Erstellt am: 25. 7. 2011 - 23:00 Uhr
Journal 2011. Eintrag 142.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem zweiten Journal zu den Nachwirkungen des politisch motivierten Massakers in Oslo. Dazu empfiehlt sich, auch weil ich inhaltlich drauf aufbaue, das gestrige Journal, Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind.
Ich kann hier niemandem etwas Neues über die politische, gesellschaftliche und menschliche Tragweite der Morde des Anders B B erzählen.
Ich kann aber etwas über die Reaktionen sagen; die sprechen nämlich für sich. Und weil ich heute nicht viel anderes getan habe, als da hineinzulauschen, bleibt mir auch nichts anderes übrig als die daraus entstandene Materialsammlung hier zu positionieren.
Verbale Abrüstung und die totale Schockstarre
Eine auffallend unauffällig sein wollende öffentliche Unaufgeregheit durchzieht seit gestern das österreichische konservative Lager. Das wundert mich einigermaßen.
Vielleicht hat es etwas mit einer Schockstarre zu tun - denn schließlich haben sich die selbsternannten Bürgerlichen, die wirklich Mächtigen des Landes noch nie in der Lage befunden ein potentielles Angriffsziel, also ein Opfer zu sein.
Bislang konnte diese kleine, aufgrund ihres ökonomischen Potentials und ihres Strippenziehertalents aber so wichtige Gruppe, die sich als Mitte der Gesellschaft sieht und dort auch tief in der gesellschaftlichen Verantwortung steht, sich immer lässig wegducken, wenn das verbale Rowdytum der Schuldzuweisungen an ihnen vorbeipfiff - von rechtsaußen rüber in die linke Reichhälfte und retour.
Das geht sich jetzt nicht mehr aus. Auch die bislang mit ihrer Bremser-Funktion so gut im Mainstream fahrende Mitte ist Teil des Feindbilds der neuen Jihadisten, der neuen, von den kleinen Hass-Kalifaten im Netz und dem politischen Arm der Rechtspopulisten aufgepäppelten selbsternannten Krieger-Elite. Auch sie sind plötzlich Kultur-Marxisten.
Da ist eine Schockstarre tatsächlich nachvollziehbar.
Norwegen-Attentate
Die Rechte spaltet sich
Thomas Schmidinger vom Institut für Politikwissenschaften an der Universität Wien im Gespräch mit FM4
Does populism foster extremism?
The relationship between extreme people and extreme groups, and what the expected US debt default really means.
Journal 2011. Eintrag 142.
Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.
Secure vs. open society
Norway's free and open society has been rocked by the terror attacks - but would tighter security have made any difference?
Journal 2011. Eintrag 141.
Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind.
Vizekanzler Spindelegger macht daraus noch das Bestmöglichste, er spricht von einer dringend nötigen verbalen Abrüstung. Der heimische Schirrmacher hingegen hat heftige Probleme mit der Tagesordnung.
Je weiter rechts diejenigen, die sich selber als normale Mitte begreifen, stehen, desto bockiger sind sie in ihrer Realitätsverweigerung. Andreas Unterberger etwa muss schon in den ersten fünf Zeilen (mehr sind eh nicht frei lesbar) seiner recht späten Reaktion relativieren: er kann sich den Satz, dass "einige der Breivik-Ideen wären kein absoluter Schwachsinn" wären, nicht ersparen
Unterberger checkt nicht, dass wahrscheinlich auch er einer der 7839 Österreicher auf der Todesliste wäre, die Breivik für Österreich im Auge hatte.
Das macht die Schockstarre, die die Konservativen dieser Tage lähmt.
