern Islam Wähler keilen. Die Verbreitung einer solchen Ideologie sei nicht nur verwerflich, sondern schaffe natürlich eine Atmosphäre, von der sich Attentäter wie Anders Behring Breivik angesprochen fühlen, sagt Thomas Schmidinger vom Institut für Politikwissenschaften an der Universität Wien im Gespräch mit FM4.
Immer lauter werden die Stimmen, die Rechtsparteien ideologisch für den Doppelanschlag in Norwegen verantwortlich machen? Ist das gerechtfertigt?
"Sie [die Rechtsparteien] haben nicht dazu aufgefordert, so eine Tat zu vollbringen, aber sie haben das politische Milieu geschaffen, indem einzelne Personen, oder Kleingruppen dann auch zur Tat schreiten. Die politische Hetze und die ideologischen Übereinstimmungen mit dem Täter sind bei einigen Parteien, die auch in europäischen Parlamenten vertreten sind, zu finden. Die unterstützen ein Milieu, indem dann einzelne Extremisten auch zur Tat schreiten."
Und inwiefern schüren rechtspopulistische Parteien diesen Nährboden?
Thomas Schmidinger
"Wir haben in Europa in den letzten Jahren vermehrt rassistischen Hass gegen Muslime, der sich sehr stark gegen MigrantInnen aus der islamischen Welt richtet. In Österreich haben wir mit der FPÖ dahingehend eine der aktivsten Strömungen, die in diese Richtung geht. Es geht immer mehr weg vom klassischen Rassismus hin zu einem verstärkt kulturell kodierten Rassismus, der eben 'Das Andere' sehr stark an der Religion festmacht und der Sozialdemokraten, Kommunisten, Linke und Marxisten dafür verantwortlich macht, dass MigrantInnen aus der islamischen Welt nach Europa kommen. Sie halluzinieren ein weltverschwörerisches Bild und warnen vor einer Islamisierung der Welt, die vermeintliche Kollaborateure hat. Gegen diese hat der Attentäter seinen Anschlag vorgenommen."
Kann man von einer neuen Tendenz, einer Neuorientierung innerhalb der Rechtsparteien Europas sprechen?
"Ja, es gibt seit einigen Jahren neue Tendenzen. Allerdings haben sich die rechten Gruppierungen in Anbetracht der Frage, wer ihr größter Feind ist, gespalten. Es gibt weiterhin die klassisch antisemitischen Rechtsextremisten, die dann im Zusammenhang mit der Nahost-Frage mit islamistischen Gruppierungen wie der Hamas und mit Regierungen gegen Israel kollaborieren. Und dann gibt's die umgekehrte Fraktion, die Israel für das geringere Problem und die islamische Welt für die wirkliche Gefahr halten. Die werden dann, obwohl sie aus einem antisemitischen Milieu kommen, zu proisraelischen 'Muslimenhassern'. Die rechte Szene ist gespalten, aber es gibt die Tendenz, dass die Rechten ideologisch stärker Europa, das christliche Abendland und nicht mehr die einzelnen Nationen in den Mittelpunkt ihrer Ideologie stellen. Der Islam und die Muslime, die von den Rechten als homogene Gruppe gesehen werden, werden zum Feind des christlichen Abendlands gemacht."
Der mutmaßliche norwegische Täter war kein spontaner Amokläufer, sondern dürfte seine Anschläge jahrelang geplant haben. Er beansprucht für sich, einen ideologischen Background zu haben. Woraus setzt sich dieser zusammen?
"Wenn man sein Manifest und die Spuren liest, die von ihm im Internet zu finden sind, dann ist die Wahnidee, an die er glaubt, die, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg von Kulturmarxisten umgeformt worden ist. Diese Kulturmarxisten haben islamistische Einwanderer nach Europa gebracht und diese Einwanderer sind in seiner Ideologie Teil einer islamischen Weltverschwörung, die Europa kulturell ausrotten will. Das ist natürlich eine ideologische Wahnvorstellung, die er aber mit manchen extremen Rechten und mit einer recht aktiven Bloggerszene im Internet teilt. Mit diesen gibt es durchaus ideologische Berührungspunkte und es wundert mich nicht, dass er auch tatsächlich Kontakt mit Teilen dieser Szene hatte."
