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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 12. 2009 - 22:27

Journal '09: 26.12.

Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts, Teil 3. Heute: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.

Durchdringende Momente eines namenlosen Jahrzehnts. Eine Serie zu den ausrinnenden Nullern.

Teil 1. Die messianische Erscheinung von Tricky.

Teil 2: New York Stories.

Teil 3: Repolitisierung. Attwenger. Kaklakariada.

Teil 4: Das beste Konzert aller Zeiten

Teil 5: Die Zukunft der Musik..

Teil 6: Blog as blog can.

Teil 7: So Berlin.

Teil 8: Vom Medienwandel und der g'fickten Jugend bis zum Joker Audimaxismus.

Am 14. Oktober 2000 traten Attwenger im Rahmen eines FM4-Fests in der Cselley-Mühle in Oslip auf. Attwenger hatten seit dem grandiosen Album "Song" von 1997 keinen Tonträger mehr veröffentlicht und hatten auch nichts diesbezügliches geplant.
Aber sie spielten live neues Zeug, und sie spielten es auch in einem neuen Duktus, ausufernd, mit Verzerrer- und Dub-Effekten. Ich weiß noch, dass ein Teil des Publikums davon durchaus überfordert war - die hatten knackige Gstanzln erwartet. Gut, die gab es auch, aber eben nicht nur.
Und dann, mitten in diesem Set schälte sich aus einer dieser Hallräume ein Stück heraus, ein schnelles, lautes und böses Lied, das mit einer Wucht sondergleichen einen Text in den Raum warf, der alles bishere überragte.

Nationale Idioten mit Hausverstand geraten in die Kacke und wählen dann die Nummer neben ihrer Landesflagge. Und Ka Klakaraida, also kein Kleinkarierter, soll mir irgendwas erzählen, weil irgendwas passiert ist, was er nicht kapiert hat.

Kaklakariada

Die Klakariadn dan se darauf konzentriern,
des Eigane dans feiern und des Ondare negiern,
diese gonzn Patriotn, nationale Idiotn,
bitte sads so guat und stöllts eich in am Schwimmbod aufn Bodn

und pinkelts bis zum Hois eich olle gegenseitig on,
und dann tauchts no amoi unta, und dann nehmts an Schluck davon,
und spuckts eich on damit solang bis das eich schlecht is von der Kacke, und wählen Sie die Nummer neben ihrer Landesflagge.

Wonns dann a Problem hom und sie komman durchanond,
dann kummans mit dem Ärgsten und des is da Hausvastond,
mit dem kennans da ois erklärn, in sämtliche Vazierungen,
im Häusl drin, im Fernseher, im Fernseher Regierungen,

am besten mit dem Hausvastond is eine in a Haus,
die Diadln und die Fensta zua, dann konna nimma aus,
und donn fliagt des gonze Häusl in die Luft mitsamt der Kacke,
und wählen Sie die Nummer bitte neben ihrer Landesflagge.

Ka Klakariada, Kaklakariada konn da irgendwos dazöhn was stimmt.
Kaklakariada, der die Hosn ned glei voi hot,
wenn irgendwos passiert is, wos a söba ned vasteht.
Kaklakariada, Kaklakariada wird ma irgendwos dazöhn, was stimmt.
Kaklakariada, der die Hosn ned glei voi hot,
wenn irgendwos passiert is, wos a söba ned vasteht.

Wos voikommen unpackbar is und wos an nuamehr wundat,
de san so deppat und woin zruck ins vurige Jahrhundert,
die woin jetzt mit Gewalt wieda die Ordnung, diese Pfeifn,
die hoidn des ned aus wann was passiert des ned begreifen,

die woin a klakariade Wöd und des auf dem Planetn,
und so wias is schauds ned so aus als wann sie bald vorhättn,
dass ohaun und sie endlich amoi schleichen mit der Kacke,
und wählen Sie die Nummer bitte neben ihrer Landesflagge.

