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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 7. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 141.

Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Annäherung an die sublimen Österreich-Aspekte im Manifest des Massenmörders Breivik.

PS: weil es da Verwunderung über die von mir angeführten 20% gab - die hat Peter Gridling, der Experte des Innenministeriums an Runden Tisch ja bestätigt.

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Mir ist Anders Behring Breivik völlig egal.

Mit den üblichen oberflächlichen Amoklauf-Psychologisierungen sollen sich eitle zukurzgreifende Experten (Haller und Co), der Medien-Boulevard und die Mehrheits-Öffentlichkeit der besorgten Eltern herumschlagen.
Sie sollten allerdings wissen: 20 % ihrer Sprößlinge teilen das Gedankengut Breiviks; großteils durch ihre Mitschuld.

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Mir ist auch das Manifest des Anders Behring Breivik egal. Inhaltlich.
Sich mit einer derart kleinkariert argumentierten Arbeit auf Four Lions-Niveau inhaltlich auseinanderzusetzen, das unternehmen nur jene, die die Mechanik des Netzes nicht kapiert haben (die Eltern, die alten Medien), oder die aktiven Teilnehmer der dort herrschenden Verschwörungs-Praxis, die selbstreferentiellen Möchtegern-Kalifen und Zwischenwelt-Trolle.

Für die vielen Faulen (auch unter den Journalisten; einige Berichte berufen sich ja auf Experten, die das Pamphlet gelesen hätten; dabei kann das jeder - und jeder Journalist, der drüber berichtet, sollte zumindest einmal reingeschaut haben: es sind weit über 1000 Seiten, aber so ist der Job eben - hier ist der Link zu einer Download-Möglichkeit) die sich mit der Comic-Version des Videos beschränken (ich habe es hier vorgefunden) wird das offensichtlich, wenn Breivik die Koalition seiner Feinde aufzählt: die Marxisten (damit meint er alle politischen Kräfte, die jenseits der Rechtsaußen-Parteien stehn, in Österreich auch die ÖVP), die Gutmenschen und die wirtschaftsmächtigen Globalisierer. Das ist so far out, da tun die dann folgenden kindlich anmutenden Beschwörungen der Templer und von Richard Löwenherz dann nicht mehr so sehr weh...

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Ich finde auch nicht, dass der Umgang des Anders Behring Breivik (oder des Andrew Berwick, wie er sich im Netz gern nennt) mit den neuen Medien ein so besonderer ist. Das ist mittlerweile Standard: die Botschaft über Facebook (das Profil ist mittlerweile gesperrt) schicken, auf Twitter mit einem Denksatz posen, und das Manifest sowie Video im weltweiten Netz so zu verankern, dass es unlöschbar wird - das kann mittlerweile jeder - dazu braucht es weder Anonymous noch Wikileaks - das ist Normalität (die viele trotzdem noch atemlos macht).

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Auch Timothy McVeigh wird als Referenz herangezogen.

Ich halte auch die jetzt schon historische Einordnung von Breivik, egal ob als neue Version des UNA-Bombers oder als Schandfleck, den man gefälligst nicht politisch deuten, sondern besser schwammdrübern sollte, für wenig interessant.

Die Frage, ob mit diesem so bewusst inszenierten, so politisch motiviertem Anschlag das, was es tatsächlich jahrzehntelang nur in den USA gegeben hatte (rechten Terror gegen den eigenen Staat, der sich nicht etwa gegen einen Außenfeind, sondern gegen die "eigenen Leute", diejenigen, die die kruden Verschwörungstheorien nicht nachvollziehen mögen, richtet; da greift auch der Four Lions-Vergleich wunderbar), jetzt endgültig nach Europa gekommen ist, stellt sich zwar, würde mir aber wieder zu sehr in Richtung Psychologisierung führen.

