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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 12. 2010 - 22:50

Fußball-Journal '10-70.

Antizyklische Jahresausklangs-Schnipsel zum Fußball, Teil 3. Scharner in the Sky with Diamonds.

Meisterschaft und Cup, das europäische Geschäft, das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.

Aktuell mit einer kleinen Feiertags-Reihe, die - trotz ruhenden Spielbetriebs - wichtige oder windige Geschichten nachklingen lässt.

Teil 1: Die Fußballer-des-Jahres-Liste und ihr Sittenbild.
Teil 2: Stranzls Standfestigkeit.

Demnächst: die Opfer des Projekts 12, der begrabene Wettskandal oder die neuen Transfer-Transparenzen.

Paul Scharner ist (neben Johnny Ertl eine Spielklasse tiefer) der einzige heimische Auslandsprofi, der über die Feiertage pflichtspielt. Meisterschaft mit West Bromwich Albion, in der Premier League in wahrhaft englischen Wochen: morgen Sonntag bei Bolton, am Dienstag daheim gegen Blackburn, am Neujahrstag ebenfalls daheim gegen Manchester United und am 5.1. bei Fulham. Vier Spiele in elf Tagen - eine Frequenz, die zuletzt von den Herren Stevens oder Pacult gehörtes Geheule dort einordnet, wo es hingehört: in die Lade der läppischen Ausreden.

Scharner pendelt beim Traditionsteam der Industriestadt des Black Country nordwestlich von Birmingham zwischen seiner Lieblings-Position als agiler, spieleröffnender 6er und der von ihm weniger geschätzten Position des Innenverteidigers.

Westbrom ist aktuell 13. und steht deutlich besser da als erwartet; die englischen Medien sehen Scharner da durchaus als einen der dafür Verantwortlichen. Etwa auch der Broadcaster der Premier League, Sky.
Dort läuft vor jedem Spieltag ein pfiffig und schnittig produziertes Halbstunden-Magazin mit kleinen Portraits, Interviews, Homestories - und weil Sky die TV-Rechte an der immer noch besten Liga der Welt (obwohl Spanien und vor allem Deutschland deutlich aufgeholt haben, stimmt diese Zuschreibung immer noch) kriegen sie da alle Stars, die sie haben wollen.
Vor zwei Wochen war Scharner dran, mit Interview samt Portrait. Thema: genau der angesprochene Achtungserfolg mit WBA. Und natürlich Paul Scharner, die interessante Figur.

Scharner und sein wundervoll offenes Scheißminix-Englisch

Und siehe da, der in Purgstall (NÖ) Geborene und bei der Austria und in Norwegen fußballerisch Großgewordene, machte eine blendende Figur.

Scharner glänzte auf Sky wie ein funkelnder Diamant.

Auch auf die abgedroschensten Fragen kam wie aus der Pistole geschossen eine gewitzte Antwort, in einem wunderbaren Scheißminix-Englisch, das via Akzent Gewisstheit über Herkunft seines Sprechers gibt, aber auch das klare Bemühen sich in der Lingua Franca des Arbeitgebers immer besser erklären zu wollen, widerspiegelte.

Das, was Scharner über sich, seine Person, seine Macken, seine Philosophie, seinen Verein und anderes mehr zu sagen hatte, war nicht nur formal und sprachlich sicher und gewitzt, es zeugte auch vom Willen des polyglotten Kickers sich von der nichtssagenden Phraseologie seiner Kollegenschaft abzusetzen.
Wenn ich jetzt Kollegenschaft sage, dann meine ich nicht so sehr die der Premier League, sondern eher das, was man hierzulande von Bundesliga-Spielern, aber auch Verantwortlichen aller Art hört: das unendlich öde, fade und vor allem verlogene Runterbeten eingelernter Stehsätze aus den Rhetorik für Jung-Fußballer-Anfänger-Kursen.
Da ist man in Österreich auf einem Level vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren hängengeblieben.

Auf halbem Weg steckengebliebene Persönlichkeitsschulung

Man war hierzulande so stolz auf die Tatsache, dass man seine Kicker überhaupt in sowas wie eine Interview-Schulung schickt, dass man den nächsten, international mittlerweile längst vollzogenen Schritt, gar nicht mehr wahrgenommen hat: die Persönlichkeits-Schulung, die einem auf dem Platz selbstsicheren Akteur auch den gar nicht starken Verbal-Schubser gibt, den es braucht, um auch in der Kommunikation mit der Außenwelt glaubwürdig zu sein.