Ka Klakariada, Kaklakariada wird ma irgendwos dazöhn, was stimmt.
Kaklakariada, der die Hosn ned glei voi hot,
wenn irgendwos passiert is, wos a söba ned vasteht.

Ka Klakariada, Kaklakariada wird ma irgendwos dazöhn, wias geht.
Kaklakariada, der die Hosn ned glei voi hot,
wenn irgendwos passiert is, wos a söba ned vasteht.

Ka Klakariada, Kaklakariada wird ma irgendwann dazöhn, wias geht.
Kaklakariada, der wos irgendwos vorhot,
wos ned vorkumma kon in seina klankariaden Wöd.

Ich war von diesem Text, der in dieser verzerrten Orgie von harten Beats und kreischender Ziehharmonika eingebettet war, nicht verzückt, nicht hingerissen, nicht gebeutelt - ich hab ihn einfach verinnerlicht, adoptiert, assimiliert, eingebürgert.

Ich weiß noch, dass ich Binder oder Falkner oder beide gefragt habe, wann das erscheinen wird, und sie etwas von 'demnächst' gebrummelt haben. Ich weiß noch, dass ich am Montag nach dem Fest den obligaten Mitschnitt an mich gerissen und das Stück rauskopiert habe um es am Mittwoch Mitternacht rauszuspielen. Und ich weiß noch, dass das eine lange Zeit so gegangen ist, jeden Mittwoch Mitternacht.

Ich weiß noch, dass ich mir nicht sicher war, ob das klug ist, weil die Erfahrung zeigt, dass ein aggressives Stück zu Beginn auch aggressivere Anrufer nach sich zieht, also mehr Burschen und mehr Blödsinn, wohingegen poetischeres die g'scheiteren Phone-In-KandidatInnen bringt, dass ich aber letztlich gegen dieses Wissen anspielen musste, weil mir das Stück zu wichtig war.

Ich weiß noch dass mir Monate später irgendwer (ich denke, es war der aufmerksame und kluge Christoph Moser) eine Studio-Version des Stücks vorbeibrachte, ein Demo.
Und ich weiß noch, dass es fast zwei Jahre dauerte, ehe "Kaklakariada" dann endlich erschien, auf Sun, dem 02er-Album von Attwenger, und dass ich das Stück dann ein zweitesmal monatelang spielen musste, ja musste.

2000

kam die sogenannte Wende-Regierung ins Amt, die Koalition aus Halb-Rechts und Ganz-Rechts, ein Einschnitt, der für eine tiefe gesellschaftliche Verstörung sorgte, die heute nur noch für Menschen nachvollziehbar ist, die auch schon vor 2000 ein politisches Bewusstsein hatten.

Das hat viel mit dem sogenannten Tabubruch zu tun, das 3. Lager in eine Regierung einzubeziehen, seit es eine klare nationale Ausrichtung eingenommen hatte, mit Wolfgang Schüssels Kalkül einer Zähmung dieser Kräfte, indem er sie in die unpopuläre Verantwortung nahm. Das hat auch viel mit einem schleichenden Sozialabbau zu tun, mehr Privat, weniger Staat, ganz nach Reagan/Thatcher-Muster, mit dem Verkauf von Staats-Vermögen, mit der Privatisierungswelle, die das Muster "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" vorwegnahmen.
Das hat vor allem mit einer Stimmungslage zu tun, die man retrospekt nur hysterisch nennen kann, mit einer Pauschal-Verteufelung aller kritischen Anmerkungen, mit einer regelrechten Flame-Welle gegen Künstler, Intellektuelle und auch die Jungen (die damals sogenannte "Internet-Generation" - altes. mittlerweile absurdes VP-Schimpfwort) und vor allem einer Diffamierung des "Auslands", einem historisch leider ganz üblen Verstärker der eh schon xenophoben österreichischen Minderwertigkeits-Seele.