Hinhauen auf Professor Botz macht die Lage nicht besser
Derr Historiker Gerhard Botz hat Sonntag abend am Runden Tisch, als es darum ging, der planen Betroffenheit, der personalisierenden Profiler-Eitelkeit und dem Protagonisten der reinen Sicherheits-Aspekts auch ein wenig Substanz und Überlegung entgegenzusetzen, folgendes gesagt:
Breivik ist kein Neonazi, weil selbst er als gewaltbereiter rechtsextremer Fremdenfeind den in Norwegen herrschenden klaren Anti-Nazi-Konsens nicht durchbrechen will.
Es handelt sich bei ihm und seinesgleichen um eine neue Version des Rechtsextremismus, dessen neues Hauptfeindbild nicht mehr Juden und Slaven, sondern der Islam ist. Deshalb auch diese groteske (konstruierte) Koalition von Religionen. Moslems führen einen Jihad gegen den Westen, also versteht er sich als Counter-Jihad. Die Rassisten, also die Faschisten sind die anderen, der Islam; und die Gruppierungen, die für integrationsfreundliche Politik eintreten.
Breivik ist kein isolierbares Einzelphänomen. Schon im 19. Jahrhundert war der Soziologie klar: die Gesellschaft bereitet die Verbrechen vor, der Einzelne führt sie durch. Was Breivik tat und dachte, liegt im geistigen Umfeld vor, sowohl in Norwegen als darüber hinaus in weiten Teilen Europas.
Die Ziele dieses Menschen, so verrückt er sein mag, werden ihm von einer breiteren Denkstruktur vorgegeben. Auch die Progressive Party, die Fortschrittspartei ist nicht so harmlos wie das jetzt erscheint: die Anti-Zuwanderungs-, die Anti-Asylantenpolitik, das Klima des Hasses in der ideologisierten rechten Szene ist auf Basis dieser Politik entstanden.
Breiviks Ideen sind in Gesellschaft vorhanden, auch in Norwegen, im letzten Jahr gab es einen deutlichen Klimawandel, die Fortschrifttspartei kam in Bergen und Oslo in die Stadtregierungen.
Es sind die Bewegungen und Parteien, die "liberal" oder "freiheitlich" im Namen anführen, die verantwortlich sind für die Fokussierung der Gegnerschaft, für Denkstruktur und die Ziele von Menschen wie Breivik. Nicht verantwortlich sind sie für die Radikalität der Mittel.
Die vergleichsweise defensive Taktik der FPÖ
Dort, wo die FPÖ sonst jede Kleinigkeit benutzt, um sich als verfolgter Anwalt des kleinen Mannes, dessen Rede/Denk- und Meinungsfreiheit durch das Äußern anderer Meinungen bereits beschnitten wird, zu inszenieren, herrscht vergleichsweise Flaute.
Das hat nichts mit einer Schockstarre wie im Fall der ÖVP zu tun, sondern mit einem klaren strategischen Rückschlag. Die Islam-Keule als hauptsächliches politisches Mittel fällt nämlich (zumindest auf dem offiziellen Parkett, also der überregionalen Medienarbeit) für eine Zeitlang aus.
Was tun?
Man schickt untere Chargen vor - vielleicht profiliert sich ja einer, den niemand kennt.
Da die trotz der Existenz einer Vienna School of Thought extrem dünn besetzte Bank der stramm rechten Intellektuellen (Höbelt, Mölzer und ... tja, niemand...) nichts vorgibt, wassert der höchst schwammige, fast verschämt gepostete Kommentar der Haus-und-Hof-Plattform zwischen ideologischer Kindesweglegung und Verblödelung.
Im Vergleich zum recht deutlichen Chor der rechtspopulistischen Bruderparteien lassen die FPÖ-Reaktionen eine wirklich politische Linie vermissen.
Auch das hat strategische Gründe. Als erfolgreicher Star des neuen dritten europäischen Lagers will man auch international das Gesicht wahren - und da ist Nichtstun aktuell die beste Idee.
Frau Sabaditsch-Wolff, die Heldin der freien Rede
Sie kommt namentlich nicht vor bei Andres Breivik, aber sie ist der direkteste Link nach Österreich: Elisabeth Sabaditsch-Wolff, radikal-fundamentalistische Anti-Islam-Predigerin in spezieller FPÖ-Funktion. Bei Straches irgendwie dann doch legendärer, wenn auch hauptsächlich legendär-patscherter Israel-Reise war sie die Kontaktperson zu den radikalen Siedlern und den lokalen Rechtsaußen-Parteien. In den diversen FP-Bildungseinrichtungen ist sie Stammgast. Thema: Islam, Islam, Islam. Eine Verurteilung wegen Herabwürdigung religiöser Lehren - und die machte sie zum Star der Internationalen der Spinner, der auch Breivik angehört.
Sabaditsch-Wolff ist "Österreich-Korrespondentin" bei Gates of Vienna, ihr Gesicht ziert die Frontpage-Kolumne 'Elisabeths Voice'.
Der Blog freut sich über den vielen aktuellen Traffic, stellt sein skandinavisches Team vor und lässt den Norwegen-Korrespondenten, den berüchtigten, von Breivik ausführlich zitierten Fjordman eine sehr ausweichende "Analyse" schreiben.
Breivik hat eine Menge von Zitaten und Analysen direkt aus dem Gates of Vienna-Blog in sein Manifest gecopypastet, wie der Kurier berichtet, auch Texte von Sabaditsch-Wolff.
Das ist ihr nicht zum Vorwurf zu machen.
Jeder Trottel kann heute alles copypasten, ganze Branchen bauen darauf auf.
Ein Mensch, der sein Leben damit verbringt eine Religion schlechtzumachen, tut dabei zwar weder sich noch seiner Umwelt etwas Gutes - Schwerverbrechen ist das aber keines.
Und so wird Sabaditsch-Wolff auch weiterhin als Islam-Expertin Expertisen für die FPÖ erstellen.
Die Blogger als Brandstifter?
... das ist dann doch zu einfach gedacht. Die Grenze zwischen radikalem Geplapper auf der womöglich vertrotteltstdenkbaren Ebene und bewußter Aufhetzung zu konkreter Gewalt ist zwar nicht genau zu ziehen, für jemanden mit ein wenig politischer oder besser Lebens-Erfahrung macht sie sich aber durchaus kenntlich.
Und so hat Robert Misik natürlich recht, wenn er die Isolierung der geistigen Brandstifter (einem davon, Udo Ulfkotte, ist heute die Grundlage für seine Hetze bereits entzogen worden) fordert. Es ist dann aber derselbe Misik, der auch im Übelsten noch Selbstkritik findet: "Auf Politically Incorrect, dem Quasi-Zentralorgan der Moslemhasser, gab man sich im ersten Schrecken nachdenklicher: 'Was er schreibt, sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten'."
Viel wichtiger ist aber ein Folgesatz: "Um die Zirkel radikaler Spinner bildeten sich konzentrische Kreise normaler Bürger, die zwar nicht alle Postulate der Moslemhasser vertreten, doch manche ihrer Meinungen teilen und selbst die bizarrsten Wortmeldungen tolerieren. Durchaus angesehene Zeitungen gaben ihnen Raum, ihre Positionen zu vertreten. Kurzum: Die gesellschaftliche Immunabwehr hat ausgesetzt."
Und das schlägt wieder die Brücke zur aktuell gelähmten bürgerlichen Presse.
Und was macht die Kronen-Zeitung?
Das Blatt der jungen Dichands geht ja in vielem, was die von Breivik so ausführlich vorgestellte Neue Wiener Denkschule auszeichnet, konform.
Kultureller Konservatisvismus - durchaus.
Strikte christliche Monokultur - das hat sich seit dem Tod des alten Dichand etwas entspannt.
Patriarchale Strukten - sind geblieben.
Anti-Islamismus - klar.
Gegen Diversität - in fast allen Belangen.
