Erstellt am: 17. 9. 2010 - 15:01 Uhr
Mock'n'Roll
Previously in Phoenix' Universe; Zusammenfassung der Vorgeschichte: 2009 verstört Schauspieler Joaquin Phoenix mit einem Vollbart, wirren Talkshow-Auftritten und dem Wunsch, Rapper zu werden. Casey Affleck kündigt an, eine Doku namens "I'm still here" zu drehen, die sich um diese Phase in Phoenix's Leben dreht. Immer wieder bestätigt Affleck, dieser Film sei eine tatsächliche Doku, nichts sei gestellt. Bis gestern 16. September 2010
Trust your heart and Gwyneth Palthrow, hab ich mir in der Joaquin Phoenix goes Gaga-Causa gedacht. Gwynnie nämlich hat schon lange vermutet, dass das bizarre Verhalten von Joaquin Phoenix nur gespielt sei. Viele andere auch. (Einge aber nicht: Kritikerpapst Roger Ebert schrieb, "I'm still here" sei "sad and painful documentary that serves little useful purpose other than to pound another nail into the coffin". Und jetzt ist es also draußen, die Doku rund um das seltsame Verhalten des Oscarpreis- und Bartträgers Joaquin Phoenix ist reine Inszenierung. Und was für eine Inszenierung: Über ein Jahr lang hat der Schauspieler den Verschrobenen gegeben, einen denkwürdigen Auftritt bei Letterman hingelegt (rangiert ex aequo auf Platz 1 neben Helmut Bergers Besuch bei Harald Schmidt), und uns vor dem Latz geknallt, er würde die Schauspielerei an den Nagel hängen, um Rapper zu werden.
Joaquin Phoenix
Nun hat Casey Affleck, Regisseur der Mockumenatry formerly known as documentary "I'm still here" bekanntgegeben, dass das alles Hoax und Tollerei war. Alle, die das Rätseln um den Film und Phoenix verfolgt haben, hatten dabei großes Vergnügen. Wir wollen ja Rätsel. Und Geheimnisse. Dinge zum Spekulieren. Man taumelt gern durch eine verwirrende Grauzone, wo so viele Bereiche ohnehin viel zu grell beleuchtet und eindeutig scheinen. Und für Tinseltown, das dieser Tage ohnehin so aspetisch scheint, war so ein nichtkalkulierbarer Joaquin Phoenix mit quasi echtem falschen Bart, der Rätsel aufgibt, ganz gut.
Nicht vergessen darf man natürlich auch Orson Welles und seine Aufführung von "War of the Worlds". Wo man aber inzwischen schon wieder die Geschichten um die ausgelöste Hysterie als große Übertreibung abtut.
Faszinosum Lüge
Und nichts geht medial besser weg, als Geschichten von groß inszenierten Schwindeln oder aufgeflogenen Lügen. Natürlich wird man als Medienkonsument nicht gern angelogen, die Geschichten über das Zusammenbrechen von Lügenkartenhäusern schmecken dann umso besser. Hegemann, die "Abschreiberin", Tom Kummer und Ingo Mocek, die Interview-Erfinder, Christian Stangl, der Gipfelfoto-Pinocchio. Silibil 'n' Brains. Die Liste ist unendlich. Mein erster wahrgenommer Medienschwindel ereignete sich 1988, als in "Wetten, Dass", Titanic-Redakteur Bernd Fritz behauptete, Farbstifte am Geschmack zu erkennnen. Noch in der Sendung gibt Fritz zu, gemogelt zu haben, er konnte unter der Brille durchlinsen. Ich war begeistert. Das Vertrauen ins Fernsehen war weg, aber ich hatte es eingetauscht gegen die viel faszinierende Einsicht, dass die Inszenierung, der Schwindel, weitaus interessanter sind als das "echte". Und dass man generell man lieber nichts glaubt, was man im Fernsehen sieht.
They Are Going to Kill Us Productions
Spinal Tap und Spinal Depp
Die Inszenierung rund um eine mockumentary ist natürlich nicht mit einer Lüge gleichzusetzen, aber die Aufregung rund um die marketinggeschwängerten Unwahrheiten ist die gleiche, wenn man zu den Angeschmähten gehört. Selten geht man einer mockumentary so richtig auf den Leim, dass man Picken bleibt. Bei "This is Spinal Tap" bleibt Liam Gallagher der einzige verbürgte Erdenbürger, der den Film und somit die fiktive Band für wahre Münze nahm. Bruder Noel hat ihm dann "Das Christkind gibts nicht"-gleich die Illusion geraubt und die Lust auf nochmaliges "Spinal Tap" schauen auch.
Als die Vorzeige-Mockumentary "Blair Witch Project" verstörte und Grenzen zwischen Wahrheit und Inszenierung zu verwischen wusste, war, bis der Film bei uns in die Kinos kam, die Enthüllung schon geschehen. Die rumliegenden Steckerl im Wald und Heathers berühmte Rotzblase der Todesangst - alles inszeniert und gut gespielt.
Meine Lieblings-Mockumentary ist immer noch "Kubrick, Nixon und der Mann im Mond", in der die Geschichte von der von Kubrick inszenierten Mondlandung der Amerikaner erzählt wird. Geschickt und raffiniert erzählt "Operation lune", wie sie im Original heißt - von medialen Manipulationen, um sich am Ende selbst als eine solche zu entblößen.
Gonzo filmmaking
- Trailer zu "I'm still here"
- Willkommen an der "Curb Your Enthusiasm"-Schmerzgrenze: Phoenix trifft auf P.Diddy
Am 16. September 2010 enthüllt Casey Affleck in der New York Times sein Konstrukt rund um seinen Schwager Joaquin Phoenix als Inszenierung: "It’s a terrific performance, it’s the performance of his career”, so Affleck und weiter “I never intended to trick anybody,” said Mr. Affleck, an intense 35-year-old who spoke over a meat-free, cheese-free vegetable sandwich (...). (US-Journalismus, I love thee).
Ich will "I'm still here" natürlich trotzdem oder gerade deswegen sehen (Bart! Plakat!). Und weil ich Joaquin Phoenix' Konsequenz, die Öffentlichkeit über einen langen Zeitrahmen zu narren, irgendwie bewundere. Peter Sellers, der großartige Schauspieler und schwierige Ungustl hätte sicherlich seine Freude an dieser Aktion gehabt. Der ging während der Dreharbeiten zu "Dr. Strangelove" mit seiner Mutter essen. Ohne aus Kostüm und Rolle zu schlüpfen. Gefragt, wie es ihrem Sohn gehe, meinte Mutter Sellers nach diesem Treffen, sie habe keine Ahnung, sie habe ihn nicht gesehen. Ähnlich reagierte auch Letterman auf Phoenix' Besuch in seiner Show. "I'm sorry Joaquin could not be here".
Jetzt haben wir ihn dann wohl wieder. Bienvenue, Joaquin. Und in echt hat uns ja der Name der Filmproduktionsfirma schon lange auf die Schmähtandelei hingewiesen: "I'm still here" wurde produziert von "They Are Going to Kill Us Productions".
P.S. Wie man heute im Hollywood Reporter nachlesen kann, war David Letterman ebenfalls eingeweiht und macht verwirrte Mine zu Phoenix' Spiel.