Erstellt am: 27. 10. 2010 - 19:08 Uhr
Verspätete Abwehrmaßnahmen.
Dieser Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung, die FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch, den 27. Oktober.
Thema diesmal: Warum es erst das als Budget getarnte Belastungs-Paket, das die sozial Schwächeren über Gebühr schröpft und vor allem den prekär beschäftigten Jungen bzw. Studierenden die extralange Nase zeigt, gebraucht hat, damit sie bzw. ihre Vertretungen begreifen, dass die österreichische Politik sie seit Jahren drangsaliert wie ein Schulhof-Bully.
Auch der Club 2 beschäftigt sich am Mittwoch abend (ab 23 Uhr, ORF 2), mit der Verteilungs-Gerechtigkeit des Budgets.
Das ist die Kurzversion für Dummies:
Total überraschend: Die Sparmaßnahmen im zu spät abgelieferten Budget treffen wen? Familien, die sozial Schwachen, die Studis. Also allesamt Bevölkerungs-Gruppen, die keine Lobby haben, vor denen die Regierung Federn hat.
Denn vor allem die Jungen haben sich in den letzten Jahren ja in ihr Schicksal (keine Rolle spielen!) ergeben, apathisch, wurschtig.
Jetzt reicht’s aber vielen – auch weil das Budget alle Jungen trifft, Arbeitslose wie Prekäre, wie Mitversicherte wie Studis.
Man könne doch zur Sanierung des Landes verlangen, dass sich die 24- und 25-Jährigen auf eigene Beine stellen, sagt der Finanzminister – und bietet dafür genau nichts an: Unis am Rande des Abgrunds, keine Jobs, nur Praktika - wie ja auch bei ihm im Ministerium, die Superpraktikantin, remember?, Ausbeutung vorbildhaft durchgeführt.
Warum die Jungen allen so wurscht sind? Sie sind zahlenmäßig klein, die schlecht ausgebildeten Abgehängten eh an die FPÖ verloren und die, die noch mitdenken, müssen sich mit dem begnügen, was halt da ist. Bedeutung hat das keine – die Pensionisten, die Wirtschaft, die sind wichtiger. Gfickt für immer, wie der Dichter sagt.
Die #unibrennt-Bewegung hat viel davon schon angesprochen – was die Politik aber nicht gehört oder verstanden hat.
Und jetzt ist erstmals seit ewig so was wie ein übergreifender Konsens der U30 möglich; weil erstmals nämlich alle in die Ecke gedrängt werden. Denn das einzige, was gegen den Schulhof-Rowdy hilft ist: Zusammenschluss.
Jetzt mit diesem Maßnahmen-Paket könnte der Punkt erreicht sein, der das ermöglicht. Oder, anders formuliert: wenn jetzt nicht, wann denn? Sich gegen die Dialog-Verweigerer und Zukunfts-Verkleisterer zusammentun als einzige Option gegen Prügel-Beziehen und verarscht werden quasi.
Der Vorlauf war ja enorm. Die Regierung hatte die Budget-Bekanntgabe (widerrechtlich, sagen Experten) endlos verzögert, um das Thema (Einschränkungen, Sparen, Belastungen) bei den Wahlen in der Steiermark und Wien auszusparen.
Ein echter Knieschuss, wie sich gezeigt hatte - man war gezwungen, dem Themensetzer der virtuellen Probleme "Ausländer" und "Sicherheit" zu folgen, ohne imstande zu sein, eigene Issues zu präsentieren. Eine strategische Bankrotterklärung.
Die Budgetbelastungen mitten im tristen Herbstwetter zu platzieren, wo eh alle depressiv in den Seilen hängen, war ein an sich cleverer Plan.
Nur: Die diversen Interessensvertretungen hatten aufgrund der langwierigen Versteckspiels natürlich bereits durchgesickerte Informationen aufgefangen und waren recht gut darauf vorbereitet.
Und die österreichische Regierung sieht sich mit einer Protest-Welle konfrontiert, die sie in dieser Form und Wucht durchaus überrascht; dass auch diese Überraschung eine Folge strategischer Fehlplanung ist, muss ich nicht extra erwähnen.