Europäischer Isolationismus, paneuropäisch, aber Anti-EU - ja, ja und ja.
Antiautoritäre Infragestellung des Staats - mit denselben Mechanismen, mit denen Hans Dichand die Republik im Sack hatte.
Diffamierung aller, die nicht dieselben Glaubenssätze haben als marxistische Linke - Jeannees Hauptberuf.
Was macht nun die Krone mit einem Attentäter, der dieses Profil teilt?
Am Samstag ist noch Hansi Hinterseer am Cover, man hat nur die Terror-Attentat-Basics.
Am Sonntag ist schon der blonde Wikinger Coverboy: Ernst Trost, der ausgewiesene Historiker zitiert Ibsen und Munch, erkennt McVeigh und Fuchs, weiß um Einzeltäter und erwähnt, ein wenig zusammenhanglos, den "Wutbürger". Norwegen ist zudem nicht frei von Sünde, weil NATO-Blut an den Händen. Der Rest ist klassisch chronikal.
Montag ist der "Killer" am Cover schon "irre", kein Coverbild mehr. Man entdeckt die Österreich-Zusammenhänge, die gates of vienna, aber nicht die Vienna School of thought.
Auch die Krone begeht den Zwentendorf-Fehler. So wie praktisch ganz Journalisten-Österreich, ein echtes Trauerspiel.
Stille-Zwentendorf-Post und Botschafter-Bashing
Da ist nämlich die Stille Post, dass Breivik Zwentendorf als AKW-Terrorziel ausgegeben habe, weil er, der Einzeltäter-Trottel, nicht weiß, dass es gar nicht eingeschalten ist, nicht totzukriegen.
In Wahrheit hat Breivik einfach alle (ALLE) europäischen AKWs aufgelistet. Und bei Zwentendorf stehen alle Fakten richtig dabei. Auch der schöne Satz: Nuclear power is illegal.
Wenn man die Seite mit der Zwentendorf-Ente umblättert, sieht man eine ganze Seite, die dem unliebsamen türkischen Botschafter gewidmet ist, samt Kommentar.
Anlass: demnächst wird er abgelöst.
Der Botschafter hatte vor Jahresfrist ein offenes Interview gegeben, in dem er alle österreichischen Problemzonen in Punkto Integration angesprochen hatte.
Seither hat sich politisch ein bisserl was gebessert, auch wegen dieses Interviews, das zwar öffentliche Erregung generierte, dessen Inhalte aber von den Entscheidern selbstverständlich ernst genommen wurden.
Für die Krone ist dieser Mann der Feind: ein Türke, und auch noch ein verbal und geistig hochfitter, der uns alle Fehler auf den Kopf zusagt.
Und so druckt sie sieben "unerhörte" Zitate nach, eines wahrer als das andere; und begibt sich in ihr altes Mantra - dem der neuen Wiener Schule.
Dienstag (Abendausgabe) sind es dann 93 (?) Tote und 'keine Reue' und dann, nach der Norwegen-Berichterstattung eine wilde ganzseitige Kampagne gegen die Unterstellung dass die FPÖ ein Wegbereiter für den Amokläufer gewesen sei. Eine Unterstellung, die niemand getätigt hat. Das Böse: "sogenannte Experten für Rechtsextremismus", die Herren Funke und Ottomeyer, die der auch böse ORF aufmarschieren lasse. Die zweite Reihe, Hofer und Gudenus werden mit ihren Zurückweisungen zitiert, darüber thront ein zusammenhangloses Redner-Archiv-Foto des dieser Tage unsichtbaren Parteichefs.
Die Leserbriefschreiber, sonst sichere Messlatte für die Kampagnen-Vorgaben, haben offenbar noch keine Leitlinie bekommen, sie sind noch zwischen stammelndem Entsetzen, vagen kassandrischen Warnungen und dem 'Mehr Sicherheit- mehr Kontrolle'-Mantra gefangen.