Erstellt am: 8. 10. 2010 - 12:47 Uhr
Zur Abschiebung der Familie Komani
Wenn ein marschierender Soldat zurückfällt, weil die blutenden Blasen auf seinen Füßen zu stark schmerzen, sprechen Ausbilder von einem "Einzelschicksal". Wichtig ist, dass die Kompanie vorwärts kommt. Mit ihren zerschundenen Füßen werden sie schon fertigwerden, Rekrut. Aufschließen! Die grausame Sprache im System Bundesheer ist normal. Gerald Votava hat mir über seine Zeit dort einmal erzählt, mit welchen Worten der Spieß ihn ins Wochenende entließ: "Fahren sie vorsichtig nach Hause. Das Heer braucht Ausbildungsmaterial."
Einzelschicksale sind Technokraten zuwider. Einzelschicksale zeigen die Fehler der Regeln und das menschliche Versagen jener, die sie beschlossen haben. Wenn Fälle wie die Abschiebung der Familie Komani dem Recht entsprechen, dann ist das Recht grausam.
Familie Komani war seit 2004 in Österreich. Vater, Mutter und die beiden acht Jahre alten Zwillingstöchter sprechen Deutsch und waren gut integriert. Der Asylantrag der Familie wurde nach jahrelangem Verfahren abgelehnt. Dann hat die Familie kein humanitäres Bleiberecht erhalten, weil sie formal nicht zu den "Altfällen" zählt. Dafür hätten die Kosovaren vor Mai 2004 einreisen müssen, laut Purple Sheep sind sie aber seit September 2004 hier.
APA/HANS KLAUS TECHT
"Wir leben in Angst."
Seit 1. Jänner haben Asylwerber weniger Rechte. Doch auch der Widerstand gegen Abschiebungen steigt.
- Ein Rückblick auf die rechtliche, gesellschaftliche und politische Odyssee der Familie Zogaj (Claus Pirschner)
- Aufstand der Anständigen: Robert Misik im Interview
- Justice and the asylum debate (John Cummins)
- "Keine Frage von Gut oder Böse" - Maria Fekter im Interview mit Irmi Wutscher
"Ich gehe rechtsstaatlich und korrekt vor", sagte Innenministerin Fekter gestern im Ö1-Interview. "Ich kann zu Einzelfällen keine Aussagen treffen. Das hat der Asylgerichtshof so entschieden." Im selben Gespräch beklagt sich die Ministerin über "Asyl-Betreuungsorganisationen, die Betroffene mitunter in Geiselhaft nehmen, um medial etwas zu inszenieren".
Das ist eine der zynischsten Aussagen, die ich je von einer Politikerin in Österreich gehört habe.
Bis an die Zähne bewaffnete Polizisten haben am Mittwoch zwei achtjährige Kinder in Schubhaft genommen. Auf Videoaufnahmen des Vorgangs ist zu sehen, wie der Einsatzleiter die schriftliche Vertretungsvollmacht der Rechtsberaterin für die Familie nicht annimmt. Den Kindern wurde nicht erlaubt, ihre Spielsachen einzupacken. Polizisten machten sich vor den Kindern über den Spitalsaufenthalt der Mutter lustig.
Im Freunde Schützen Haus bringt Purple Sheep gut integrierte, unbescholtene Asylwerber-Familien unter, wenn diese kurz vor der Abschiebung stehen. Zur Verfügung gestellt wird das Haus vom Immobilientreuhänder Hans Jörg Ulreich, der Anfang des Jahres auch Gründer der Initiative "Fußball Verbindet" war.
Damals musste Ulreich zusehen, wie die Polizei den Freund und Teamkollegen seines Sohnes samt Familie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Muthmannsdorf abholte. Der neunjährige Sohn Ulreichs fragte am nächsten Tag: "Papa, holen die mich jetzt auch?" Der Fußballtrainer der beiden Buben erhielt einen Anruf: "Trainer, ich kann heute nicht kommen. Ich muss ins Gefängnis. Dabei hab ich gar nichts gemacht."
Die gut integrierte Familie hatte fast die ganze Dorfgemeinschaft hinter sich, wurde aber trotzdem abgeschoben. Fußballtrainer, Lehrer und Freunde der Familie waren fassungslos und gründeten die Initative
Fußball Verbindet, aus der später das Freunde Schützen Haus hervorging. Jenes Haus, aus dem am Mittwoch Familie Komani abgeholt wurde.
Fußball Verbindet
Wütend zeigt sich Hans Jörg Ulreich auch über die Lügen, die der Schubhaft der Familie Komani vorausgegangen waren. Die Fremdenpolizei akzeptierte vor dem Haustor zum Schein die Vertretungsvollmacht der Rechtsberaterin – im Gebäude wollten die Beamten davon nichts mehr wissen. Der Familie wurde nicht der tatsächliche Abschiebetermin genannt. "Die, die sich hinter dem Recht verstecken, lügen, betrügen und tricksen, dass es ein Graus ist", sagt Ulreich. "Ein Staat, der mit den Schwächsten der Schwachen so umgeht, für den schäme ich mich."
Rechtsberaterin Karin Klaric von Purple Sheep überlegt eine Anzeige gegen jenen Beamten der Fremdenpolizei, der den Einsatz am Mittwoch geleitet hat. Unter anderem hat er Klaric während der Inhaftierung von Vater und Kindern dazu aufgefordert, ihre Vertretungsvollmacht für die Familie an die Behörde zu faxen – anstatt sie vor Ort selbst zu akzeptieren. Auch als der Vater – vor laufender Kamera – Karin Klaric als seine Rechtsvertretung bezeichnete, ignorierte die Fremdenpolizei das.
Aus Sicht von Klaric wurde auch ignoriert, dass die psychisch beeinträchtigte Mutter im Spital aufgenommen worden war. Gescheitert sind auch die Bemühungen der Rechtsberaterin, mittels eines Attests über den Zustand der Mutter eine Aufschiebung zu erreichen. Jetzt sind Vater und Töchter im Kosovo, die Mutter ist noch im Spital in Wien.
APA/HANS KLAUS TECHT
Die Kinder -und Jugendanwältinnen verurteilen in einer gemeinsamen Erklärung "die unmenschliche, den Kinderrechten krass widersprechende Vorgangsweise". Sie fordern einmal mehr die Aufnahme der Kinderrechtskonvention in die Verfassung. Das "Netzwerk Kinderrechte" ortet "einen Widerspruch zwischen internationalen Kinderrechts-Standards und österreichischer Rechtslage und Praxis im Asyl - und Fremdenrecht ".
Scharfe Kritik an der neuerlichen Abschiebung von Kindern in den Kosovo übte gestern auch UN-Sonderbeauftragter Manfred Nowak. Das Fremdenrecht sei "menschenunwürdig und teils menschenrechtswidrig", sagte Nowak beim "Runden Tisch" des ORF am Donnerstag Abend. Er appellierte an die Politik, innezuhalten, nachzudenken und nicht ständig die Gesetze zu verschärfen, um xenophoben Politikern nach dem Mund zu reden. Und auch er verwies auf die Kinderrechtskonvention, laut der Interessen und Bedürfnisse von Kindern immer vorrangig zu berücksichtigen sind. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
"Es ist besorgniserregend, mit welcher übertriebenen Härte mittlerweile bei Abschiebungen vorgegangen wird", sagt Michael Chalupka, Direktor der Diakonie.
"Unverständnis über die Gesetzeslage" äußert Luitgard Derschmidt, Präsidentin der Katholischen Aktion: Das potenziell abmildernde Instrument eines "humanitären Bleiberechtes" werde sogar in solchen Fällen nicht angewendet, wo alle Umstände dafür sprächen.
Alle Umstände außer der Aufenthaltsdauer, um als "Altfall" zu gelten.