Die großteils in konservativer Hand befindliche Medienlandschaft baute riesigen Druck auf, und natürlich war der ORF das wichtigste Ziel, was klassische Umfärbungspolitik betraf. Die Einflussnahme des damaligen Regierungs-Koordinators Westenthaler (samt Partner Molterer) ist heute noch legendär, gilt als Musterbeispiel von Interventions-Politik. Und das in vierlei Hinsicht beschränkende neue ORF-Gesetz von 2000/1 war der logische Ausfluss dieser Anstrengungen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fest an die Kandare zu nehmen.

Stermann & Grissemann

Nicht, dass das kleine FM4 in alle das hineingezogen wurde - die Kampflinien waren ganz woanders, wie immer im TV-Breich und beim aktuellen Dienst - aber es erwischte uns indirekt.

Eine VP-Parteizeitung hatte ein 1999 mit Stermann & Grissemann geführtes Gespräch ausgegraben, nein, sie hatte das, was nach dem Interview privat geplaudert wurde, thematisiert (Details sind hier nachzulesen). Weil die damalige FPÖ den Vorfall der Staatsanwaltschaft übergab, kamen alle Beteiligten überein, die S&G-Sendungen in dieser Phase ruhen zu lassen, um sie aus der Schußlinie zu nehmen. Das dauerte lange, zähe Monate, ehe sich dann im Herbst '00 alles im Sand verlief.

Der Auftritt in der Cselley-Mühle, am selben Abend wie das Attwenger-Konzert, war einer der ersten von Stermann & Grissemann nach diesem Alptraum.

In diesem - mittlerweile schon - zeitgeschichtlichem Kontext kam dann also "Kaklakariada" daher.
Als verbal expliziter, in seiner fäkalen Brutalität fast schon widerlicher Aufschrei gegen die Hysterisierung, gegen die Geiselhaft in der man sich von einer zunehmend nationalistischer werdenden Volksvertretung genommen fühlte, die nicht nur gegen "Brüssel", die unverschämte Internet-Generation und das Ausland als Feindbild aufbauten, sondern auch jede kritische Äußerung automatisch als Nestbeschmutzung etikettierten.

Die andere Lesart

Natürlich kann man die Geschichte auch anders lesen.

Man kann es zum Beispiel so sehen, dass nach einer langen Phase der gesellschaftspolitischen Gleichgültigkeit während der 80er und 90er, als inhaltlich nasenbohrerische SPO-Alleinregierungen und matte große Koalitionen Land und Menschen in eine zunehmende Wurschtigkeit stürzten, Leben in die Bude kam, dass sich eine, wenn nicht zwei Generationen von unpolitischen Menschen plötzlich wieder für das, was Definitionsmacht bedeutet, interessieren mussten.

In dieser Lesart wäre das größte Stück, dass Attwenger je geschaffen haben, das womöglich größte Stück österreichischer Popularmusik überhaupt, ohne die Wende-Koalition nie entstanden, nach dieser Lesart ist die heimische Kunst der letzten Jahre aufgrund der geänderten politischen Rahmenbedingungen entstanden, hat also der mittlerweile selbstverständlich akzeptierten xenophoben, reaktionären, nach populistischen Maximen funktionierenden Postdemokratie als Quasi-Erschaffer zu danken.

In jedem Fall ist die Repolitisierung der heimischen Sub/Pop-Kultur zu einem Gutteil der Wut von Attwenger zu verdanken, die sich 2000 zu etwas verdichtete, was seither nicht erreicht wurde, weil es auch nicht mehr erreicht werden mußte.
Attwenger bekamen ein Jahr nach "Sun" den Amadeus, das Stück "Dum" von 2005er-Album war ebenfalls ein Bonsutrack-Dauerbrenner und sind heute noch eine der bedeutendsten Kräfte der heimischen Musik, die sich auch trauen, politisch Stellung zu nehmen. Aber eben nicht mehr die einzigen.