Erstellt am: 25. 12. 2009 - 22:45 Uhr
Journal '09: 25.12.
Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts. Eine Serie zu den ausrinnenden Nullern.
Teil 1. Die messianische Erscheinung von Tricky.
Teil 2: New York Stories.
Teil 3: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.
Teil 4: Das beste Konzert aller Zeiten
Teil 5: Die Zukunft der Musik..
Teil 6: Blog as blog can.
Teil 7: So Berlin.
Teil 8: Vom Medienwandel und der g'fickten Jugend bis zum Joker Audimaxismus.
Von wegen man weiß sein Leben lang, wo man genau war, als etwas Unerhörtes, tatsächlich Weltbewegendes geschah.
Ich hatte nur noch eine Ahnung, einen Schatten einer Ahnung. Mir ist die Auffrischung gelungen, weil ich's aufgeschrieben habe, in fast lakonischer Detail-Treue. Das hat wohl auch mit einem Satz zu tun, den ich mittendrin finde: "Hard facts only. Alles andere ist nur fahrlässiger Blödsinn."
Im Nachhall ist 9/11 nämlich genau davon aufgebläht. Von den Spekulationen. Als ob das an diesem Tag, während dieses übers TV ausgespuckten Ereignisses Thema gewesen wäre. Am 11. September 01 ging es nur um das Geschehene. Um den Umgang mit dem Unmöglichen, um die Ohrfeige, die der arroganten nord/west-zentrierten Gesellschaft verpasst worden war.
Die Implikationen, die das alles nach sich zog, die politischen, die gesellschaftlichen, die kulturellen, aber auch die erst nachher erfundenenen, die einen neuen Begriff von Sicherheit hervorbrachten, die kamen erst Tage, Wochen später.
Komischerweise ist das, was mir am ersten Tag eingeschossen ist, also die direkte, die Bauch-Reaktion, letztlich immer die stärkste geblieben. Ich war persönlich beleidigt: "Irgendwie nehm ich das ganze als bizarre Gemeinheit wahr, die mir mein Bild, meine Erinnerung von meinem New York zerstört; als ob es eine Kunstaktion wäre."
9/11
Ich hab das scheinbar nie akzeptiert.
Ich träume oft von New York. Und zwar immer gleich, vor 9/11 ebenso wie danach, vor meinem jüngsten Besuch gleichso wie gerade jetzt. Es sind immer sehr banale Spaziergänge durch die Straßen Manhattans, es ist immer Tag und ich sehe meist nach oben und nach vorne. Es ist ein positiver Traum, eine Erfrischung, ganz ohne Überraschungs-Effekte, ich weiß, was kommt, wenn er beginnt, das ist quasi die Erholungsstrecke.
Seit ich New York, besser: Manhattan, nach einer recht bizarren Mischung aus Familienausflug, Messebesuch, Erkenntnisgewinnsuche und purer Abhängerei kenne und offenbar als echte Freundin in mein Unterbewusstsein reingelassen habe, kümmere ich mich, aus der Distanz. Sorge mich bei Bürgermeisterwahlen, lasse mir von Entwicklungen erzählen und von Schicksalen berichten.
Ich schau mir bei New-York-Filmen und Serien oft die Kulissen genauer an als die drin herumlaufenden Akteure. Es ist kein Zufall, dass ich mir mit Leuten wie Bob Dylan, Lou Reed oder Loudon Wainwright III immer wieder Erzähler gesucht habe, von denen ich mich auf dem Laufenden gehalten fühle (wobei Dylan da immer nur fürs Historische zuständig war), dass mich HipHop wohl auch deswegen fasziniert hat, weil er in den New Yorker Straßen entstanden ist, oder dass ich der New York Times fast schon grotesk kultische Verehrung entgegenbringe. Und da habe ich jetzt die ansässigen Filmer und Literaten noch gar nicht erwähnt.
