Erstellt am: 28. 12. 2009 - 21:55 Uhr
Journal '09: 28.12.
Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts. Eine Serie zu den ausrinnenden Nullern.
Teil 1. Die messianische Erscheinung von Tricky.
Teil 2: New York Stories.
Teil 3: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.
Teil 4: Das beste Konzert aller Zeiten
Teil 5: Die Zukunft der Musik..
Teil 6: Blog as blog can.
Teil 7: So Berlin.
Teil 8: Vom Medienwandel und der g'fickten Jugend bis zum Joker Audimaxismus.
Es war eigentlich nur eine Branchenmeldung, die es nicht einmal auf alle Wirtschaftsseiten geschafft hatte: am 3. September 2003 gab Universal USA bekannt die Preise für CDs mit Beginn Oktober radikal zu senken, sie mit umgerechnet etwa 12 Euro auch für die jüngeren Märkte zugänglicher zu machen, also von der bis dahin gepflogenen Hochpreis-Politik abzurücken. Einen Tag später meldete FM4-Reality Check die Reaktion aus Europa: man werde da, sagte der österreichische Vertreter, nicht mitmachen.
Interessant wird dieser Moment erst im nachhinein.
Zum einen, weil die heimische Musik-Branche, und zwar Major Labels und Indies erstmals mit einer Zunge sprechen (was viel mit dem Amtsantritt von Hannes Eder als Universal-Chef im selben Jahr zu tun hat); und zum anderen, weil sich im Reaktions-Muster auf diese Meldung die vielen Denkfehler zeigen, die den Niedergang einer ehemals machtvollen Industrie nachvollziehbar machen.
2003 war Napster, die erste Musiktauschbörse zwar schon (de facto) geschlossen worden, aber die Büchse der Pandora war geöffnet: Musik war vogelfrei, und alle Versuche alte Geschäftsmodelle zu bewahren, Zustände einzufrieren oder gesetzlich zu verankern waren zu diesem Zeitpunkt längst gescheitert.
Es war einmal eine machtvolle Musik-Branche...
Hier noch Widerspruch zu einem Irrtum aus dem Jahr 2005.
Die vor allem jugendliche Kundschaft wußte das, lediglich die Musik-Industrie selber wollte davon keine Notiz nehmen.
Das zeigt sich in den damaligen Reaktionen: die Indie-Labels rechneten vor, dass sie bei diesem Preisdruck die Opfer sein würden, weil sie einfach nicht so billig produzieren könnten. Und die Majors redeten sich auf EU-Richtlinien aus.
Man rechnete also herum.
Und rechnete damit, dass das Geschäft mit dem Tonträger so bleiben würde, wie in den Jahrzehnten davor.
Das ist absurd, das war schon am 4.9. klar.
Nachdem Musik früher von Mäzenen (Kirche, Fürsten, Großbürger) bezahlt oder dazu benutzt wurde die Konsumation zu steigern (vor allem zweiteres Modell funktioniert heute noch blendend) waren es Jahrhunderte lang Notenblätter, die sich verkauften, bis in die 20/30er hinein, wo sie dann systematisch von den neuen Tonträgern, Schellacks und dann Vinyl-Platten abgelöst wurden. Später kamen Audio-Casetten, professionelle Tapes, CDs und dutzende andere Spielarten dazu.
Und immer wurde gerippt und geklaut und kopiert; und immer passte sich das Musik-Geschäft an das an, was nachgefragt wurde: Formate wie die 4-Track-EP, die Single, das Album, die Maxi-Single, die Compilation uam waren die Folge.
... die meinte sie würde für immer fortbestehen...
Die digitale virtuelle und sofortige Verfügbarkeit löst die flüchtige Abfolge von Tönen, also Musik von einem Tonträger und bringt uns in die Zeit der Mäzene, des Live-Spielens und der Notenblätter (heute am ehesten: dem Merchandising) zurück.
Das aber war zb 2003 einfach noch kein Thema. Man dachte ernsthaft es wäre möglich die Möglichkeiten des technischen Fortschritts so zu beschränken, dass die Uhr irgendwie stehenbleibt.
