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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

24. 2. 2010 - 18:36

Hollywood fights Paradise

Das Hollywood Megaplex klagt das St. Pöltener Cinema Paradiso wegen Wettbewerbsverzerrung.

Es ist wie bei David gegen Goliath: Goliath, ein Multiplex Kino mit 1777 Sitzplätzen, klagt gegen David, ein Kulturzentrum mit 178 Plätzen, auf Rückzahlung sämtlicher öffentlicher Fördergelder. Der Grund: das Cinema Paradiso betreibe unter dem Deckmantel des Art House Cinema ein ganz normales Kommerzkino.

Ingrid Hueber stammt aus einer Innsbrucker Cineastenfamilie. Schon ihr Vater hat dort ein Kino betrieben. In den Neunziger Jahren gründet Ingrid Hueber mit ihrem Mann die Firma Hollywood Megaplex und baut fünf Multiplexe in ganz Österreich, eines davon am Stadtrand St. Pöltens.

Nachdem die St. Pöltner Innenstadtkinos der Konkurrenz nicht mehr gewachsen waren und zusperren mussten, zog vor gut sieben Jahren das Cinema Paradiso in die Räume des ehemaligen C2 Kinos ein. Alexander Syllaba hat bereits vorher mit einem Open Air Kinofestival und einer Arthouse Reihe Programmkino nach St. Pölten gebracht. Das Cinema Paradiso ist heute ein Kulturzentrum mit Kino, Lesungen und Konzerten. Derzeit wird ein dritter Saal ausgebaut, schallisoliert für die Konzerte. Jetzt könnte das Projekt vor dem Aus stehen – die Klage bedroht das Cinema Paradiso in seiner Existenz.

Cinema Paradiso, Kino in St. Pölten

andrea berger

Worum geht’s?

Laut Ingrid Hueber, kassiert das Cinema Paradiso zu unrecht Fördergelder, weil es in Wirklichkeit gar kein Programmkino sei. Darum hat sie jetzt Klage beim Wiener Handelsgericht eingebracht – wegen unlauterem Wettbewerb.

Alexander Syllaba sagt, das Programm des Cinema Paradiso entspreche zu 98% dem der anderen Programmkinos in Österreich. Ingrid Hueber hingegen meint, das Cinema Paradiso spiele immer mehr Kommerzware, die das Megaplex auch spielt, und wenn das so weitergehe, dann werde aus dem Paradiso ein ganz normales Kommerzkino. Sie habe lange Rücksicht genommen, jetzt sei ihre Geduld am Ende. Das Programm überschneide sich deshalb mehr als früher, weil das Hollywood Megaplex immer mehr Filme programmiere, die eindeutige Programmkinoware seien, so Syllaba.

Bei den Überschneidungen geht es vor allem um erfolgreiche europäische Filme wie Keinohrhasen, aber auch um gehobene Hollywoodproduktionen wie "Up in the Air" und "Invictus". Diese Filme laufen in Wien, Linz oder Innsbruck im Megaplex in der deutschen Fassung, in Programmkinos in der Originalversion. Doch das, so Syllaba, ist in St. Pölten gar nicht möglich, dazu ist der Markt bei 50 000 Einwohnern einfach zu klein. Umgekehrt programmiert das Hollywood Megaplex seit einiger Zeit auch klassische Programmkinostreifen. Um dann dem Paradiso Konkurrenz vorwerfen zu können, wie Syllaba vermutet? Oder weil man jetzt keinen Grund mehr sehe, sich zurückzuhalten, wie Ingrid Hueber betont.

Szenenbild aus "Keinohrhasen"

Warner Bros

"Keinohrhasen"

Mit Kanonen auf Spatzen?

Fast dreißig Multiplex Kinos gibt es in Österreich insgesamt. Graz, Linz, Innsbruck und Salzburg haben je zwei; in und um Wien gibt es allein zwölf – eines hat in Wien bereits wieder zugesperrt.
Das Aufkommen der Multiplexe hat um die Jahrtausendwende zu einem Kinosterben in den Innenstädten geführt, die Besucherzahlen sind aber um ein Fünftel gestiegen. Zwei Drittel der Kinobesucher gehen allein in Häuser der größten Kette Cineplexx. Cineplexx betreibt 19 Multiplexe in Österreich, Hollywood Megaplex fünf, UCI drei.

Ingrid Hueber beteuert, dass es ihr keineswegs darum gehe, sich einen lästigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Allerdings geht sie mit ihrer Klage aufs Ganze: sie fordert die Rückzahlung sämtlicher bisher erhaltenen Fördergelder und ein Verbot der Annahme von weiteren Fördergeldern. Das will sie bereits mit einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Geht das durch, wäre das Cinema Paradiso von einem Tag auf den anderen am Ende.

Was genau sie unter kommerziellen Filmen versteht, definiert Hueber nicht. Denn natürlich müssen auch Arthouse Kinos kommerziell erfolgreiche Fime spielen dürfen (um ihre Kosten decken zu können). Die Richtlinien von Europa Cinemas sehen hier kein Verbot kommerziell erfolgreicher Filme vor, und auch die Fördergeber betonen, dass der kommerzielle Erfolg eines Filmes kein primäres Kriterium ist, ob er in einem geförderten Kino gezeigt werden kann. Bei den langen Vorlaufzeiten für die Programmierung wäre das auch gar nicht möglich – wie geht man mit einem europäischen Überraschungserfolg wie Keinohrhasen um, wenn er mehr Publikum zieht als erwartet? Und: warum sollte ein Kino Fördermittel zurückzahlen, wenn es mit anspruchsvollen, heimischen und europäischen Produktionen viele Menschen erreicht?

Das Ende eines Programmkinos?

Ein Blick aufs Programm zeigt, dass das Cinema Paradiso selbstverständlich kein Kommerzkino ist. Es ist Mitglied bei Europa Cinemas, dem europäischen Arthouse-Kino-Verband. Im Jahr 2006 hat es den Europa Cinemas Award in der Kategorie "Initiativen für ein junges Publikum" erhalten. Dass das Cinema Paradiso den Einschätzungen für ein Programmkino entspricht, das bestätigen auch die Fördergeber vom Bundesministerium und vom Land Niederösterreich. Das Kriterium für Förderungswürdigkeit, so sagen sie, seien auch weniger einzelne Filme, als vielmehr ein Gesamtpaket, das Film eben nicht als kommerzielles Produkt, sondern als Kulturgut und Kunstwerk anbietet und behandelt. Und letztlich geht es auch um Standortfaktoren: Programmkinos halten Innenstädte am Leben, denn die Plexe locken ihr Publikum meistens an den Stadtrand oder in Einkaufszentren.

Letztlich geht es bei dem Prozess um die Abgrenzung von – legaler – öffentlicher Kulturföderung und – nicht legalen – staatlichen Wirtschaftsbeihilfen. Diese Frage ist eigentlich bereits auf europäischer Ebene ausjudiziert: Kultur gilt in der EU eben nicht ausschließlich als Handelsware. Will das Gericht das anders sehen, könnte das Folgen weit über das Cinema Paradiso hinaus haben: dann geht es – ob das die Beteiligten wollen oder nicht – um die Existenz von Programmkinos überhaupt, und in weiterer Folge um die gesamte geförderte Kultur.
Ob das Cinema Paradiso einen Gang durch sämtliche Instanzen überhaupt schultern kann, ist nicht klar. Der Prozess könnte, fürchtet Alexander Syllaba, das Ende des Kulturzentrums sein - auch wenn man den Prozess gewinnt.

Programmkinos und Multiplexe

Andreas Ungerböck, Herausgeber des Filmmagazins ray, zur Kinolandschaft in Österreich:

Kinolandschaft Ungerboeck