Erstellt am: 21. 7. 2011 - 15:50 Uhr
Small Screen Stories: Mother Nature
Irgendwie ist im Video zu "Human Behavior" schon alles da, was Björk später ausmachen wird. Mensch, Technik, Natur, Neugier, Gefahr, Michel Gondry.
Human Behavior, Björks erste Solo-Single, erscheint 1993. Es ist damals zwar weniger Chartstürmer als Hingucker, gilt aber trotzdem als ihr großer Durchbruch.
Das Video ist immerhin sechsmal für den MTV Video Award (der war damals noch was) nominiert. Gewonnen hat Björk ihn allerdings nicht. Verloren hat sie gegen Janet Jackson (Best Female Video für "If"), Mr. Jones (Best New Artist für "Counting Crows"), gleich zweimal R.E.M. (Breakthrough Video und Best Editing für "Everybody Hurts"), Peter Gabriel (Best Special Effects für "Kiss That Frog") und Nirvana (Best Art Direction für "Heart-Shaped Box"). Nur damit man das alles zeitlich ein bisschen besser einordnen kann.
Jedenfalls: Er ist Björk schon 1993 ein bisschen unheimlich, der Mensch an sich. Da wäre nämlich "definitly no logic" in seinem Verhalten. Es ist der Beginn einer langen Reise auf den stets leicht entrückten Pfaden der björk'schen Anthropologie.
Für Björk ist ein Mensch so in etwa die Summe der Gletscher, Vulkane und Flüsse, die ihm in seinem Leben begegnet sind. Und für sich selbst immer die größte Bedrohung, stets ein bisschen verdächtig.
Ein Album später wird die Sache dann ein bisschen technischer. Da erklärt Björk uns zum Beispiel, dass all die modernen Sachen, "wie Autos und so Zeug", eigentlich immer schon da waren und tief in den Bergen auf den richtigen Moment gewartet haben "to take over". ("The Modern Things"). Leider gibt es zu diesem Lied kein eigenes Video. Michel Gondry (bei "Debut" noch einer von vielen Regisseuren, bei "Post" schon für die meisten Videos verantwortlich) hätte sicher ein paar schöne Ideen gehabt.
Stattdessen warnen er und Björk in "Isobel" vor den Gefahren der Technik:Kriegsflugzeuge, bedrohliche Städte mit Wolkenkratzern aus Stahl,...
Und man beachte: Was jetzt in Biophilia seinen Höhepunkt findet, gibt es schon im Video zu Isobel (also 1995): Björk zeigt interessierten Kindern ein Phantasieinstrument. Und Blitze gibt's auch!
Nächstes Album: Homogenic. Nach offizieller Fan-Lesart wäre jetzt Bachelorette dran, als Abschluss der Mensch-Natur-Trilogie und Fortsetzung von Isobel. Noch mehr Natur, und vor allem fast schon "Was-Ist-Was"-mäßig ist allerdings das Video zu Joga. Beide sind - Überraschung! - von Michel Gondry.
Joga bereitet 1997 als erste Single auf ein Album vor, das Björk als Liebeserkärung an Island bezeichnet. Es sollte eine Hymne der Vulkaninsel werden, nach Vulkanen und rauhen Landschaften klingen.
Im Video lernen wir dann konsequenterweise auch einiges über Lava, Erosion, Schluchten und Höhlen. Die Plattentektonik gibt, die Plattentektonik nimmt. Und der Mensch (also Björk) ist ein kleiner Zwerg der bestenfalls mal kurz irgendwo in dieser Landschaft auftaucht.
Seit Björk 1999 mit Lars van Trier "Dancer in the Dark" gedreht hat, gilt sie als schwieriger denn je. Der Film wird mit Preisen überschüttet, Björk in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Trotzdem will sie eigentlich nicht mehr schauspielern. Zu aufreibend war die Arbeit mit Lars von Trier. Für beide wohlgemerkt.
Es folgen zwei schwierige Alben (2001 "Vespertine" und 2004 "Medulla") mit noch schwierigeren Videos. "Pagan Poetry" wird vom den in der Prä-Youtube-Zeitrechnung noch sehr wichtigen Musikfernsehsendern praktisch nicht gespielt (weil zu nackt).
Auf Medulla treibt Björk Reduktionismus auf die Spitze. Die Songs bestehen fast ausschließlich aus Vocals, die Stimme als natürlichstes Instrument und was man daraus alles machen kann.
Videotechnisch bemerkenswert aus dieser Phase vor allem Spike Jonzes Version von "Triumph Of A Heart". Björk verlässt ihren Prolo-Unterhemd-Kater-Mann, geht in eine Bar feiern, betrinkt sich ganz fürchterlich und stolpert dann zwischen den Vulkanen Heim in Richtung Bett. Der Kater-Mann kommt ihr mit dem Auto entgegen und holt sie ab. Sie tanzen im Wohnzimmer. Das Video hat wohl Generationen von Björk-Fans etwas ratlos hinterlassen. Man hatte den Eindruck, es geht ihr nicht so gut.
Mt ihrem Mann, dem Medienkünstler Matthew Barney, steht sie dann 2005 doch aber wieder vor der Kamera, für seinen Film Drawing Restraint 9. Mit dem dazugehörigen Soundtrack ist ihre Musik nun vor allem in Kunstgalerien zuhause. Leicht zugänglich ist das nicht. Björk ist jetzt Anti-Pop.
Das folgende Album Volta ist deshalb schon fast sowas wie ein kommerzielles Comeback. Von den vorherigen Albem bleiben der Hang zu Stimme und Chor als Instrument und ein gewisser Ethno-Einschlag. Als Regisseur für Earth Intruders gewinnt Björk den für Animationsfilme bekannten Franzosen Michel Ocelot.
Thematisch wird die Sache wieder "einfacher": Der Mensch, die Natur und wie die miteinander auskommen. "Earth Intruders", das Björk gemeinsam mit Timbaland produziert, wird von Kritikern und Fans sehr wohlwollend aufgenommen. Und auch hier schon als kleiner vorgriff auf Biophilia: Blitze und wie sie klingen. Was jetzt das neuerfundene Tesla-Instrument leistet, macht bei den Earth Intrudern noch der Computer.
Ihr bisher vielleicht bester Spagat zwischen Performance, Politik und Pop, "Declare Independance", war ein in manchen Teilen der Welt nicht sehr gern gehörter Song. Dass sie ihn je nach Auftrittsort den Tibetern, Aborigenees oder auch dem Kosovo widmete, brachte ihr unter anderem eine Rüge vom chinesischen Kulturminister und eine Ausladung vom serbischen Exit-Festival ein.
Das Video zu "Declare Independance" stammt wieder von Michel Gondry. Und es schlägt bereits eine schöne Brücke zu dem was mit Biophilia ab September kommen wird. Musik irgendwie erlebbar und sichtbar machen. Sei es wie hier mit Farben und Fäden, mit neu entwickelten Instrumenten oder mehr oder weniger gelungenen Apps.
Björk-Spezial in der FM4 Homebase
Robert Rotifer hat nicht nur Björks Biophilia-Show schon gesehen, sondern die Isländerin auch zum Interview getroffen. Einen Ausblick auf das im September erscheinende Album Biophilia gibt es heute, Donnerstag, ab 19 Uhr in einem Björk-spezial in der FM4 Homebase.