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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 12. 2009 - 21:42

Journal '09: 29.12.

Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts, Teil 6. Heute: Blog as blog can.

Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts. Eine Serie zu den ausrinnenden Nullern.

Teil 1. Die messianische Erscheinung von Tricky.

Teil 2: New York Stories.

Teil 3: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.

Teil 4: Das beste Konzert aller Zeiten

Teil 5: Die Zukunft der Musik..

Teil 6: Blog as blog can.

Teil 7: So Berlin.

Teil 8: Vom Medienwandel und der g'fickten Jugend bis zum Joker Audimaxismus.

"Was ist das Markanteste an diesem Jahrzehnt gewesen, für dich persönlich jetzt?" fragt Mathias Zsutty, als wir rumstehen bei dieser Verlags-Party, die wie ein Empfang wirkt. Wenn Zsutty sowas fragt, dann will er nicht nur andere Meinungen hören, er hat meistens eine These, die er dann verschenkt wie Mütter Weihnachtskekse.

Diesmal ging die etwa so: es würden zwar alle von einem eher gesichtslosen Jahrzehnt sprechen, in dem zwar einiges passiert ist, sich aber eher wenig bewegt hat, wenn man dann aber ins Persönliche hineinfragen würde, käme die wahre Natur der Jahre 00-09 umso deutlicher zutage. Dass sich nämlich die Kommunikation so grundlegend gewandelt hat wie nie zuvor; und dass das so massiv in unser aller Leben eingegriffen hat, wie niemals etwas anderes.

Nun kann ich die Unterschiede zwischen den Mitt70ern und den End90ern im Gegensatz zu Jüngeren noch ausmachen und bewerten, aber es stimmt: im Vergleich zu dem, was sich seit 00 getan hat, ist das nichts.

Na und bei dir, sagt der Zsutty dann, hat sich das alles auch noch massiv auf die Arbeit ausgewirkt, dieses Jahrzehnt im Netz.
Stimmt. Nicht nur bei mir.

Jahrzehnt im Netz

Und da geht es nicht nur um Abläufe, die im letzten Jahrtausend anderswo stattfanden, sondern auch um solche, die schlicht und ergreifend neu dazugekommen sind.
Handtelefon statt Festnetz oder ubiquitärer Netzzugang statt stationärer Besonderheit auf der einen, virtuelle Dating-Punkte und soziale Netze auf der anderen Seite. Dazu völlig neues Konsum-Verhalten, umgekrempeltes Medien-Verhalten.

Wenn ich das an einem "durchdringenden" Moment festmachen müßte, wie ich das unüberlegterweise dieser Reighe vorangestellt habe, dann könnten das ein paar sein; allesamt wären/sind sie aber der rein persönlichen Geschichte geschuldet.
Ich könnte den 1. Februar 00 anführen, an dem FM4 24/7 ging und ich Teil einer auf absurd-fremdelndem Digital-Terretorium westwärts ziehender virtueller Horde war, die zwar nicht wusste, was Community-Building bedeutete, es aber lebte. Ich könnte die Euro desselben Jahres anführen, bei der ich sowas wie eine Verschriftlichung jenseits klassischer Print-Usancen versucht habe oder den Start des Journal '03, mit dem täglichen Eintrag. Oder die erste, noch ganz unschuldige Erwähnung des Begriffs "Weblog" (der Falter nannte es "Tagebuch im Internet", das Profil Literatur) oder die erste zarte Wahrnehmung der Konkurrenz-Situation.

Gezielte Subjektivität

Ich würde mich mit mir wohl am ehesten auf den 24.8.05 einigen, als ich das, was ich zu diesem Zeitpunkt schon über Jahre hinweg gelebt hatte, erstmals auch offensiv nach außen trug. Ganz im Gegensatz zu dem, was man bis dato getan hat, als Jorunalist, als der man sich zu verstehen hatte. Die simple Feststellung, dass es so etwas wie Objektivität sowieso und die journalistische ohnehin nicht geben würde, und dass die Kommunkation im Netz gerade dafür geschaffen sei mit dem blöden Aufrechterhalten dieses Konstrukt aufzuhören und die neue Wahrheit, nämlich die Subjektivität zu leben und zu feiern, war etwas Unerhörtes.
Was natürlich mit dem Hinterwäldler-Status, den die Netzkultur abseits kleiner Szenedörfer im deutschsprachigen Raum und in Österreich im besonderen zusammenhängt.

Man merkt das recht gut anhand des Exit Polls einer nicht unbedingt als völlig neuerungsresistent bekannten Gruppe, der der FM4-User. Die halten nämlich die FM4-Site, unsereuni.at oder gar Facebook für ein Blog.

Nun ist das Journal (egal ob das von 03, 05, 07, 09 oder die Fußball-Journale 08, 09, die EM-Journale 00, 04, 08 oder die WM-Journale 02, 06 oder diverses anderes) im engeren und genaueren Definitions-Sinn auch kein Blog - es funktioniert aber zumindest so ähnlich (und weil es schon so lange da ist und als Impulsgeber nicht wegzudenken ist, akzeptiert das die entsprechende Szene auch).

Kommunikations-Kulturen

Mit anderen Worten: während große Teile der Welt (nicht nur die westliche, ich denke, dass auch die urbane Jugend im Iran da wesentlich fitter ist) die Begrifflichkeiten recht klar trennen kann (zumindest im Kopf oder als Rezipient) herrscht hierzulande erstaunliches Nicht-Wissen. Kein Wunder, wenn scheinbare Leitmedien wie der Falter oder der Standard ensprechende Kirchturm-Politik betreiben bzw erst heuer ins 21. Jahrhundert gefunden haben. Der Rest ist immer noch auf dem hier beschriebenen Level von damals. Und nimmt das, was keine Kolumne ist, immer noch als solche wahr, als wär man mittendrin in dieser Einschätzung von Ende 2005.

Damals habe ich im übrigen begonnen, die einzelnen Einträge zu Bögen zu verbinden, mit überfrachteten Thesen, Gedankenspielen und Vermutungen, die Kollegen narrisch gemacht haben - nicht so sehr inhaltlich, sondern weil das nicht sein durfte, dass man sowas macht, rein formal.

Heute machen es diese Kollegen und Freunde genauso. Weil sich, und da schließt sich der Kreis zur Zsutty-Frage von zu Beginn, die Kommunikations-Kultur eben auch in dieser Hinsicht ganz drastisch geändert hat. Wer etwas sagen will, kann das tun, demokratischer denn je, ohne sich jahrelang ranschleimen oder hochdienen zu müssen in herkömmlichen Medien-Strukturen. Deswegen hassen die den Blogismus auch so.

Verlust-Moment

Mein sentimentaler Moment neben all diesen durchaus wichtigen Vorwärtstreibern ist auch einer des Verlusts.
Ich habe 2002, nachdem ich anläßlich eines noch als WM-Logs benannten Prä-Journals mitbekommen habe, was möglich ist mit diesem neuen rohen noch zu behauendem Format, die Idee eines täglichen Eintrags zu etwa jenen Themen, die das Journal 03 dann hatte, entwickelt und habe sie demjenigen präsentiert, den ich am allergeignetesten hielt, draus was einzigartiges zu machen: dem damals schon sehr kranken Werner Geier.

War nicht das erstemal, dass ich (&andere) etwas (auch) für (und mit) Werner entwickelt hatten, wo er dann im letzten Moment absprang. Ursprünglich sollte er nämlich (abwechselnd mit mir) das Zimmerservice moderieren/gestalten; in der damaligen Idee durchaus popmusealer.

Der hatte sich aus dem Radio-Bereich (wegen seiner angegriffenen Stimme) zurückgezogen, war aber schriftlich noch hochaktiv; und unterfordert.
Wir haben eine Weile herumgemailt und Meinungen, Positionen ausgetauscht, eine Zeitlang sah es so aus, als würd er es probieren wollen, dann hat er abgesagt.
Ich halte das heute noch für einen unsagbaren Verlust. Werners geschliffener Stil wäre im neuen Medium des Blogs, in dem er sich noch weniger also sowieso an bestimmte Routinen hätte halten müssen, zu unglaublichem Glanz erstrahlt. Natürlich hätte er, der Pitzler, kein Tagebuch gemacht, aber zwei-, dreimal die Woche wäre ihm etwas aus der Tastatur geronnen, was uns staunen gemacht hätte. Und mit der Zeit, den Monaten und den Jahren wäre das, im allerbesten Sinn, radikaler und wegweisender geworden.

Ich bin's angegangen, weil er's nicht gemacht hat. Meine Stärken sind andere, entwickelt hat sich die Chose aber ähnlich - was in der Natur dieses Kommunikations-Tools liegt, die mein Leben tatsächlich verändert hat, durchaus radikal. Da hat der Zsutty mit seiner schlauen These einfach recht.