Erstellt am: 8. 11. 2009 - 13:12 Uhr
9/11 in Berlin
20 Jahre Mauerfall
Der Spezialtag auf FM4
- The Dark Side Of The Wall Über eine Zeit, in der so viel möglich schien, und doch so wenig eine Chance hatte
- 9/11 in Berlin - Der Mauerfall und die Ironie der Geschichte
- Poor But Sexy - Back To Berlin
- Vor und nach der Mauer - Die Familiengeschichte der Heidtmanns (10.11.2007, Christian Lehner)
Bush, Gorbatschow und Kohl waren schon in Berlin, 18 weitere Regierungschefs kommen noch. Bon Jovi wird singen, Kinder werden eine Mauer aus Dominosteinen einrennen und die Technohymne "We Are One" von Paul van Dyk wird zur Uraufführung kommen.
Und natürlich gibt es zu all den Wiedervereinigungs-Events auch eine Gegenveranstaltung unter dem griffigen Titel: Staat, Nation, Kapital, Scheiße.
christiane rösinger
Ein Bündnis hat zur Demo gegen den Jubiläumsnationalismus aufgerufen und erklärt, "Die herrschende Freiheit ist schlechter als ihr Ruf, die bürgerliche Freiheit ist die Freiheit kapitalistischer Konkurrenz!" Da mag was dran sein, aber trotz der ablehnenden Haltung zu Wiedervereinigungskitsch und Nationalstolz will man sich von den Verfassern des Flugblattes auch nicht unbedingt sagen lassen, welche Freiheit jetzt die richtige ist.
Es ist schon seltsam in diesen Tagen. Ständig laufen die gleichen Bilder im Fernsehen, sodass man als Zeitzeugin der eigenen Erinnerung schon gar nicht mehr traut. Auf die Mauer geklettert zum Beispiel ist kein Mensch an diesem trüben Novemberabend vor 20 Jahren, das passierte erst Tage, Wochen später, macht sich aber wohl jetzt als Bildmaterial besser: Der neunte November als eine Bad Taste-Party mit auf der Mauer tanzenden Vokuhila-Typen samt Schnauzer und in Stonewashed Jeans.
christiane rösinger
Tatsächlich sah man am 9. November 1989 in der Berliner Abendschau zuerst eine bizarre Pressekonferenz und später dann, wie die ersten Ostberliner noch unsicher und ängstlich, aber zielstrebig zu den Brücken und Grenzübergängen kamen. Spätestens da brach man auch von Westberlin aus zum nächsten Grenzübergang auf, die Westberliner begrüßten die Ostberliner euphorisch, man quetschte sich in irgendwelche Autos und fuhr wie unausgesprochen verabredet zum Kurfürstendamm. Es war nämlich ein Ostberliner Running Gag, auf die Frage "Was machst' n heut Abend?" mit "Ich geh mal zum Kudamm" zu antworten. Und das machte man jetzt! Dazu hupten alle ununterbrochen und im Radio liefen sämtliche Berlinsongs von Ideal über Fischer Z. bis zu den Gropiuslerchen Schleife.
christiane rösinger
Große Euphorie, Gehupe, Trabigeklopfe herrschte in dieser Nacht - aber der Berliner neigt nun mal zur Nörgelei. Erstaunlich schnell, schon nach drei Tagen, waren die Westberliner genervt von ihren alten, neuen Nachbarn, von den dichten Menschentrauben vor den Schaufenstern, den langen Schlangen der Begrüßungsgeldabholer an den Sparkassen, den vollen U-und S-Bahnen. Aber auch ich und viele andere Anhänger eines spätromantischen Antikapitalismus waren bald enttäuscht von den DDR-Bürgern, die man als dostojewskilesende edle Werktätige idealisiert hatte - dabei waren sie zum großen Teil noch spießiger als die Westdeutschen und wollten so schnell wie möglich die D-Mark, Wiedervereinigung und Helmut Kohl, was sie dann auch bekamen. Aber so etwas nennt man wohl die Ironie der Geschichte.