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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 12. 2010 - 17:01

Fußball-Journal '10-71.

Antizyklische Jahresausklangs-Schnipsel zum Fußball, Teil 4. Der begrabene Wettskandal.

Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.

Aktuell mit einer kleinen Feiertags-Reihe, die - trotz weitgehend ruhenden Spielbetriebs - wichtige oder windige Geschichten nachklingen lässt.

Teil 1: Die Fußballer-des-Jahres-Liste und ihr Sittenbild.
Teil 2: Stranzls Standfestigkeit.
Teil 3: Scharner in the Sky with Diamonds.

Demnächst: die Opfer des Projekts 12 sowie die neuen Transfer-Transparenzen.

Vor ein paar Tagen atmete die deutsche Sport-Journalisten-Welt anlässlich einer freudig kommentierten Meldung hörbar auf: die Bundesliga, ihre oberste Spielklasse, so wurde einer der Hauptangeklagten in dem seit 13 Monate schwelenden Verfahren zum von der Staatsanwaltschaft Bochum aufgedeckten, weltweit verflochtenen Wettskandal zitiert, wäre nicht betroffen.

Den Nebensatz überhörte man bereits geflissentlich: es wäre zu teuer.

Das heißt nämlich, dass sich schon Menschen finden würden, die der Wett-Mafia gefällig sein könnten, was den Spielverlauf, das Spielergebnis oder andere Details so beeinflussen würde, dass das weltweite Wetter dann drastisch in die Gewinnzonen bringen würde. Sie wären nur (noch) nicht leistbar.
Zumal die deutsche Bundesliga aktuell (fast) zur englischen Premier League aufgeschlossen hat und (mit) als beste Liga der Welt gilt; was weltweite Übertragungen und weltweites Interesse, also auch weltweite Wett-Wut nach sich zieht.

In Deutschland, von wo auf der Wettskandal im vorigen November aufgedeckt wurde, sorgt man sich also.
Noch, ein bisschen.

Was niemand anspricht, existiert nicht

Geschichten über den Verlauf der Untersuchungen und des Prozesses sind nicht mehr der Heuler wie noch vor einem Jahr. Auch weil die Nachforschungen mühsam sind, die Aufklärungen schleppend vorankommen und das mafiöse Netzwerk längst alle Spuren verwischt hat.
Aber immerhin: die deutschen Medien berichten. Zuvorderst die üblichen verdächtigen Investigativ-Journalisten, meist dieselben, die den Doping-Sumpf medial ausgetrocknet haben.

Auch in der Schweiz: fette Dossiers über den Wettskandal.

Und in Österreich?
Immerhin hat die Staatsanwaltschaft Bochum im November 09 bekanntgegeben, dass elf Spiele von Bundesliga und 1. Liga (keine Spezifizierung) gekauft waren.
Österreich, also der ÖFB und die Bundesliga bekamen Anfang 2010 Akten-Einsicht.

Danach: nichts. Keine öffentliche Äußerung.
Aber: auch nichts in den Medien; als wär's abgesprochen.
Einzelne Renegaten wie die im Sportbereich seit Jahren kecke Wiener Zeitung bestätigen diese Regel. Aber selbst hier: kein Österreich-Bezug. Nichts.

Man vergisst, wenn sich nichts bewegt im öffentlichen Raum. Was niemand anspricht, existiert nicht.

Erinnerungsarbeit zum Jahrestag

Es braucht Leute, die sich erinnern. Wie Alexander R., der knapp nach dem Jahrestag der ursprünglichen Enthüllung folgendes Mail schrieb:

Hallo Hr. Blumenau.
Ich verfolge immer wieder gerne Ihre Online-Journale auf fm4.at.
Jetzt frage ich mich, was aus dem Wettskandal im Fussball geworden ist. Sie, und auch andere Medien hatten darüber berichtet. Aber "Ergebnisse" hab ich nirgendwo gelesen. Hab ich was übersehen? Oder wurde darauf "vergessen"?
beste Grüße

Ich weiß nicht, ob Alexander seine Frage auf die österreichische Situation, die 11 geschobenen Spiele, bezieht oder nicht. Weil anderswo ja durchaus was weitergeht. Damals nicht beeinträchtigte Ligen (wie etwa die italienische) stellten Nachforschungen an und wurden fündig. Die als verraten und verkauft enttarnten Spiele haben sich seit November 09 massiv vergrößert.
Anderswo wird also geforscht und auch berichtet.

In Österreich? Zu den 11 Spielen?

Reingewaschen!

Ich hab' Alexanders Mail zum Anlass genommen nachzufragen. Und eine Antwort bekommen. Eine ganz offizielle. Diese:

Der ÖFB ist gemeinsam mit der Österreichischen Bundesliga seit der berühmten Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Bochum in regelmäßigem Kontakt mit den dafür zuständigen Strafverfolgungs-Behörden in Österreich sowie der UEFA. Aktuell ist zu sagen, dass nach jenen Informationen, die uns vorliegen, kein einziges Spiel in Österreich oder mit Beteiligung österreichischer Klubs oder Verbandsauswahlen im Verdacht steht, verschoben worden zu sein. Wir hoffen natürlich, dass dies so bleibt.

Komisch.
Anderswo gingen die Zahlen nach oben. In Deutschland sind weit mehr geschobene Spiele als die auf der ursprünglichen Liste ausgeforscht worden, auch international kam einiges dazu, zuletzt auch ein WM-Qualifikations-Match.
In Österreich, als lebendiger Gegenbeweis zu allen und allem, als Insel der Seligen eben, verbröseln sich alle inkriminierten Angelegenheiten gegen Null.
Begünstigt vom Schicksal unser Fußball-Land, was?
Fantastisch, oder?

In Kombination mit dem totalen Stillschweigen der heimischen Medien und der inexistenten Investigation ist diese offizielle Antwort fast auch schon wieder ein Statement.

Vielleicht findet sich ja jemand, dessen ureigene Aufgabe es ist derartigen Dingen auf den Grund zu gehen. Es kann ja nicht an einzelnen kritischen Lesern wie dem Alexander oder an sich genrefremden Part-Time-Bloggern hängenbleiben. Oder doch?