Erstellt am: 23. 2. 2011 - 16:27 Uhr
Die Narration des Dreschens
"Du musst den Drunken Tiger machen, sonst hast du keine Chance", rief mir mein ehemaliger Mitbewohner zu, als ich wieder einmal wutentbrannt den Controller ins Eck warf. Wieder k.o., wieder verloren. Dieses Tekken war mir einfach zu kompliziert. Zwar darf man da unter anderem mit einem Bären und sogar einem Holzstamm kämpfen, diese ganzen komplizierten Moves und Spezial-Angriffe haben aber nie den Weg in meine Synapsen gefunden. Meine Fighting-Game-Skills haben ein und denselben Anfangs- und Endpunkt. Und der heißt Street Fighter. Oder genauer gesagt: Super Street Fighter II Turbo.
Capcom
Zum Nachspielen im tristen Büro- und Lernalltag empfiehlt sich diese nette Flashversion.
Drücken, bis die Sehne reißt
Ganze 200 Schilling hat das Spiel damals in einer mittlerweile eher unrelevanten Bücher-Schreibwaren-Games-Handelskette gekostet. Es sollte aber eine Investition in die Zukunft sein. Monatelanges Training und eine eigens in Excel programmierte Weltrangliste (quasi offline Multiplayer mit Persönlichkeits-Multiplikation) später war das Spiel durchschaut: Die Special Moves sind zwar hübsch anzusehen und rufen nette Sounds hervor, die Basis des Siegs liegt aber in einer fast schon Winter Games-artigen Beherrschung der schnellen Fingerbewegung ohne Angst vor motorischen Verlusten. Sprung nach vorn - Tritt - Sprung nach hinten - Sprung ins Bildschirm-Eck - hinter dem Gegner landen und ihn dann je nach Charakter werfen, zwicken, beißen oder unter Strom setzen.
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Die gesamte Geschichte der gesamten Street Fighter Reihe gibt es auf der Wikipedia. Wer hätte das gedacht.
Das wird natürlich irgendwann einmal langweilig. Doch erst, wenn das Spiel mit jedem einzelnen Charakter durchgespielt ist (sprich mit jedem gegen jeden gewinnen), erschließt sich auch die narrative Bandbreite der midi-untermalten Drescherei.
Die Geschichten sind weder neu noch innovativ, im besten Fall nicht ausschließlich abgekupfert, für einen 12-Jährigen aber mehr als ausreichend. Der Antagonist ist Bison, der Vorsitzende eines weltweiten Verbrechersyndikats (nona!) mit Sitz in Thailand (warum auch immer). Er hat den Vater von Chun Li ermordet, den US Army-Soldaten Guile gefoltert, Häuptling Thunder Hawk aus dem Reservat vertrieben und das Gedächtnis von MI6-Cammy gelöscht. Der Rest der Posse arbeitet als Leibwächter oder Auftragsmörder für das Syndikat oder hat eigentlich gar nichts damit zu tun. Ganze acht von 17 Charaktären agieren außerhalb des grundsätzlichen Plots und erinnern eher an einen missglückten Episodenfilm eines Alt-Regisseurs.
FM4 Schwerpunkt: Fighting Games
- Die archaische und kompetitive Welt der Fighting Games (Robert Glashüttner)
- Der Virtual Dojo Vienna - ein Ort um sich zu treffen, zu plaudern und einander virtuell zu tögeln (Conny Lee)
- Die Narration des Dreschens (Roli Gratzer)
Jamaikanische Kickboxer matchen sich hier mit Sumo-Ringern in der Sinnkrise und "eigentlich pazifistischen" indischen Yoga-Kämpfern. Eine großartige Adaption des Tarzan-Themas liefert der Charakter Blanka. Als Sohn reicher Eltern ist er als Kleinkind über dem brasilianischen Dschungel abgestürzt und unter anderem von elektroschockierenden Aalen aufgezogen worden. Die damals noch warme Erinnerung an den Kalten Krieg manifestiert sich in Zangief, einem Alkoholiker-Kommunisten, der seine Gegner gerne in den Schädel beißt. Über all dem thront das ungleiche Paar Ryu und Ken. Beide sind gemeinsam aufgewachsen und haben deshalb ein und denselben Kampfstil (auch nicht schlecht für ein Charakter-basiertes Game). Der eine (Asiate) ist aber ein Carradine-hafter Prügelwanderer ohne Lust auf Eigentum und der andere (Amerikaner) ein arroganter Strandhaus-Bewohner.
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Im Spiel selbst spielen diese Dramen eine einzige Rolle: nämlich eigentlich gar keine. Zwar sind die Settings ein wenig auf das jeweilige Herkunftsland abgestimmt (Zangief-Fabrik, Blanka-Dschungel, Ken-Hafen, Guile-Armeeflughafen), die damals noch eher rudimentär ausgeprägte Zwischensequenz-Technik kommt aber erst dann zum Zug, wenn das Spiel eben durchgespielt ist.
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Die kulturelle Hinterlassenschaft des Klassikers ist enorm. Neben zahlreichen Mangas und gefühlten eintausend Fortsetzungs-Games (das letzte erschien 2009) gibt es sogar zwei Hollywood-Filme. Der eine, "Street Fighter – Die entscheidende Schlacht" mit Jean Claude van Damme (1994) ist ziemlich miserabel, der andere, "Street Fighter: The Legend of Chun-Li" mit Kristin Kreuk (2009) noch schlechter. Natürlich sind Game-Verfilmungen generell zum Scheitern verurteilt. Bei Street Fighter zeigt sich aber, dass sich seltsame Plots mit zugegeben mangelnder Stringenz so gut wie gar nicht filmisch umsetzen lassen. Gelungen ist das nur Jackie Chan, der im Film City Hunter (1993) die wichtigsten Street Fighter Charaktäre in nur drei Minuten präsentiert:
Tekkenianer und Mortel Kombatianten mögen mir verzeihen. Aber an sowas kommt ihr leider nicht ran.
Update:
FM4-Hörer shroomtune ist auch der Meinung, dass Street Fighter das beste ist und überhaupt. Aus diesem Anlass hat er uns extra eine spezielle Version seines aktuellen Tracks "Invaded by my own" gemacht. Aber hören Sie selbst: