Erstellt am: 27. 12. 2009 - 23:22 Uhr
Journal '09: 27.12.
Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts. Eine Serie zu den ausrinnenden Nullern.
Teil 1. Die messianische Erscheinung von Tricky.
Teil 2: New York Stories.
Teil 3: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.
Teil 4: Das beste Konzert aller Zeiten
Teil 5: Die Zukunft der Musik..
Teil 6: Blog as blog can.
Teil 7: So Berlin.
Teil 8: Vom Medienwandel und der g'fickten Jugend bis zum Joker Audimaxismus.
Es ist in diesem Jahrzehnt kein einziges Mal vorgekommen, dass ich nach (oder besser schon während) dem Durchhören eines Albums dieses Wahnsinn, da läuft gerade was Großes-Gefühl hatte. Nicht nur weil ich in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts wenige Alben gehört habe, und weil in der zweiten dann auch umso weniger relevante erschienen sind (weil das Album einfach nicht mehr die zentrale Ausdrucksform der populären Musik ist, sondern nur noch eine oft achtlos verwendete Maßeinheit, die die Länge des nachher folgenden Tour-Sets definiert), sondern auch, weil die wirkliche Emotion anderswo stattfand: live, auf der Bühne.
In den 70ern, 80ern, vielleicht auch noch den 90ern, war es teilweise unmöglich die Künstler, die man liebte wirklich live zu sehen, weil sie vergleichsweise selten daherkamen; je weniger Superstar desto seltener. An Österreich führten bis Mitte der 80er die Touren der relevanten neuen Acts ja vorbei.
Live overrules Recording
Das hat sich gedreht, massiv.
Heute ist "Live" die primäre Einnahmequelle, also auch der emotionale Angelpunkt.
Deswegen ist es wohl das Konzerterlebnis, das auch meine Alben-Jahrzehnte-Liste definiert hat.
Deswegen ist da Billy Corgans Projekt Zwan dabei. Die hatten zwar zwei gute Songs, aber es war das Konzert, das letzte der Bandgeschichte, dessen Zeuge ich wurde, das mich zum Jünger werden ließ.
Ähnliches gilt für Peaches, die White Stripes und vor allem auch die beknackten Mars Volta und auch die Strokes, deren erstes Konzert alle Szene-Fritzen bemüht Scheiße finden mussten, so grandios war es.
Ich habe zwei Listen für die besten Alben/Interpreten der 00er-Jahre abgegeben.
Die internationale:
Queens of the Stone Age (für Songs for the Deaf)
White Stripes (für Elephant und Seven Nation Army)
Babyshambles (für Fuck Forever und Down in Albion)
Radiohead (für Kid A und Amnesia)
Peaches (für Teaches of Peaches und Fatherfucker)
The Strokes (für This is it)
M.I.A. (für Paper Planes und Kala)
Mars Volta (für De-Loused in the Comatorium)
Arcade Fire (für Funeral)
Zwan (für Mary Star of the Sea)
Die rotweißrote:
Attwenger
Naked Lunch
Soap&Skin
Gustav
Kreisky
Ja, Panik
Texta
Sofa Surfers
Wipeout
Garish
und zwar für alles was sie 2000-09 gemacht haben.
Und es gilt vor allem für die Queens of the Stone Age.
Mir ist seit den 70ern einiges an eindrücklichen Konzerterlebnissen durch Herz, Kopf, Bauch, Füße und vor allem die Augen gelaufen. Bob Dylan am Zeppelinfeld, Pink Floyd in Dubrovnik, Roger Manning im CBGBs, Wall of Voodoo im Schlachthof, Auflauf im OÖ Studentenheim, Chris Isaak in Landgraaf, Hüsker Dü im Messepalast, die Stone Roses auf Spike Island, KRS-1 in Harlem...
Aber erst seit dem Jahrttausendwechsel kann ich diese Live-Erlebnisse über das stellen, was mir früher durch den Körper gefahren ist, wenn ich einen neuen, frischen Tonträger gehört habe. Das erstemal Blonde on Blonde war um Eckhäuser besser als jedes Dylan-Live-Konzert, New Day Rising hat mehr ausgeschüttet als jedes Hüsker Dü-Konzert und Fool's Gold hat mich mehr durchgewalkt als die große Party in Liverpool.
Es hat wohl eher mit mir als mit der Qualität der Musik zu tun. Ich bin auf das Album-Format eingetunt - und da kommt kaum etwas.
Klar, es gibt etliche Einzelsongs, die mir auch die Schauer über den Rücken jagen. Aber die erwischen mich (oder ich erwische sie) irgendwo. Der magische Moment, dieses "Jetzt hör ich's" fällt weg.
Und es bleibt nur noch der durchdringende Moment des Live-Erlebens.
The Queens of the motherfucking Stone Age
Ich dachte durchaus, dass ich schon alles gesehen hätte, als ich am 4. Juni 2003 in die Arena kam um den Auftritt einer Band, die ich durchaus schätzte, aber nicht verehrte, zu erleben: den Queens of the Stone Age.
Mir sind diese übermachoiden Acts, die sich dann auf Ironie ausreden, prinzipiell suspekt. Ich bin von Bowie, Dylan, Young und Reed erzogen worden, allesamt Väter, die sich zwar auf beides (Machismo und Ironie) durchaus verstanden (meist eher privat) aber klar vermittelten, dass sich die Welt tendenziell nur über das weibliche Prinzip verbessern würden. Die Söhne von Robert E. Lee haben bei mir also einen deutlichen Startnachteil.
Dass es QOTSA trotz dieser Nicht-Pole-Position geschafft haben, mir das beste Konzert aller Zeiten zu bieten, ist umso erstaunlicher.
Ich habe das alles hier, am Tag danach nach noch recht bemüht journalistisch angelegten Kriterien niedergeschrieben; das hat auch damit zu tun, dass dieser 4. Juni 03 ein Mittwoch war und ich direkt vom Konzert ins Funkhaus zur Bonustrack-Sendung gefahren bin. Dort habe ich glaub ich die ganze Stunde durchgeschrien, vor Wahnsinn und Begeisterung, vor Erschütterung über das eben erlebte. Und es haben zahlreiche Menschen angerufen, die das gerade ebenso erlebt hatten; und andere, die zwar nicht dort waren, aber ein vergleichbares Erlebnis teilen wollten.
Deshalb hab' ich mich dann tags darauf ein wenig zurückgehalten, mit der Emphase, versucht das Erlebte in Objektivierbares zu packen. Eine falsche Entscheidung, aber 2003 war eben nicht 2009.
Der perfekte Sound
Objektiv war, dass der Sound unglaublich gut war. Beim hier in Teil 1 nacherzählten Tricky-Konzert etwa war der Klang (wie ein Poster richtig anmerkt) großteils mumpfig und daneben - aber da ging es um Anderes.
Beim QOTSA-Gig an diesem Abend ging es ausschließlich um Musik. Nicht um Josh Hommes Südstaaten-Gehabe, nicht um Olivieris Gezappel, nicht um Mark Lanegans Todes-Stimme, sondern um das Gesamte, das was über die Boxen das Areal überschwemmte: der perfekte Sound.
Perfekt, so wie "PERFEKT". Da hat jedes Krümelchen gepasst, da war erstmals in der Geschichte des Universums sowas wie komische Ordnung da, selbst die Sonne hat sich dieses Set lang nicht an ihren Flecken gekratzt.
Ich bin froh, dass ich ganz schnell ganz nach vorne gelaufen bin; weil die Überwältigung dort schneller vonstatten ging, weil man sich weiter hinten entziehen konnte, schwer zwar aber doch.
Vorne war man, war ich, war das restliche Publikum im vollen Arena-Freiluftareal, schnell gefangen, wie in einer Masse aus durchsichtigem Jelly, in einer Raum-Zeit-Falle, die ausschließlich aus Ton, aus Klang, aus Musik bestand.
Ich habe damals von einem "anderen Aggregatszustand" geschrieben, das stimmt, es hat mich aufgelöst, gedehnt, auseinandergezogen und neu zusammengesetzt. Und alles stimmte und paßte, jegliches Timing, jedes neue Andrücken, jeder Kick.
Der Sprache verlustig gehen
Nach diesem orgiastischen Rausch war ich minutenlang unfähig zu sprechen. Und den Menschen rundherum ging es ähnlich. Wir konnten nichts sagen. Diesem QOTSA-Konzert war es gelungen, uns in einen Zustand zu versetzen, in dem wir uns mit Blicken, Gesten und einfachen Geräuschen verständigen konnten, weil wir gerade nicht auf unser Sprachzentrum zurückgreifen konnten. Auch weil es in diesen Minuten völlig überflüssig war.
Der Mitschnitt, den wir an diesem Abend anfertigten, ist gut, ja grandios. Aber er kommt nicht einmal ansatzweise an den Klang vorort heran. Vielleicht gab es spezielle Wetter/Niederdruck-Verhältnisse (es war sehr sommerlich), die aus einem sehr sehr guten Konzert mit sehr gutem Sound diese kosmische Ausnahme machte, keine Ahnung.
Die Queens of the Stone Age sind und waren auch danach sehr gut; ich habe mindestens ein weiteres tolles Konzert von ihnen gesehen. Aber ich sehe, wenn ich ehrlich bin, eher wieder die gefährliche Macho-Truppe, wenn ich eine erste Assoziation habe. Habt ihr einmal den Text von Little Sister näher angeschaut?
Das Konzert-Erlebnis von 2003 hat damit nicht wirklich was zu tun. Da standen ein paar Gestirne so günstig, dass es nicht anders ging, als diesen außergewöhnlichen Mix zu bereiten. Wer dort war und zugegriffen hat, weiß wie gut das geschmeckt hat.