In dem 1.500 Seiten langem Manifest, des mutmaßlichen, norwegischen Attentäters wird die sogenannte Wiener Schule erwähnt. Was genau kann man sich unter der Wiener Schule vorstellen?
"Diesen Begriff in dieser Form kannte ich bisher nicht. Der taucht bei ihm zum ersten Mal auf. Was er sich darunter vorstellt, ist eben eine Form des rechtsextremen Denkens, das vor allem Bezug nimmt auf die sogenannte Türkenbelagerung. Er sieht eben in der Zuwanderung der Muslime nach Europa so etwas wie eine dritte Türkenbelagerung, die Europa nur in Form eines militärischen Abwehrkampfes gegen die Muslime überstehen kann. Es gibt mehrere Leute, die so ein Denken vertreten, aber im Gegensatz zu dem norwegischen Attentäter noch nicht zur Gewalt gegriffen haben. Diese Gruppe subsummiert der Attentäter als die Wiener Schule, auf die er sich beruft."
Gibt es abgesehen von der Türkenbelagerung noch andere Aspekte, die für eine Wiener Schule sprechen würden?
"Es gibt die starke Präsenz der FPÖ. Wir haben in Österreich sicher eine der stärksten antiislamischen extrem rechten Parteien in Europa. Und wir haben auch einige Personen, die in diesem Umfeld Vorträge machen und sich speziell auf den Islam konzentrieren. Es kann also schon sein, dass das der Grund ist, warum man diese Ideologie, diese Denkweise, so benannt hat."
Dem Manifest wird ja vorgeworfen, ein Copy-Paste-Manifest zu sein, dass sich aus verschiedensten Theorien und Ideologien, zum größten Teil aus dem Internet zusammensetzt. Wieso wird es trotzdem so ernst genommen?
"Es ist ernst zu nehmen, wenn jemand so eine Tat begeht und eine Begründung dafür abliefert. Meiner Meinung nach ist das noch wesentlich ernster zu nehmen, wenn er sich da auf verschiedene andere politische Bewegungen und Blogger bezieht. Ich halte es für sehr problematisch, dass es jetzt eine Tendenz in der Berichterstattung gibt, diesen Anschlag zu depolitisieren und zu sagen 'Das war ein verrückter Amokläufer'. Selbstverständlich gehört ein Portion psychischer Probleme dazu, dass man wirklich zu dieser Tat schreitet. Aber dass man sich so ein Ziel aussucht dafür, dass man sich berufen fühlt zum Kreuzritter Europas zu werden und dabei 80 Menschen zu erschießen - wir wissen ja noch immer nicht genau, wie viele da gestorben sind - das geht nur im politischen Rahmen, in dem sich die Diskussionen in den letzten Jahren in Europa abgespielt haben. Und er fühlte sich offenbar bestärkt durch diese Diskussionen - durch diesen wesentlich weiter verbreiteten Rassismus gegen Muslime - dann tatsächlich zur Tat zur Schreiten. Er war in seiner eigenen Welt offenbar der Exekutor der Volksmeinung, wie er sie gesehen hat."
Kann man davon sprechen, dass er quasi eine Ideologie verfolgt hat?
"Klar. Das ist eine Ideologie, die aus der klassischen extremen Rechten stammt. Er hat diese aber verändert, in dem Sinn, dass sie sich stärker auf Europa als Nation bezieht und dass sie sich vor allem gegen Muslime richtet, aber weiterhin ein Element beinhaltet, das das klassisch rechtsextreme Weltbild hat - zum Beispiel der Anti-Kommunismus und der Anti-Marxismus, die er ja maßgeblich dafür verantwortlich macht, dass Europa islamisiert wird, aus seiner Sicht."