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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 1. 2011 - 17:29

Fußball-Journal '11-1.

Antizyklische Jahreseinläut-Schnipsel zum Fußball, Teil 5. Projekt-Opfer. Wie die Bildungs-Krise sich auch im Nachwuchs-Fußball niederschlägt.

Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf die schwachmatischen Skandalisierungen und die vielen Stillhalte-Abkommen, die den hiesigen Fußball-Journalismus so verhabert und zahnlos machen.

Aktuell mit einer kleinen Reihe zum Jahreswechsel, die - trotz weitgehend ruhenden Spielbetriebs - wichtige oder windige Geschichten nachklingen lässt.

Teil 1: Die Fußballer-des-Jahres-Liste und ihr Sittenbild.
Teil 2: Stranzls Standfestigkeit.
Teil 3: Scharner in the Sky with Diamonds.
Teil 4: Der begrabene Wettskandal.

Demnächst noch: die neu installierten Transfer-Transparenzen und ihre möglichen Folgen.

Um gleich ans gestrige Journal anzuknüpfen: wer einen Eindruck davon gewinnen will welche gesellschaftlichen Kräfte welchen Zugang zu Bildung und Ausbildung, dem allerwesentlichsten Gegenwarts/Zukunfts-Thema Österreichs, an den Tag legen, der ist beim Sport gut aufgehoben.

Allein der durchaus drastische Unterschied der Philosophien innerhalb des bedeutendsten heimischen Sportverbands, des ÖSV gibt eine Menge her: die auf eine höchst umfassende Lebens- und Herzens-Bildung setzende Methode der Skispringer etwa hat mit dem tendenziell darwinistischem Prinzip der Alpinen wenig zu tun; und produziert höchst unterschiedlichen Sport höchst unterschiedlicher Sportler.

Während die - im weltweiten Maßstab gesehen- Nischensportart der Ski-Künstler den Vorteil hat, dass alle Leistungssport-Kräfte zentral gebündelt und konzentriert werden können, hat der Fußball den Nachteil der Zersplitterung.
So wie vieles auch leichter klappt, wenn es Bundesangelegenheit ist und im Gegensatz dazu schwer bis unmöglich zu handeln ist, wenn sich neun Bundesländer (mit womöglich neun verschiedenen Standards und Regeln) da ordentlich wichtigmachen (Muster-Beispiel: Jugendschutz-Gesetze. Aktuell drohendes Horror-Szenario: Lehrer-Verantwortung).

Der ÖFB ist nicht der ÖSV

Auch beim ÖSV ist die Nachwuchs-Arbeit Ländersache, regional gesplittet, sie steht aber unter durchaus strengem Kuratel; und, vor allem: die sogenannten Stützpunkte bekommen die bestmöglichen Ausbildner, egal ob aus Theorie, Praxis oder (vor allem eben bei den Springern) aus den Bereichen, die im modernen Spitzensport die zusätzlichen 5- 10 %, die den Unterschied ausmachen, herauskitzeln.

Beim ÖFB, dem Fußball-Dachverband, hat man es gleich mit drei regional aufgesplitterten regionalen Strukturen zu tun: zum einen mit den - machtpolitisch viel zu - starken Landesverbänden, die den Unterbau und Teile der Jugendarbeit, nämlich die sogenannten Leistungszentren (LAZ) beaufsichtigen; dann mit den österreichweit zwölf Akademien, die dezidiert für die Ausbildung von Fachkräften, also den Nachschub für den Profi-Bereich zuständig sind; und dann noch mit den Profi-Vereinen, die oft mit einer Akademie verbandelt sind, aber ihr eigenständiges Süppchen kochen.

Da der ÖFB nicht der ÖSV und Herr Windtner alles andere als ein Schröcksnadel ist, fehlt die Möglichkeit des zentralen Durchgriffs. Der ÖSV ist wie ein Industrie-Betrieb organisiert, der ÖFB wie der gute alte Konsum.

Das Projekt 12 ist nicht die Challenge 08

Apropos ÖFB: da gab es zuletzt zwei gute Nachrichten: der glück- und sprachlose A-Team-Assistent Heinz Peischl wechselt als Sportchef zum FC St. Gallen. Und Konditions-Coach Roger Spry konnte zumindest fürs U21-Team weiterverpflichtet werden.

Seriöse Ausbildungs- oder gar Bildungs-Arbeit passiert da eher zufällig; oder dann, wenn etwas ansteht, für das man ein medial wirksames Aufplustern benötigt - wie die Heim-Euro 2008. Dafür rief der ÖFB ein Programm namens Challenge 08 ins Leben. Die Challenge umfasste die Basics dessen, was etwa im ÖSV selbstverständlich ist und wurde gegen heftigste Widerstände, vor allem der Vereine und ihrer Vertretung, der Bundesliga (die am liebsten gar keine Regulierung hätten, quasi whiskeytrinkende Marktliberale reinsten Wassers), durchgesetzt. In der Praxis blieb von diesen Individual-Trainings-Programmen für eine Horde ausgesuchter Talente samt spezieller Förder-Trainingslager eher wenig über.

Trotzdem schaffte es die um die Ausbildung/ den Nachwuchs bemühte winzige Lobby um Willi Ruttensteiner innerhalb des ÖFB auch ganz ohne Heim-EM ein Nachfolge-Projekt auf die Beine zu stellen: das Projekt 12.

Die Förder-Programme (regelmäßige Checks, Anleitungen für Extra-Schichten, Co-Finanzierung eines Individual-Coaches beim jeweiligen Verein, spezielle Betreuung, wie sie bei Stars üblich ist) umfasste eine durchaus fesche 31-Mann-Liste (und auch für die jungen Damen gab es Platz - im heimischen Frauenfußball lässt sich deutlich leichter zentral steuern und also auch fördern).