Die deutschen Jungstars beherrschen das mittlerweile allesamt. Während die Generation Klose und auch noch die Generation Ballack noch im Absondern von Phrasen geschult wurden und sich auch nicht weiterentwickelt haben, sind die nachfolgende Generation bereits ganz andere Kaliber.

Österreich hat aktuell nicht einmal noch das Niveau Ballack erreicht. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass von der Natur auschließlich mit fußballerischer Begabung gezeichnete Akteure der Marke Podolski hierzulande immer noch eine Mehrheit stellen (was wiederum auf die schwächlichen Förderstrukturen und auch peinlich überholtes Distinktions-Gehabe der Marke "Jeda, dea wos a Madura hod, kon ned gickn" zurückzuführen ist), aber auch auf die die eklatante heimische Taktik-Schwäche echoende Fortbildungsresistenz in Verantwortungskreisen.

Duftmarken und Erkennungsmelodien

Musterbespiel: Steffen Hofmann, vorbildlicher Rapid-Kapitän, Role Model in vielerlei Hinsicht, aber, wenn er den Mund aufmacht, der nichtssagendste und ödeste Typ der Welt. Noch dazu einer, der merklich Widerwillen hat sich zu äußern.
An diesem Nicht-Ideal orientiert sich der Rest der heimischen Kicker.

Eine der großen Ausnahmen, der Austria-Verteidiger Manuel Ortlechner, wird einer der Gäste in der FM4-Jahresausklangs-Interview-Reihe "Das FM4 Jahrbuch: Menschen 2010" sein. Ab Montag zeichnen acht Porträts der "Klasse von 2010". Eine Jahresrückschau via persönlicher Gespräche. Unter anderem eben mit Ortlechner.

Die Spieler pro Mannschaft, die einen über inhaltliches Nullgewicht hinausgehenden Satz äußern können, sind an einer Hand abzuzählen. In der Nationalmannschaft sind es - und deswegen mein Scharner-Beispiel - meist die Legionäre, die die Pappn überhaupt aufkriegen. Sonst: ein paar Oldies (Macho, Janko, auch Wallner). Unter den Jungen sind Jantscher, Schiemer und Beichler Einäugig unter Blinden.

Bloß: was passiert, wenn einer raussticht, weil er seine Ansichten so präsentiert, dass sie ihm einen USP verschaffen, er sich damit, vielleicht gar noch im Zusammentreffen mit gewagten Frisuren eine Art Erkennungsmelodie verschafft?

Deppert angekoffert wird er.
Geschehen etwa bei Stefan Maierhofer (den ich gern kritisiere, aber aus sportlichen Gründen; nicht weil er imstande ist eine Agenda zu setzen)
Oder wie bei Paul Scharner.
Der wird, weil er etwas kann (seine Duftmarke setzen, und das auch auf "ausländisch") von den Blut-und-Boden-Tieffliegern der Fußball-Branche, von wandgrauen Fadgas-Absonderern, von Campaigning-"Journalisten", von "Matura, a so a Schas!"-Un-Coaches angepöbelt.

Ausbruch aus der verbalen Nichtigkeit

Paul Scharner kann, und da möchte ich an die Stranzl-Geschichte anschließen, es natürlich völlig egal sein, was im fußballerischen Operettenstadl Österreich an Unsinnigkeiten über ihn gebrabbelt wird. Zumal die Wertschätzung einer tatsächlich kompetenten Fußball-Öffentlichkeit wie der englischen, ihm gewiß ist.

Schlimm trifft das alles nur die hierzulande Zurückgelassenen: die unrettbar im Nebel der verbalen Nichtigkeit gefangene Generation der schon etwas älteren Fußballer.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Jüngeren der Kicker, die sich sowieso über internationale Kanäle informieren, nicht mehr den Grind, den ihnen die hiesige Ausbildner-Generation als Gold verkaufen will, glaubt, sondern eigene Schlüsse zieht. Und sich an den Jungstars von z.B. Dortmund oder Mainz, und deren öffentlicher Auftritten orientiert.