Erstellt am: 11. 3. 2009 - 19:26 Uhr
The Message is Feierei. Aber nicht nur
Man muss jetzt weder zu den notorischen Berlin-Bashern gehören, die da alles, was viel zu cool und hip und too much ist, um noch irgendwie als cool durchzugehen, nicht so gut finden, noch zu den leicht blauäugigen Apologeten des stylischen Großstadtgewusels, die in allem und jedem eine Berlinhaftigkeit erkennen wollen, um bemerken zu können, dass in der deutschen Hauptstadt in den, sagen wir, vergangenen zehn Jahren, doch so einiges los war.
Berlin war und ist das Weltzentrum für elektronische Musik, Kernkompetenz: Techno. Produzenten und DJs aus England, Nordamerika, Chile und aus allen Ecken des Planten sind hingezogen, in den freundlichen Moloch, das ist kein Geheimnis. Wochenende für Wochenende fliegen von überallher, den Billigfluglinien sei dank, die Raver hinein nach Berlin, um gezielt ihre Lieblings-DJs zu hören. Der "Easyjetset", wie Autor Tobias Rapp das mobile, feierwillige Partyvolk nennt.
TAZ
Der 1971 geborene Rapp war bis Anfang 2009 Musikredakteur der taz, ist mittlerweile Popredakteur beim Spiegel und kennt das Leben in Berlin. Er weiß, dass an der Spree die Nächte lang sind, das Wochenende am Mittwoch beginnt, und auch Montag Mittag, wenn man wieder einmal nicht in die, doch, doch, legendäre Bar 25 hineingekommen ist, noch nicht zu Ende gehen muss. In seinem sehr schönen Buch "Lost and Sound - Berlin, Techno und der Easyjetset" nimmt uns Rapp mit durch die Nacht, durch die schicken Clubs und durch die runtergerockten Schuppen. Durch Watergate, Weekend und natürlich die Kathedrale des Rave, das Berghain samt angekoppelter Panoramabar. Dabei gelingt Rapp eine Balance zwischen flockigem, sich persönlich einbindendem Erzählen und analytischen Beobachtungen von Außen.
"der da drüben ist jetzt DJ in berlin,
überhaupt ziehen jetzt einige dahin"
Suhrkamp
"Lost and Sound" ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
Hier geht es nicht bloß um Spaß: Zwischen die ausgelassenen Streifzüge über die Dancefloors der Stadt webt Rapp Gedanken über ökonomisch-politische Aspekte des Ausgehlebens, streift Plattenläden, technologische Facetten wie die beständige Weiterentwicklung des Plattenauflegens, integriert Gespräche mit Touristen, Clubbetreibern oder DJs, macht sich Gedanken zur Drogenkultur im Techno, einem zentralen Thema, und beleuchtet nicht zuletzt den Mythos Berlin als Wirtschaftsfaktor.
Das liest sich locker, mitunter witzig und, sowieso immer, interessant, und auch für diejenigen, die der in "Lost And Sound" verhandelten Musik nicht sonderlich wohlwollend gegenüberstehen mögen, erschließt sich in diesem Buch der Komplex Techno/Berlin als vielgliedriges System, dessen zentrale Elemente nicht immer und ausschließlich das Druffsein und der Wunsch nach 8 Tage wach sein müssen.
Es geht hier also um viel mehr als nur Musik. Musik aber soll dennoch weiterhin das Fundament der beschriebenen Szenarien bleiben. Besonders schön deshalb auch der Anhang zur eigentlichen Erzählung: "Zwanzig Platten: eine kleine Geschichte des Berliner Sounds der nuller Jahre".
Myspace
Beginnend bei Ricardo Villalobos’ wegweisendem Album "Alcachofa", das nach seinem Erscheinen 2003 prägend für den Sound Berlins werden und Villalobos zum größten der großen Berliner Superstar-DJs der Nullerjahre machen sollte, zeichnet Rapp anhand von exemplarisch ausgewählten Platten - allesamt Klassiker - die Entwicklungen auf den Tanzböden der Hauptstadt bis heute nach.
Die dezenten Verschiebungen vom lange Zeit alles dominierenden, gestrengen Minimalismus von Labels wie m_nus oder Perlon hin zum gerade wieder zu voller Blüte erstarkenden House mit Herz, Deepness und Seele als dem großen Trend der letzten zwei, drei, vier Jahre - hier wohl vor allem repräsentiert durch den Jahrhundert-Track "Rej" von dem ursprünglich aus Wiesbaden stammenden Duo Âme und Efdemins "Just A Track" – ist da ebenso herauszulesen wie die Geschichte kleinerer Nebenhandlungen und Querschläger.
Beispielsweise wie mit Nathan Fakes "The Sky Was Pink" auch leicht angekitschter Trance langsam in die Akzeptanzsphären der ganz Coolen hinzuschleichen im Stande war, oder wie, schon wieder, Ricardo Villalobos mit seinem epochalen 37-Minuten-Stück "Fizheuer Zieheuer" für die heute noch gerne praktizierte Erfolgsformel "Beat plus gelooptem Volksmusiksample = Hit" die Blaupause gesetzt hat.
Gelebte Geschichtsstunde also, die wie das gesamte Buch, theoretische Reflexion mit Erlebnisreichtum, Vergnügen und Freude am Tanzen kurz schließt. Wie hieß doch noch mal gleich der im Abspann angeführte Track von John Tejada? Ach ja: "Sweat On The Walls". In diesem Sinne.