Palin und Lehman
Nach 9/11 waren die USA besuchstechnisch vor allem aus einem Grund tabu: den grotesken Sicherheits-Paketen, denen ich mich nicht zu unterwerfen gedachte. Und natürlich der Düsternis, die die Bush-Jahre über den Kontinent, und in der Folge auch über die Welt warfen.
Deswegen dauerte es dann auch bis 2008, eh ich wieder drüben war, erstmals post-9/11 - auch wegen der wieder zurückgeschraubten Immigration-Sinnlosigkeiten.
Wie es der Zufall so wollte (es hatte mit einem Länderspiel-Mittwoch zu tun, den ich noch abwarten/sehen wollte) war der Hinflugtermin der 11.9. Und das Jahr an sich zog eine Wahlcampaign nach sich. Zu diesem Zeitpunkt drohte der konservative Kandidat (der alte McCain) noch einmal aus der Hoffnungslosigkeit hinter Obama zurückzukommen, weil plötzlich sein running mate Sarah Palin zum politischen Pin-Up wurde.
Und die Sicherheit, die mit der Gewissheit, dass es Change mit Obama bringen würde, war mit einem Schlag dahin. Palin war die Trumpfkarte, mit der ein konservatives Roll-Back eingeläutet hätte werden können. Das Momentum war auf ihrer Seite und es war körperlich zu spüren, selbst im liberalen New York.
Dann, am Montag, den 15.9. löste ein anderes Thema das Palin-Gebauchpinsle ab: eine Bank brach zusammen, und sofort waren nicht nur die Titelseiten, sondern auch die Lettermans/Lenos/O'Briens/Stewarts drauf, und erfüllten so die Rolle der Medien: nicht Halbthemen hinterherhüpfen, sondern ans Eingemachte gehen; sich nicht dem schönen Schein hingeben, sondern das Unangenehme thematisieren.
2001 vs. 2008
Aus dem Knall der explodierenden Weltwirtschaftskrise bin ich ausgeflogen wie Bruce Willis aus einem explodierenden Hangar, am letzten Drücker - aber sie ist hinterhergeflogen und herrscht bis heute, eher unbemerkt.
Dass sich hier ein Bogen schließt, war mir allerdings schon klar, als ich - wie im Traum - durch die Straßen Manhattans gegangen bin. Nach fast einem Jahrzehnt, das sich in einer Mixtur aus vernebeltem Fundamentalismus, eiskalter Abzocke und hysterischen Verschwörungs-Thesen übler als das zuvor Denkmögliche entwickelt hatte, bröselte die Basis nun einfach auseinander: von Neoliberalismus und auch dem Neo-Konservativismus blieb nur noch das Gerüst über, ihrer Umhänge entkleidet waren sie auf die pure Gewinnsucht reduziert, die ihren Motor ausmacht.
Das hat mit der Figur Obama oder einem tatsächlichen Wandel nichts zu schaffen: Jedem, mit dem ich gesprochen habe, war klar, dass die Heiland-Zuschreibungen eher von der Gegnerschaft aufgebaut würde, um jetzt schon einen Kater in den Tagen danach zu erzeugen. Es war aber auch allen klar (ähnlich wie hier knapp vor 89), dass sich nicht nur ein Administration-Term zu Ende neigt, sondern dass auch eine Ära zu Ende geht; dass lange Jahre der inhaltlichen Gebeugtheit, die sich hinter attakantem Geschwätz und einer Politik der hirnlosen Gesten versteckte, vorbei wären. Obama in Berlin ließ das spüren, ganz deutlich.
Bessermachen
Und jetzt, und während ich drin bin, macht New York den Sack zu, packt die Lehmans ein und beendet gleich ein paar Denkschulen. Ja, mit einer Krise, einer gewaltigen, aber einer Chance aufs Bessermachen.
Und ich nehm es wieder persönlich, wie schon 2001, wohl weil ich diese Stadt wie einen Menschen sehe.
Die Chance etwas diesmal besser anzulegen, ist fast schon wieder vertan, aber das laste ich mir an, und euch und allen. Nicht der Stadt. Ich träume auch weiterhin.