Erstellt am: 28. 10. 2010 - 20:27 Uhr
Bachelor und Schluss?
"Das wirklich Gemeine ist, dass es jetzt zwei Jahrgänge trifft und damit fühlen sich nicht alle verbunden", analysiert Armin. Damit könnte man die Proteste möglichst gering halten. "Aber wie man sieht, fühlen sich offenbar viele solidarisch." Knapp vor sechzehn Uhr finden sich die ersten hundert jungen Menschen vor dem Hauptgebäude der Karl-Franzens-Universität in Graz ein. Wenig später ertönt eine Ansage durch die Lautsprecher: Dies sei die größte Demonstration in Graz in der Zweiten Republik. Die Polizei wird die Zahl der Demonstrierenden auf 4.000 schätzen. Und unterwegs gegen die geplante Kürzung und die Streichung der Familienbeihilfe ab dem 24. Lebensjahr sind nicht nur Betroffene.
- Budget: Reizwort mit sechs Buchstaben (Arthur Einöder)
- Der Staat will sparen, und etwa 40.000 Studenten und Studentinnen sollen ihm dabei unter die Arme greifen (Markus Zachbauer)
- Ökonomin Margit Schratzenstaller im Interview
- Verspätete Abwehrmaßnahmen: Martin Blumenau über die Unter-30-Jährigen, die lobbylose Bevölkerungsgruppe, die jetzt möglicherweise erwacht
Maria ist eine jener, die sich solidarisch erklären. Sie geht mit für alle jene, die nach den Plänen der Regierung die Familienbeihilfe nicht mehr in jenem Ausmaß bekommen werden, wie sie Maria bekommen hat. "Die Familienhilfe ist ein Grundgeld, das man zur Verfügung hat, und sie ist für alle gleich hoch. Wenn Eltern ihren Kindern Geld geben variieren die Summen. Wenn jetzt die Familienbeihilfe gekürzt und gestrichen wird, verstärken sich die sozialen Unterschiede", sagt die 28jährige, die Theologie und Englisch studiert. Sie wurde finanziell nicht von ihren Eltern unterstützt, hat das ganze Studium hindurch gearbeitet - im Supermarkt, als Studienassistentin und in Fastfood-Lokalen. Ihr Studium hätte sie schneller beenden können, das wolle die 28Jährige nicht auf die universitären Strukturen schieben. Ihre Freundin Felicitas kommt aus Deutschland und pustet kräftig in ihre Trillerpfeife. Felicitas ist "komplett unbetroffen, ich werde von Mama und Papa finanziert. Kindergeld haben ihre Eltern nie bekommen, dafür hätten sie immer zuviel verdient. Dennoch steht Felicitas vor dem Hauptgebäude der Karl-Franzens-Universität in Graz und tut ihrem Unmut kund. "Nur, weil ich das Glück habe, dass ich das Studium von meinen Eltern finanziert bekomme, ist es unfair, wenn für andere diese Kinderbeihilfe wegfällt. Felicitas hat ihrer Meinung nach konstant studiert, und sie hat es nicht schneller geschafft. Der Druck steige allgemein immens.
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Nicht einmal die Mindestzeit
Auch FH-Studierende sind unter den DemonstrantInnen, wie Conny. Sie ist eines von sieben Geschwistern, ihre Familie würde das Wegfallen der Familienbeihilfe für alle über 24 massiv treffen. Ihr Doktoratstudium ist nun fraglich. Dabei wird sie bereits mit 21 ihren Bachelor haben. "Auf der FH hab' ich meinen fixen Platz und meine fixen Vorlesungen, doch ich weiß von Freunden auf der Uni, die in Vorlesungen gar nicht hineinkommen. Wie sollen die ihr Studium in Mindestzeit abschließen?".
Für die Erstsemestrigen Kathi und Iris ist ein Abschluss in Mindestzeit bereits in den ersten Uni-Tagen Geschichte. Die Ergebnisse für die Einstufungstests ihres Dolmetsch-Studiums bekamen sie am Tag, nachdem der Anmeldebeginn für die wichtigen Seminare stattgefunden hatte - alle Plätze waren bereits belegt. Kathi hatte ursprünglich Architektur inskribiert, doch schon in den ersten Wochen war klar: das ist nicht ihres. Aus Angst, die Familienbeihilfe zu verlieren, wechselte sie sofort. Nachdem die Beiden berufsbildende Schulen absolviert haben, haben sie keine Zeit zu verlieren. Ein Auslandssemester würde nun eine ordentliche Hürde darstellen. "Ich müsste eine Uni finden, an der ich Türkisch und Spanisch machen kann und die Lehrveranstaltungen anbietet, die mir hier alle angerechnet werden, erklärt Iris. Sie ist dankbar, dass ihre Eltern sie großzügig unterstützen. Doch sobald die Familienbeihilfe wegfiele, müsste sie nebenbei arbeiten, wie Kathi, die bereits jedes Wochenende kellnert.
Reiche Eltern für alle?
In Connys Familie wurden die bevorstehenden Einschnitte schon besprochen, ihre Schwester demonstriert und auch ihre Mutter wäre dabei, müsste sie nicht arbeiten. "Ich sehe es nicht ein, warum ich als Akademikerin, die dem Staat ja etwas bringe, nicht das Recht habe zu studieren! Denn es fällt ja nicht nur die Kinderbeihilfe weg, es fallen ja andere Ermäßigungen wie Mobilitätscheck usw. weg.", sagt die Journalismusstudentin. "Und die Regierung verkauft das als sozial, wo es doch große Familien speziell betrifft. Während man Themen wie Verwaltung überhaupt nicht einmal antastet".
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Auch Benjamin, der im dritten Semester Soziologie studiert, kommt aus einer großen Familie. Als erstes von vier Kindern studiert er, die Jüngeren würden in den nächsten Jahren auf die Uni kommen. Werden die Pläne der Regierung Realität, müsste er nach dem Bachelor aufhören und Arbeit suchen, den Zivildienst hat er bereits geleistet. "Aber allein für jene, die eine berufsbildende Schule gemacht haben und mit sieben eingeschult wurden, gehen sich Abschlüsse als Master in den meisten Studienrichtungen nicht unter 24 aus", gibt er zu bedenken. Seine Mutter hat sich der Studentendemonstration angeschlossen, sie spaziert mit, über den Glacis Richtung Karmeliterplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfand.
Zugesichert?
Armin, 25, könnte noch ein Jahr Familienbeihilfe beziehen. Zumindest wurde das vor wenigen Wochen zugesichert. "Meine Eltern haben eine Zusage bekommen, dass ihnen für mich bis September 2011 Familienbehilfe zusteht. Aber es wurde ja gesagt, dass es ab Jänner keine mehr gibt für über 24-jährige. Es ist noch alles sehr undefiniert." Er werde nicht Hunger leiden müssen, doch für ihn steht nun fest, das Studium so schnell wie möglich zu einem Ende zu bringen. "Das ist wohl im Interesse der Politik. Aber ob das so gut für die Ausbildung ist, ist eine andere Frage." Armin studiert Pädagogik, er hatte ein Doktorat im Auge. Zwölf Stunden arbeitet er nebenbei in der Erwachsenenweiterbildung, macht auf der Uni ein Tutorium. So verdient er zwar Geld, doch nicht genug, um die monatlichen Kosten zu finanzieren und alleine zu wohnen.
"Jetzt kriege ich von meinen Eltern noch zweihundert Euro monatlich, das war die Familienbeihilfe und der Rest von ihnen. Sie haben gesagt, sie zahlen mir das weiter. Aber mir ist es unangenehm, von den Eltern wieder so abhängig zu sein und ihnen auf der Tasche zu liegen. Gut, jetzt liegt man auf der Tasche des Staates, doch ich finde es gerechtfertigt, dass die Bildung staatlich unterstützt wird." Wenn man auch noch berechnet, dass man sich selbst versichern muss, sind mit einem Mal zweitausend Euro weg. Warum ausgerechnet die Familien und die jungen Menschen in Ausbildung für das Budgetloch aufkommen müssen, versteht er nicht. In seinem Umfeld leben die meisten Studierenden unter jeglichem Mindeststandard, wohnen in WGs und können sich kaum recht etwas leisten.
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Vom ersten Semester an hat der Telematik-Student Daniel nebenbei gearbeitet. Sein Plan war, mit sechsundzwanzig sein Studium an der Technischen Universität zu beenden. "Mit vierundzwanzig werde ich gerade den Bachelor fertig haben. Bachelor allein bringt einem beruflich gar nichts", ist er entsetzt. Entweder wird er aufhören müssen zu studieren. Oder er wird versuchen noch mehr zu arbeiten. Doch dann werde er so ein Dauerstudent, der mit dreißig noch auf der Uni sitzen muss. "Jedem Anwaltssohn tut's nicht weh, wenn die Eltern zwei Jahre länger zahlen müssen", sagt er enttäuscht.
Dass die Proteste tatsächlich ein Einlenken bringen werden, daran glaubt Daniel nicht. Warum er dann trotzdem auf der Straße ist? Weil man von seinem demokratischen Recht Gebrauch machen müsse. Und in Apathie zu verfallen, das wäre das Schlimmste.
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Auch in Wien wurde demonstriert
"Fay, Mann! Ich will noch nicht gehen! Ich will mich noch ein bisschen bilden"*
Die Gründe, auf der Wiener Ringstraße zu demonstrieren, werden in letzter Zeit mehr: StudentInnen und Rektoren protestierten vergangene Woche gegen die desolate finanzielle Situation an den Universitäten, SchülerInnen demonstrierten gegen die Abschiebung der 14-jährigen Araksya und heute war es gegen die geplante Kürzung des Familiengeldes. Doch dieses Mal wird der Protest von einer breiteren Öffentlichkeit getragen, als nur von den Jugendlichen und Studierenden – der ÖGB, die Plattform der Alleinerziehenden, die Grünen, SJ, SOS Mitmensch,... aber auch die VP-nahe Aktionsgemeinschaft äußert Kritik an den unsozialen Sparmaßnahmen. Mehrere tausend Menschen (die Polizei spricht laut APA von 5000, die ÖH von 30 000 Teilnehmern) marschierten friedlich von der Hauptuniversität zur Abschlusskundgebung vor dem zuständigen Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend. (Daniela Derntl)
* Einer der zahlreichen Demo-Slogans