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Sophia Roma Weyringer Berlin

Sammelt die abstrakten Momente und verliert sich gern in Zwischenwelten.

9. 11. 2009 - 20:50

Klub 2000

Die Künstler Nina Fischer und Maroan el Sani machen sie mit einem Buch sichtbar: Die Phantom Clubs in Berlin Mitte nach dem Mauerfall.

Wenn in Berlin etwas als "voll Mitte" bezeichnet wird, dann ist das kein gutes Zeichen sondern ein Stempel der Kategorie "Kommerz", "Yuppi-esk" und "eh eigentlich voll uninteressant".

nyce World

Berlin Mitte

Berlin Mitte ist das perfekte Beispiel für eine gelungene Gentrifizierung und das damit verbundene Verschwinden von Gegebenheiten, die diesen Ort einmal definiert haben.

Die alte Mitte

Vor 20 Jahren war alles aber ganz anders: Da lag Mitte, wie so viele andere Gegenden des ehemaligen Ostens, brach. Leere und runtergekommene Häuser, von denen die meisten noch die Einschusslöcher des Krieges in den Fassaden hatten, prägten das Stadtbild.

Der Grund für die Verwahrlosung lag in der Städtplanung der ehemaligen DDR-Regierung. Die wollte Mitte bis auf ein paar historische Eckpunkte, wie zB die Sophienstraße, in der Karl-Liebknecht und Rosa Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorträge gehalten haben, flächendeckend abreißen. Die Bewohner der betroffenen Stadtteile hatte man bereits in die großen Trabantenstädte Marzahn und Hellersdorf im Norden der Stadt ausgesiedelt; auch eine Art der Geschichts-Verarbeitung und Selbst-(Er-)Findung.

Doch dann ist die Mauer gefallen: Der Plan Mitte platt zu machen konnte so natürlich nicht mehr umgesetzt werden - die Gebäude blieben stehen und weiterhin ihrem Verfall überlassen.

Kreatives Chaos

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Nina Fischer & Maroan el Sani

Es dauerte nicht lange bis etliche Kreative, Punks, Studenten und andere Lebenskünstler aus dem Westen diese Brachflächen für sich entdeckten und auch gleich besetzen. Für sie bot dieser neue, freie Raum einen idealen Boden, um sich künstlerisch und persönlich auszutoben und neu zu definieren. Im Osten schien plötzlich alles möglich zu sein. Probleme mit Hausverwaltungen gab es auch nicht, denn keine Behörde fühlte sich zuständig für die Verwaltung der Gegenden.
Ganz neu war die Besetzung der leerstehenden Häuser allerdings nicht: Schon zu DDR-Zeiten hat ein Teil der Keller und Lagerhallen der kulturellen Subszene-Ost als illegale Ateliers sowie Probe- und Konzerträume gedient.

Mitte war eine autonome Zone in der sich wie im Zeitraffer die maroden Gebäude in Ateliers, Galerien und Clubs verwandelt haben.

Montagsbar, Dienstagsbar, Mittwochsbar

Was Mitte ganz speziell gemacht hat, waren die vielen illegalen Bars und Clubs die über das ganze Gebiet verbreitet waren und in denen die Wiege der so genannten Berliner Clubkultur verortet wird. Der Künstler und Autor Stefan Heidenreich ist 1990 selbst vom Westen in den Osten gezogen: "In allen leerstehenden Kellern wo noch Strom haben die Leute ihre Anlagen reingestellt und ein paar Bierkästen geholt. Keller – Anlage rein – Tresen aus zwei Brettern – und fertig waren die Bars."

Eine Struktur gab es nicht. Sie wurden einfach gemacht. Sie waren einfach da.

KLUB 2000

Nina Fischer & Maroan el Sani

In ihrem Buch "Klub 2000 - Rom Paris Marzahn" haben die Künstler Nina Fischer und Maroan el Sani die "Phantomclubs" - wie sie es nennen – der Berlin Mitte in der Nachwendezeit dokumentiert und sich in dem gleichnamigen Film auf die Suche nach der neuen alten Mitte gemacht. Nina Fischer und Maroan el Sani waren selbst Teil der dort ansässigen bunten, kreativen Szene. Die Aufnahmen der Phantomclubs sind 1997/98 entstanden, zu einem Zeitpunkt, an dem die Gentrifizierung bereits eine Mehrzahl der Hausfassaden in Mitte glatt gestrichen und saniert hat. Die eintretende Restitutionswelle der alten herrenlosen Gebäude in Berlin Mitte bewirkte, dass die Gebäude an ihre wiedergefundenen Besitzer zurückgegeben oder verkauft wurden.

Nina Fischer & Maroan el Sani

Benannt nach dem einem Wochentag an dem sie geöffnet waren oder eben nach dem Ort an dem sie entstanden sind

Nina Fischer & Maroan el Sani

Keller aufbrechen, Anlage rein, Tresen aus 2 Brettern gebaut – fertig. Die Clubs waren roh, improvisiert und vor allem eins: illegal. Von außen waren Orte des nächtlichen Treibens nicht sichtbar. Man musste sich den Weg durch Versteckten Türen in Hinzerhöfe oder durch Löcher in einer Wand bahnen, wenn man einen "Phantomclub" besuchen wollte.

20 Jahre Mauerfall
Der Spezialtag auf FM4

Programmüberblick

"Es sind doch die Lücken, die Berlin so besonders machen", hat einmal ein Bekannter zu mir gesagt. Ja, das kann ich mir vorstellen, hab ich mir gedacht …Es waren ja auch die Lücken, die in Berlin so viel möglich gemacht haben - nur, so viele sind von diesen nicht mehr übrig (...klar, im Vergleich zu dem vertrauten geschlossenen Stadtbild einer österreichischen Großstadt klaffen die Leerstellen noch äußerst markant zwischen den Häusern). Die Stadt wächst – im wahrsten Sinne des Wortes – zusammen.

Die komplette Serie der Phantom Clubs in Mitte der Nachwendezeit ist noch bis zum 31. Januar 2010 in der Ausstellung "Berlin 89/90 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie" in der Berlinischen Galerie - natürlich - in Berlin zu sehen.

P.S.: Und wer Interesse an dem Buch "Klub 2000" hat, der kann für 25 Euro ein Exemplar (50 Euro für die signierte Version) bei den Künstlern Nina Fischer und Maroan el Sani erwerben. Infos und Kontakt hier: www.fischerelsani.net

und P.P.S.: Hier noch ein Kommentar der Band "The Durags" zur neuen Mitte: