Erstellt am: 1. 2. 2011 - 13:58 Uhr
Winona Forever
Manchmal macht Johnny Depp mir Sachen nach. Anfang der 90er Jahre etwa, lässt er sich "Winona Forever" auf den Oberarm tätowieren, zu einem Zeitpunkt, da ich selbiges längst in meinem Herzen notiert habe. Johnny Depp ist damals nur einer von zwei Lederjacken-Kerlen aus der Serie "21 Jump Street", Winona Ryder hingegen ist meine Heldin. Ich bin elf oder zwölf als ich "Mermaids" im Kino sehe, Ryder ist 22, spielt aber immer noch Teenager. Verschrobene, oft verletzte Teenager; Charaktere, die im ironischen cooler als cool 90er Jahre Kino nicht unbedingt Massenware waren. Winona Ryders Figuren sind die Vorhut einer Flut an Coming of Age Filmen, einer Armada an quirky Teenagern aus dysfunktionalen Familien, die das amerikanische Kino der letzten zehn Jahre so geprägt haben.
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Auch am Beginn ihrer Karriere steht so eine Figur. In Tim Burtons "Beetlejuice" spielt sie Lydia Deetz. Mit pechrabenschwarzen Haaren, kurzen Stirnfransen und einer Vorliebe für düstere Inszenierungen ist sie eine Art Mini-Morticia Adams. Auch Emily the Strange ist hier nicht mehr weit. Ihr schwebender Tanz zu Harry Belafontes "Jump in the Line" ist ein verschrobener Höhepunkt des Burton'schen Kinos. Ryders Figuren kommen aus einer anderen Welt, möglichst weit weg von der Welt, die die Eltern verkörpern. In "Mermaids" ist sie als unschuldige Charlotte Flax mehr als angetan vom Katholizismus, eine Reaktion auf die chaotische und sexuell befreite Lebensweise ihrer Mutter. Lydia Deetz findet bei den Geistern mehr Freude und Freunde als bei ihrer Mutter und deren neuem Mann und als Kim verliebt sie sich in "Edward mit den Scherenhänden" in ebenjenen Edward. Sie ist Tim Burtons Gothic Queen, ein Märchenwesen mit Bodenhaftung. Winona Ryder wird zur Rebellin, die wie eine Elfe aussieht. Und umgekehrt.
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Quirky & twisted
So radikal wie in "Heathers" würden ihre Figuren nie mehr agieren. In der bitterbösen Satire räumen sie und Christian Slater die beliebten High School Schüler aus dem Weg, ein fieser, wütender Schlag gegen den Beliebtheitsterror und sozialen Druck des High School Systems. "Heathers" schwankt zu sehr zwischen den Genres, um ein guter Film zu sein, Winona Ryder aber ist grandios. Den ausgestreckten Mittelfinger, den Slater ihr im katastrophalen Showdown entgegenhält, schießt sie einfach ab. Sie wird zum Liebling des amerikanischen independent Kinos, in Jim Jarmuschs Episodenfilm "Night on Earth" kutschiert sie als patente Corky Gena Rowlands, eine Hauptfigur des ursprünglichen independent Kinos des John Cassavetes, durch die Nacht. Rowlands spielt eine Hollywood-Agentin, die Ryder ein Angebot macht. Die lehnt ab, sie wolle Mechanikerin werden.
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Auch Winona Ryder trägt eine Abwehrhaltung gegenüber Hollywoods Star-Zirkus mit sich herum, von der Presse fühlt sie sich verfolgt und der Filmwelt gar nicht so verbunden. Aufgewachsen in einer Hippie-Kommune, mit Timothy Leary als Patenonkel, hält sie stets die Verbindung zu dieser Welt, sie tritt am San Francisco Literaturfestival Litquake auf, trifft dort Patti Smith, Tom Waits. Musik und Literatur scheinen ihr oft näher und wichtiger zu sein als der Filmzirkus, der ihr am Beginn ihrer Karriere regelrecht unangenehm ist. For a long time I was almost ashamed of being an actress. I felt like it was a shallow occupation.
Reality Bites
public domain
1993 wird die Verlobung mit Johnny Depp gelöst, aus seinem Tattoo wird "Wino forever." Winona Ryder wird zum "Gesicht der 90er", zur personifizierten "Generation X" und das, obwohl sie hauptsächlich in Literaturverfilmungen bzw Kostümfilmen zu sehen ist, "Bram Stoker's Darcula", "Das Geisterhaus", "Zeit der Unschuld" und "Little Women". Für ihre Rolle in Martin Scorseses "Zeit der Unschuld" wird sie mit einem Golden Globe ausgezeichnet.
Zwischen all diesen Werken aber findet sich ein Film, der damals alles verkörperte, was man über Yuppies, Slacker, Karriere, Liebe, Sex mit besten Freunden und Gap wissen sollte. Ben Stillers Regiedebüt "Reality Bites" ist ein Zeitgeist-Polaroid. Anhand von fünf Figuren entwirft Stiller ein Twentysomething-Kaleidoskop, ein Szenarien-Karussell des Erwachsenwerdens. Irgendwer hat immer eine Band, irgendwer hat immer kein Geld, irgendwer hat Probleme mit den Eltern, irgendwer hat jobtechnisch hohe Ambitionen und scheitert in der echten Arbeitswelt, irgendwer landet mit dem besten Freund im Bett.
PARAMOUNT
Lelaina Pierce mit ihren zerstruwelten Haaren, hohen Ambitionen die eigene Arbeit betreffend, die den Kaffee, wenn die Filter aus sind, mit Küchenrolle macht, Tanzeinlagen zu "My Sharona" an Tankstellen hinlegt und hin- und hergerissen zwischen dem von Grunge-gezeichneten Troy (Ethan Hawke) und dem Anzugtragenden Michael (Ben Stiller) wird meine Ikone. Wenn das dieses Erwachsenenleben ist, dann kann ichs kaum erwarten.
Die Presse stürzt sich immer noch auf Winona Ryders Zerbrechlichkeit, überall liest man waidwund und Rehaugen, es ist also eine schlaue Wahl, die Rolle in einem Science-Fiction Blockbuster anzunehmen. In "Alien Resurrection" von Jean-Pierre Jeunet wirkt sie selbst wie ein Alien, die indiequeen im Franchise-Frachter. Diese ungewohnte Position passt aber wiederum perfekt, denn sie spielt ja auch einen Mensch/Alien-Hybriden (edit: eine Androidin, danke daklane666). Winona kann alles, so scheint es.
Saks Incindent
W magazine
Doch Hollywood will sie nie wirklich erwachsen werden lassen, es hat einen Narren an der, der Welt immer leicht entrückten, Kindfrau gefressen. Es folgen "Girl, Interrupted" und das Schmonzmonster "Autumn in New York", darin stirbt ihre Figur an einer Herzkrankheit und auch Winona Ryder verschwindet ein wenig von der Bildfläche. Tinseltown verliert das Interesse an ihr. Und gewinnt es erst im Dezember 2001 wieder, da wird sie beim Stehlen im Saks Kaufhaus erwischt und zu einer Bewährungszeit von drei Jahren und einer Arbeitsauflage von 480 Stunden verurteilt. Ryders Karriere, die vorher schon am Knicken war, gerät zum Stillstand. Hollywood wendet sich beleidigt ab, sie wird zu Winona non grata und zieht sich nach San Francisco zurück. I just waited for it to be over., so Ryder.
Woody Allen will sie und Robert Downey Jr in "Melinda und Melinda" besetzen, kann aber nicht, weil sich die Versicherungen sträuben. Für ihre Rolle im Remake von "Mr Deeds" wird sie für die "Goldene Himbeere" nominiert. Außer Linklaters "A Scanner Darkly" bekommt kaum einer ihre Filme Aufmerksamkeit.
Zurück
Der erste Funken eines Comebacks kommt 2009 mit "Star Trek", für nur Sekundenbruchteile ist zu als Spocks Mutter zu sehen, für mich war sie der einzige Grund, in diesen Film zu gehen. Eine Sekunde in einem Blockbuster ist in Hollywoods Aufmerksamkeits-Ökonomie mehr wert als eine Linklater Verfilmung eines Philip K. Dick Buches. Ich hatte Hoffnung. Und ich wurde nicht enttäuscht.
20th century fox
In Darren Aronofskys "Black Swan" spielt sie eine Primaballerina, die von jüngeren Konkurrentinnen ersetzt wird. Ausgerechnet mit der Rolle einer Abservierten kehrt Winona Ryder zurück. Ihr erstes Wort in dem Film ist ein wutentbranntes, entnervtes, tosendes "What", das sie Natalie Portman entgegenwirft. Noni ist wieder da. Und spielt zum ersten mal eine Erwachsene. Auch in Ron Howards merkwürdig genreschwankender Komödie "The Dilemma" ist sie bemerkenswert. Spielt zweimal ein weinendes Geständnis, einmal wirklich nur gespielt, um Vince Vaughn zu beweisen, dass er sich mit ihr nicht anlegen sollte, und einmal tatsächlich beinah zusammenbrechend. Sie ist beide Male großartig.
UPI
Bei Jimmy Kimmel erzählt sie von ihren Schwierigkeiten mit dem Touchscreen des iPhones und, dass sie das Internet nicht verwendet und lacht, wenn sie erklärt, sie hätte Angst das Kinoprogramm zu suchen und dann plötzlich Mitglied der Al Quaida zu sein. Dem Lacher nach zu urteilen ist das nicht reine Koketterie, wie sie Stars in Sachen Verwendung neuer Medien betreiben. 1994 verordnete ihr Ben Stiller Fernsehen als Hausaufgabe während der Dreharbeiten zu "Reality Bites", da sie mit den popkulturellen Anspielungen im Drehbuch nichts anfangen konnte. Die leichte Entrücktheit der Welt ist ihr also geblieben und wie bin ich froh, dass sie wieder da ist. Willkommen zurück, Noni.