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Norwegen-Attentate
Die Rechte spaltet sich
Thomas Schmidinger vom Institut für Politikwissenschaften an der Universität Wien im Gespräch mit FM4
Does populism foster extremism?
The relationship between extreme people and extreme groups, and what the expected US debt default really means.
Journal 2011. Eintrag 142.
Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.
Secure vs. open society
Norway's free and open society has been rocked by the terror attacks - but would tighter security have made any difference?
Journal 2011. Eintrag 141.
Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind.

Letztlich ist auch die Frage der Einzeltäterschaft nicht so interessant: denn egal da noch Hintermänner gefunden werden, ob etwas fuchsig vertuscht wird oder ob Breivik die Anschläge allesamt allein ausgeführt hat - der Think Tank dahinter, die ideologischen Berater und Zurseitesteher, die Bereitsteller und Provider, die jetzt mit kaum verhohlenem Stolz auf die Tat ihres Kameraden blicken und sich in angeberischen Botschaften direkt damit brüsten, sie alle sind ohnehin bekannt.

Eine dieser von ultrareaktionären Gönnern durchaus gut geförderten Gruppen ist Gates of Vienna, ein virtueller Tummelplatz derer, die Breivik seine Ideen in den Kopf gesetzt haben.
Die Tore von Wien, die waren 1683, so das Dogma dahinter, das Ende des letzten islamischen Vorstoßes. Der nächste Angriff, so das historisch schiefe Narrativ der Neo-Templer, sei im Laufen, und die Breiviks sind die Anti-Mudjahedin der Templer-Armee, die Gegenwehr bietet. Nicht nur virtuell durch Hass-Predigerei, sondern eben auch real. Und durch die Anschläge am Samstag nicht erstmalig aktiv, sondern erstmals in diesem global erschütterndem Ausmaß.

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Bei Breivik, und erst da wird es interessant, und erst ab da habe etwa ich als ferner Österreicher das Recht da überhaupt mitzuplauschen, ist im Zusammenhang mit der Gatesofvienna-Site, der meistzitierten seines Manifests (ab Seite 946 mit einem eigenen Kapitel) auch von der "Vienna school of Thought" die Rede.

Nein, das hat nichts mit tatsächlich in Wien Zusammengedachtem zu tun: das nimmt tatsächlich, in aller naiven Märchenstunden-Duseligkeit (die im Breivik-Video auf Kindergarten-Level daherkommt) die Türkenbelagerung als Ausgangs-Punkt.

Das ist nun nichts, was hierzulande nicht auch schon probiert worden wäre: Heinz Straches FPÖ ist einen Teil ihres letzten Wien-Wahlkampfs auf dieser Walze der Türkenbelagerung gefahren, mit dem vor höllischer Dummheit nur so strotzenden Comic.

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Der Cocktail des Gedankenguts der "Vienna School of Thought" klingt altbekannt: kultureller Konservatisvismus, strikte christliche Monokultur, patriarchale Strukten, Anti-Islamismus, Einheit statt Diversität, europäischer Isolationismus, eine antiautoritäre Infragestellung des Staats, paneuropäisch, aber Anti-EU und der Dauer-Schmäh, alle, die nicht dieselben Glaubenssätze haben als marxistische Linke zu diffamieren. Dazu kommt die Abwesenheit einer echten ökonomischen Linie, die es erlaubt, alle - vom frustrierten Sozialisten bis zu konservativen Kapitalisten - gleichermaßen anzusprechen.
Jetzt stellt sich die Frage: passt zwischen dem was die "Vienna school of Thought" ausmacht und dem was die FPÖ, vor allem wahlkampfmäßig tut, noch ein Löschblatt?

Und mittendrin im Manifest (in meiner Version auf Seite 634) findet sich dann auch dieser schöne Satz, der sich auf den "Haider-Austria-Incident" bezieht, also die EU-Sanktionen gegen die rechts-rechte Wenderegierung von 2000: "They launched a campaign of political and psychological warfare against Austria when our brethren there managed to mount a democratic alternative."

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Der Begriff "Brethren" kommt im gesamten Text zwölfmal vor: es ist eine altertümliche Bezeichnung für 'Brüder', die sowohl in der Kirche als auch etwa unter Piraten Verbreitung fand - und heute im Sinn einer engen Verbindung, eines Bündnispartners gebraucht wird.

Breivik und seine Co-Autoren wie der Fjordman sehen die FPÖ also als "Brethren". In der Liste der Guten, der immigrationsfeindlichen und nationalistischen Parteien Europas taucht neben der FPÖ auch das BZÖ gleichermaßen auf - während alle anderen (incl. VP) Marxisten, also Feinde sind. Feinde, die man an die Wand stellen wird.

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Im übrigen sieht die "Vienna School of Thought" genau das, was die ultrarechte Regierung Orban in Ungarn gerade durchzieht, nämlich eine "Restriction of Media Rights", als unerläßlich an.

Natürlich hat das zwischen Kreuzritter-Herrlichkeit und Anti-Jihadismus pendelnde Konstrukt der "Vienna School of Thought", die Breivik auch bewußt als Gegenbewegung zur Frankfurter Schule darstellt, keinen realen Hintergrund. Ich kenne aber einige politisch bewegte Herren des rechten Milieus, die sich ab genau jetzt daran machen diese Lücke zu füllen.

Dieses bislang nur in einschlägigen Foren ein paar Leuten bekannte Label ist nämlich seit heute eine zu wertvolle Marke um sie unbeackert zu lassen. Von der "Vienna School of Thought" werden wir also zwangsläufig noch eine Menge hören.

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Dass sie auf einer historischen Überhöhung basiert, wird dabei niemanden interessieren. 1683 wurde nämlich eine Armee zurückgeschlagen, die keineswegs ein Interesse an religiöser oder ideologischer Überflutung bzw Bevormundung hatte, sondern einen der damals ganz normalen, ganz simplen politischen Eroberungskriege fuhr: das Osmanische Reich hatte simple Großmacht-Interessen, mehr nicht. Die eroberten Länder (und südöstlich von Wien gab es da ja eine ganze Menge) wurden kulturell und vor allem religiös unabhängig belassen. Insofern waren die Türken weit weniger fundamentalistisch als ihre damaligen christlichen Opponenten, die selbstverständlich missionierten.

Dass es bei der monatelangen Belagerung recht wenig Kampfhandlungen (die dann dafür in aller Grauslichkeit abgeführt wurden) und hauptsächlich kulturelle Kontakte gab (aus denen sich dann letztlich auch die fast gesamte österreichische Esskultur speiste, vom Kaffee bis zum Blätterteig - alles kommt vom Ottomanen), interessiert selbstverständlich weder die FPÖ-Comix-Ideologen noch die Gates-of-Vienna-Hanseln - es würde ihr (frei erfundenes) Bild vom heroischen Bollwerk des wehrhaften Christentums zerstören, wenn sie sich mit dem real existierenden Multiukulti von damals wirklich auseinandersetzen müssten.

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Die durch Anders Behring Breivik in unser aller Leben getragene "Vienna school of Thought" basiert also auf einer durchaus gelungenen Episode kulturellen Austausches am Rande eines der damals völlig üblichen menschenverachtenden Kriege.

Was davon bleibt ist kein Lerneffekt, sondern nur die Menschenverachtung. Bei den "Brethren" äußert sie sich in schmierigen Tier-Metaphern und historischen Lügengeschichten, bei den Fjordmen in einem Gewalt-Exzess.

Der Geschichts-Professor Gerhard Botz hat heute am Runden Tisch (ich glaube) Foucault zitiert: dass zwar ein Einzelner eine Tat begehe, dass aber das engere Umfeld und auch das gesellschaftliche Klimadie sind die den Boden bereiten und auch die sind, die als schuldfähig zu bezeichnen wären.

Für das, was die "Vienna School of Thought" verschuldet hat, brauchen heute weder die "Brethren" noch andere in Österreich Verantwortung zu übernehmen - für alles, was ab jetzt im Namen dieses neuen Kreuzrittertums folgt, sieht das aber schon ganz anders aus.