Sonst sind es die diesmal ruhiggestellten "Gewinner" (die Länder, die Besserverdiener, die Landwirte, die Wirtschaft, die Pensionisten), die am meisten Radau schlagen (die "Wirtschaft" ließ es sich nicht nehmen, im Vorfeld der Budgetverkündung Imagespots zu schalten, die potentielle Belastungen als Bedrohung des Standorts ausmalten, nicht ohne subtile, an Erpressung gemahnende Untertöne in der Wortwahl) - diesmal macht, was die Mächtigen total verblüffte, vor allem eine Bevölkerungs-Gruppe Lärm, die sich die letzten Monate und Jahre apathisch und wehrlos in ihr Schicksal ergeben hatte.
Die Jungen wehren sich.
Erstmals seit langem. Was da dieser Tage an parteiübergreifenden Protest-Aktionen, -Maßnahmen, -Noten herumflatterte, hat es jahrelang nicht mehr gegeben.
Die Jungen, vor allem die in der kritischen Alterskohorte der Anfang 20jährigen, die zwischen Ausbildung und Beruf oder gar Familiengründung stecken, in zumeist prekären Verhältnissen, deren Ideale und Kreativität ausgesaugt und verbraucht werden ohne das abzugleichen (denn die diversen Zeugnisse haben den Wert von Staatsanleihen aus den späten 1920ern; sie sind das Papier auf dem sie gedruckt wurden, nicht wert), gehören zu denen, auf deren Rücken das Paket über Gebühr geschnallt wird.
Das läuft über Familienbeihilfs-Beschränkung, Wegfall von Mitversicherungs-Möglichkeiten, das Imstichlassen von jungen Arbeitssuchenden und einem perfiden Nullsummenspiel was Bildungs- und Uni-Ausgaben betrifft.
Das alles erfolgt bewusst; in voller Absicht.
Zitat Finanzminister Josef Pröll (in der Presse: "Man kann doch zur Sanierung des Landes verlangen, dass sich die 24- und 25-Jährigen auf eigene Beine stellen." Studenten sollten mit 24 doch "den ersten 'Studiumsschritt' finalisiert haben".
Eh.
Kann man verlangen.
Wenn man brauchbare Bedingungen an den Unis anbietet.
Und wenn der Wahnsinn, dass "echte" Jobs, wenn überhaupt, dann erst so ab 30 angeboten werden, nicht mehr gefördert wird.
Nur: Maßnahmen in diesen Bereichen gibt es keine. Die Unis brennen weiter, und zwar innendrin, im Stadium der Verfalls. Und die schwachsinnige Praktikums-Mania wird imageträchtig gefördert - etwa auch vom Finanzminister selber, mit seinem unfassbaren Reinfall mit der Superpraktikantin.
Nun haben die Sozial Schwachen, die für Krankheiten anfälliger, von Stützungen der Familien abhängiger, die Zuschüsse zur Bildung und Ausbildung dringender brauchen als alle anderen, keine Vertretung, keine Lobby. Sie sind vom Goodwill der Politik, konkret dem der Parteien abhängig.
Dasselbe gilt für die Jungen. Sie sind zudem mengenmäßig so unwichtig, so wenig wahlentscheidend, dass es kein Problem ist sie links liegen zu lassen.
Sie sind sowas von egal, schlimmer gehts nicht.
Die Schnittmenge dieser beiden Gruppen, die schlecht ausgebildeten Jungen, die bereits mit dem Gefühl des Abgehängtseins in die Welt treten, kann sich nur mit Protestwählen behelfen - fällt also (mittlerweile quasi automatisch) an die FPÖ.
Die besser ausgebildeten, aber trotzdem mit zunehmender Chancenlosigkeit konfrontierten Jungen, werden das, aus Gründen ihrer politischen Bildung, nur vereinzelt tun - ihnen bleibt also nur die Wahl zwischen SP, VP und Grün, meist geht das nach der familiären Sozialisierung. Da fallen etwa drei gleich große Teile an.
Und das genügt den Regierungs-Parteien völlig; die quasi automatisch abgecashten Jungen sind nur eine Zuwaag' zum wirklich wichtigen Wähler-Potential, zu den Alten, dem sogenannten Mittelstand; und auch ökonomisch nicht von Belang wie Industrie/Wirtschaft, Agrarbereich/Tourismus etc.
Also: wurscht, völlig.
Diese "Gfickt für immer"-Stimmung hat sich auch im Inneren dieser hoffnungslos von Entscheidungs- und Einfluss-Mechanismen ferngehaltenen Generation der bis etwa 28jährigen bereits ausgebreitet wie ein Geschwür. Ich hab im Vorjahr einen angriffigen Schwerpunkt dazu publiziert - der unter anderen auch den Sinn hatte die allzu umfangreiche Apathie ein wenig zu durchbrechen.
Dann kam mit der #unibrennt-Bewegung ein punktueller Aufstand gegen Ungerechtigkeit und Vernachlässigung (wäre die Republik Österreich eine Familie, hätten die Psychologen da den größtmöglichen Alarmzustand ausgelöst; da man von politischer Seite dachte, die nörgelnden Studierenden mit den üblichen Diffamierungsmaßnahmen auszubremsen, gab es nie einen seriösen Willen zum Dialog - auch als die alten Tricks scheiterten, weil sich unibrennt mit neuen Tricks bekanntmachte).
Und jetzt dräut erstmals seit ewig so etwas wie ein übergreifender gesellschaftlicher Konsens der U30 herauf.
Außerdem geht der nur vordergründig seltsam anmutende und eigentlich zutiefst logische Schulterschluss zwischen Studierenden und Lehrenden (die gesellschaftlich beide in gleicher Weise bedroht und bedrängt sind und werden) weiter.
Weil sich mittlerweile nämlich alle unter 30 als abgehängt betrachten können. Die ängstlichen Bildungsfernen sowieso, die jungen Bildungsaffinen aus dem Mittlelstand sind es seit genau jetzt - und auch die jugendliche Bildungs-Elite bekommt nichts geliefert, was sie international mithalten lassen kann.
Wenn für alle nichts geht; wenn sich der politische Gestaltungswille so deutlich gegen alles, was jung ist, ausspricht, wenn einer ganzen Bevölkerungs-Gruppe, einer gesamten Altersklasse, ganz ohne soziale Unterschiede so klar wie nie zuvor gezeigt wird, welche Bedeutung sie hat, in Gegenwart und Zukunft (keine nämlich), dann baut man sich, ohne Not wie alle Experten meinen, eine überflüssige Front auf, züchtet sich einen Gegner, der aktuell nicht viel ausrichten wird, aber künftig ausgesprochen unangenehm werden kann.
Dieser Text ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 27.10., der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.
Phone-In Möglichkeit unter 0800- 226 996; von außerhalb Österreichs unter 43-1-503 63 18.
Lines open ab Mitternacht, wie immer erst nach der Kurzversion für Dummies.
Musik zum Thema: Gfickt für immer, die Apathie-Ballade der Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune.
Das ist die Perspektive der "Budgetsanierung", die die Regierung dieser Tage auf den Tisch gelegt hat. Und: von den strategischen Fehlern im Vorfeld war bereits die Rede.
Was die diversen Vertreter der massiv in die Enge gedrängten Jungen betrifft: gegen den Schulhof-Bully hilft, das ist ein leidiger Fakt, nur eines - ein solidarischer Zusammenschluss.
Ob die Erfahrungen aus dem Uni-Protest, die Unverfrorenheit der politischen Maßnahmen und ihre Verweigerung des Dialogs mit der Jugend ausreichen werden um dieses mühselige Unterfangen anzugehen, wird sich zeigen.
Die Alternative dazu ist klar: sich wehrlos zusammenschlagen lassen und dann drüber jammern.
The day after
Schau an, eine der Maßnahmen ist auch schon zurückgenommen: die Kürzung der Familienbeihilfe gilt nicht für Studienbeihilfe-Bezieher. Den Erfolg kann sich Bildungsministerin Karl auf die Fahnen schreiben, sie habe das beim Finanzminister durchgesetzt.
Das hatte Karl-Büroleiters Elmar Pichl bei der Diskussion nach der #unibrennt-Filmpremiere schon angedeutet; ein Schelm wer dabei an ein bereits vorher abgekartetes Spiel denkt, in dem eine Ressort-Chefin halt gut aussehen soll.