Better late than never

Die alte Kaderliste bietet der ÖFB nicht mehr an - aber das böse, nichts vergessende Internet hat sie vielerorts, zum Beispiel hier gespeichert.

Mittlerweile sind einige Burschen der Projekt12-Liste entwachsen, weil sie zu Herren geworden sind: Baumgartlinger, Kavlak, Magreitter, Beichler von Jahrgang 88 und Jantscher, Arnautovic, Pehilvan, Guido Burgstaller und Nuhiu vom Jahrgang 89 wurden als gereift entlassen.
Dafür rücken in der kurz vor Jahresende vorgelegten neuen Kaderliste ab dem Jahrgang 93 einige junge hoffnungsfrohe Talente nach.

Wenn man die neue Liste mit der ursprünglichen vergleicht, dann sind einige, bislang aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen nicht berücksichtige Eh-Klar-Kandidaten neu drinnen: Michael Schimpelsberger, Ex-Twente, neu bei Rapid etwa - der war in jedem Nachwuchs-Nationalteam Kapitän und bislang trotzdem kein 12er. Oder Deni Alar, Daniel Royer und Heinz Lindner, die man bislang ebenso übersehen hatte. Oder Farkas, Djuricin, Tobias Kainz eine Altersstufe darunter - alles Nachwuchs-Teamspieler, die man eigentlich seit Jahren besser einschätzen hätte können. Die werden nun, besser zu spät als nie, nachgeholt.

Es sind in der neuen Liste aber außer den quasi in den Regelbetrieb entlassenen Spielern auch einige andere, äh, "verschwunden".

Hire&Fire-Politik statt Nachhaltigkeit

Komisch ist auch, dass anlässlich der Präsentation sich genau niemand das Vorgestellte genauer angeschaut und thematisiert hat - soweit zur Praxis der Kontroll-Funktion der Medien.

Dass der ÖFB weder Supertalent Marcel Büchel (der bei Juventus auch schon international auflaufen durfte) noch der eben von Inter Mailand verpflichtete St.Pöltner U18-Teamakteur Lukas Spendlhofer auf dem Zettel hat, ist auch irgendwie folgerichtig.

Und da beginnt es komisch zu werden: Welchen Sinn hat ein (nachwuchstechnisch gesehen) langfristiges Projekt wie das vorliegende, wenn da junge Menschen kurzfristig gestanzt werden?
Im Fall des renitenten Austro-Bosniers Ervin Bevab, der zuletzt keinen Verein hatte, mag das noch nachvollziehbar sein. Obwohl da keinerlei Vorfälle a la Pehlivan bekannt sind.

Warum die jungen Torhüter Arnberger und Blatnik nicht mehr förderwürdig sind, warum Robert Gucher, der es beim Serie B-Verein Frosinone schon zu Einsätzen gebracht hat oder Muhammed Ildiz, der bei Wacker Innsbruck als Propkopic-Nachfolger aufgebaut werden soll, draußen sind - das ist weder inhaltlich noch formal erklärbar. Das können maximal regionale Quoten oder Interventionen von außen bewirkt haben.

Die Vorgangsweise erinnert an das Gehabe von Vereins-Trainern, die maximal die nächsten paar Monate im Blickfeld haben - mit einer über Jahre hinweg geplanten kontinuierlichen Ausbildungs-Arbeit hat dieses Hire&Fire-Gehabe, diese LASKmäßige Fluktuation jedoch nichts zu tun.

Sie zeigt nur exemplarisch auf, wie ein von seinen miserablen Strukturen geschwächter Verband seine Prioritäten setzt: im kurzfristigen Behübschen. Möglicherweise ist eine andere Vorgangsweise aufgrund der Abhängigkeiten des ÖFB von Vereinen, Akademien, Landesverbänden und Lobbys gar nicht denkbar.

Alibi-Förderung als Endziel

Nachlese zu Teil 4, dem in Österreich von ÖFB, Bundesliga und auch den Medien begrabenen Wettskandal: wie sehr sich niemand um die ganz offensichtlich hochanrüchige Geschichte des Neo-Salzburgers Douglas kümmert, das ist schon erstaunlich.

Auch der ÖSV ist, was seine Nachwuchs/Ausbildungs-Arbeit und die dortigen Kriterien betrifft oft streng und wohl auch manchmal ungerecht; auch dort wird es Einflüsterer und Zurufer geben. Allerdings ist der Wert des einzelnen Talents in einem Sport-Bereich, in dem es nur eine Handvoll Akteure zum Profi schaffen, so hoch, dass deutlich mehr Achtsamkeit im Spiel ist.

Im Fußball ist es allerdings so wie in der gesamten Bildungs-Politik: Es betrifft so viele jungen Menschen, dass den Verantwortlichen die amorphe Masse tendenziell wurschter ist. Irgendwer von den jetzt 43 Geförderten wird es schon schaffen (würde er wohl auch ohne Zutun des Projekts 12) - also lässt es sich jetzt schon irgendwie als Erfolg verbuchen, wurscht wie seriös man die Sache durchzieht.

Da ist der ÖFB nur noch einen kleinen Denkschritt von der FPÖ entfernt: die hatte nach dem letzten PISA-Test ja ein Aussetzen der Teilnahme gefordert. Die perfekte Lösung: kein internationaler Vergleich - keine schlechten Werte. Echt schade, dass das im Fußball nicht so recht möglich ist.