Einzig mein damaliger Plattenhändler wusste was passieren würde: der Handel, besser alle Zwischenhändler werden ausgeschaltet. Zunächst einmal die Fach-Geschäfte, letztlich aber auch alle Labels, die sich nur als Abwickler verstehen, also keine echte Entwicklungs-Arbeit leisten - die Majors eben.
Seit 2003 hat sich eine Menge getan. Vor allem würde keine preispolitische Ankündigung whatsoever mehr Nachrichtenwert haben. Ebensowenig wie die das ganze Jahrzehnt über laufenden Verteufelungen des Unaufhaltsamen, des neuen Konsumverhaltens der Generation Gratis niemanden mehr interessieren.
Und zwar nicht nur deshalb weil Gejammer in Abwehrschlachten so unattraktiv ist; sondern vor allem auch deshalb, weil die verpasste Gelegenheit etwas aus einer Unausweichlichkeit zu machen (anstatt sie zu bekämpfen) nicht sexy ist.
...weshalb sie sich in Bewahrung und Abwehrkampf erging...
In Wahrheit war es damals wohl so, wie ich das (unabsichtlich) im letzten Satz meiner damaligen Geschichte geschrieben habe: "Die Zukunft der Musik-Branche beginnt hier." Nur dass sich niemand für diese Zukunft interessierte, sondern alles nur um die zu erhaltenden Werte aus der Vergangenheit herumgackerte.
Nicht dass ich das damals in vollem Umfang kapiert hätte oder gar Lösungen für diese mich immer so seltsam anfremdelnde Musik-Branche gehabt hätte.
Ich hab daraus nur insofern etwas gelernt, als ich die Zeichen der Zeit, die ein paar Jahre später den Rest der Medien-Branche, vor allem den Journalismus getroffen hat, wegen der deswegen besser justierten Brille schärfer gesehen habe. Dort wiederholt sich aktuell der Blödsinn, der schon einmal er/durchlebt wurde, samt dummdreisten Abwehrkämpfen, uneinsichtigen Verweigerungs-Posen und Kirchturm-Politik (danke an Toni Innauer für die öffentliche Verwendung dieses schönes Begriffs!) der Verantwortlichen.
Ich bin in Sachen Medien-Wandel vielleicht nur deshalb so forsch und biestig, weil ich (am Rande aber doch) mitbekommen habe, wie es sich anfühlt, wenn man in den letzten Minuten der Titanic die Realität verweigert.
...anstatt sich für die Zukunft der Musik fit zu machen.
Im übrigen wird 2009 immer noch Musik gehört, aber hallo. Viel mehr live und viel mehr in einzelnen Teilen, songweise aus den Netz, videoportioniert über Youtube, mit dem "Suchen und sofort finden wollen"-Motto.
Die Geschäftsmodelle haben sich von da nach dort verlagert: man greift Brosamen über den Verkauf ab, viel übers Live-Geschäft, einiges über Mäzene, egal ob Sponsoren oder Förderungen, über Tantiemen von wegen Airplay natürlich (auch eine Art indirekte Förderung) und man verkauft Notenblätter, pardon Merch-Ware. Wirklich gut leben können wie früher, wie immer nur die großen Stars, bei denen sich diese Summen läppern.
Viel hat sich nicht geändert - die Ausspielwege sind halt ganz andere. Die Zwischenhändler sind aufgerieben worden. Major Labels haben auch nur noch eine Chance, wenn sie sich den eben erwöhnten, verschlankten Struktren anpassen - außer bei ihren Big Sellern wird da mittlerweile ebenso kalkuliert wie bei den Indie-Labels; man hat sich angenähert.
Und der Handel, der ist - entsprechend dem Kauf-Verhalten - vom Fachgeschäft und vom Großmarkt ins Netz gerückt. ich habe das gemerkt als ich zu Weihnachten einen Klassiker, Nirvanas Nevermind, für meinen Vater kaufen wollte (der arbeitet sich gerade durch die Rock-Geschichte): in den zwei Special Interest-Shops, dem mittlerweile einzigen Großmarkt und den paar zufällig am Weg mitgenommenen Greißlern gab's die CD gar nicht.
Ich bin dann im ältesten noch existierenden Platten-Shop der Stadt fündig geworden, dem Audio-Center am Judenplatz, wo ich schon als Teenager in die Neuerscheinungen reingehört habe, die ich mir nicht leisten konnte.
Um 12 Euro übrigens.